Schneller als Monza

Wir haben der alten Grand-Prix-Strecke von Reims einen Besuch abgestattet. Was ist noch übrig geblieben vom legendären Kurs in der Champagne, auf dem die Königsklasse elf Mal zu Gast war? Wir zeigen es Ihnen!
Auf der Fahrt nach Paris nehmen wir hinter Reims die Ausfahrt Soissons. Quasi als Kontrolle. Wie viel ist noch da von der alten Strecke, die sich einst mit Spa-Francorchamps und Monza um die Krone des schnellsten Formel 1.Kurses stritt? Leider muss man sagen: es wird immer weniger.
Wenn Sie mal in die Gegend kommen, fahren Sie einfach raus. Noch lohnt es sich. Ungefähr 800 Meter nach der Autobahnausfahrt steht rechter Hand das Restaurant de la Garenne. Ein bisschen renoviert, aber durchaus noch mit dem Charme der 50er und 60er Jahre, als es für die Fahrer der Bezugspunkt für die härteste Bremszone der Strecke war.
Kurz vor dem Gasthaus kreuzen sich die R.N.31 und die D27. Hier führte die von Soissons kommende, 2,495 Kilometer lange bergabführende Vollgaspassage in einem scharfen Haken nach rechts in die Zielgerade. Heute ersetzt ein Kreisverkehr die Kreuzung. Von dort geht es in Wellenlinien weiter leicht bergab, immer geradeaus.
An schönen Sommertagen kann man immer noch die Luft über dem Asphaltband Flimmern sehen, so wie einst während vieler Hitzeschlachten. Am Horizont tauchen Gebäude auf. Links zwei Tribünen, rechts die Boxengasse, der Kontrollturm, die Garagen, natürlich noch nicht durch eine Leitplanke abgetrennt von der Rennstrecke.
Lack blättert langsam ab
Alles befindet sich in einem unterschiedlichen Verfallsstadium. Manches wirkt so, als hätte hier vor einem Jahr das letzte Rennen stattgefunden. Tatsächlich ist es ein halbes Jahrhundert her. Auf den Tribünen und Mauern sind noch die Schriftzüge der alten Zeit zu lesen. Shell, Total, BP, Coca Cola, Moteur‘s, Assurances André Lambert. Der Lack blättert erstaunlich langsam ab.
Er mag auch hier und da erneuert worden sein. Immerhin, die Freunde des Circuit Reims-Gueux, wie er seinerzeit offiziell hieß, halten die Erinnerung wach. Hier leistet sich Rennsportgeschichte ein löbliches Denkmal.
Die ersten Rennen wurden 1925 ausgetragen. Bis 1951 führte die Zielgerade bis in das Dörfchen Gueux und bog dann mitten im Ort scharf nach rechts ab. Ich sanften Kurven vereint sich die Bundesstraße D26 mit der langen Geraden von Soissons. Dieser Teil ist heute noch so erhalten wie früher. Ab dem GP Frankreich 1953 wurde die Ortsdurchfahrt ausgeklammert. Reims strebte nach neuen Geschwindigkeitsrekorden.
Dafür musste 300 Meter nach Start und Ziel eine superschnelle Rechtskurve her, die selbst in den 50er Jahren von den besten Fahrern voll im Drift genommen wurde. 1958 forderte die Nouveau virage de Gueux ihr berühmtestes Todesopfer. Luigi Muss visierte die Kurve falsch an, geriet auf die Grasnarbe und überschlug sich in das angrenzende Feld. Seit 2011 entweiht ein Kreisverkehr die Mut-Passage.
Von der Gueux-Kurve führte der Streckenverlauf über weitere Vollgaskurven Virage de la Hovette und die Courbe Annie Bousquet in die Virage de Muizon, eine Bergauf-Haarnadel, die nun wesentlich weiter hinten in die Soissons.Gerade mündete und diese noch um gut 700 Meter verlängerte.
Es war ein beliebter Fotopunkt. Man konnte nicht nur Autos und Fahrer bei 50 km/h aus nächster Nähe ablichten, sondern auch von hinten szenische Bilder auf die zunächst ansteigende Gerade mit einem schmalen Dunlop-Bogen auf der Kuppe schießen. Die Anfahrt zu Muizon endet heute abrupt in einem Feld. Sie fiel dem Ausbau der Gerade zum Opfer. Die R.N.31 wurde auf vier Spuren mit Mittelleitplanke erweitert.
Reims schnell und gefährlich
Mit insgesamt nur sechs echten Kurven zählte Reims nicht zu den schwierigsten, wohl aber zu den gefährlichsten Rennstrecken seiner Zeit. Dabei gab es neben der Strecke kaum Hindernisse, die man hätte treffen können. Das Risiko waren die hohen Geschwindigkeiten.
Außer Musso starben noch Bill Whitehouse, Herbert MacKay-Fraser und Peter Ryan in Formel-2-Rennen und Frankreich. berühmteste Rennfahrerin Annie Bousquet in einem Sportwagen. Jean-Pierre Beltoise und Peter Arundell hatten ihre schwersten Unfälle in Reims.
Der Veranstalter leistete sich vier Mal den Luxus, die 12 Stunden von Reims im Rahmenprogramm des Grand Prix stattfinden zu lassen. Gestartet wurde Samstag um Mitternacht. Das Rennen endete am Mittag. Drei Stunden später fiel die Tricolore für den GP Frankreich.
Die Formel 1 trat insgesamt elf Mal in den Feldern der Champagne an und lieferte mehrere hochdramatische Windschattenschlachten ab. 1953, 1954, 1956 und 1961endete der Grand Prix in einem Fotofinish mit Abständen von jeweils einer Sekunde und weniger.
1966 gastierte die Formel 1 zum letzten Mal auf Frankreich. klassischem GP-Kurs. Und kürte sich endlich auch zur schnellsten Strecke im Kalender. Mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von 233,859 km/h im Training, 227,625 km/h für die schnellste Rennrunde und 220,322 km/h für das Rennen setzte sich Reims knapp vor Monza durch, das in jenem Jahr nur 226,725 km/h (Training), 224,026 km/h (schnellste Rennrunde) und 218,748 km/h (Rennschnitt) schaffte.
Der absolute Rundenrekord in Reims geht nicht an die Formel 1. Den stellte 1967 Paul Hawkins in einem Lola T70 Mk3-Chevrolet mit 229,013 km/h auf. In der Galerie zeigen wir Ihnen einige Bilder von dem, was von der legendären Strecke in Reims noch übrig ist.
Streckendaten
- Lage: 5 km, westlich von Reims
- Länge: 8,302 km (1953-1970)
- Breite: 8,0 m
- Rechtskurven: 5
- Linkskurven: 1
- Schnellster Teil: Route Nationale 31
- Langsamster Teil: Virage Thillois
- Streckenvarianten: 7,816 km (1925-1951)