Verstappen feiert „dritte“ Pole
Max Verstappen steht beim GP Brasilien offiziell zum zweiten Mal auf der Pole Position. Nach seiner eigenen Rechnung ist es die dritte. Red Bull fand in Interlagos den besten Kompromiss zwischen Geraden und Kurven.
Red Bull-Honda ist in dünner Luft eine Macht. Schon auf 2.280 Meter Höhe in Mexiko saßen Max Verstappen und Alexander Albon im schnellsten Auto. Auch 800 Meter über dem Meer in Sao Paulo fuhr Verstappen Ferrari und Mercedes davon. Albon verlor nur zwei Zehntel auf den drittplatzierten Lewis Hamilton.
Ein weiterer Beweis dafür, dass Red Bull und Honda wieder zum Kreis der Siegkandidaten zählen. Teamchef Christian Horner bedankte sich bei seinem Fahrer: „Die Pole war mein schönstes Geburtstagsgeschenk.“ Horner wurde 46 Jahre alt.
Offiziell feierte Verstappen seine zweite Pole Position nach dem GP Ungarn in diesem Jahr. Nach eigener Rechnung ist es seine dritte Trainingsbestzeit. Die von Mexiko wurde ihm wegen Missachtung der gelben Flaggen aberkannt.
Schon die erste Q3-Runde hätte dem Holländer für den besten Startplatz gereicht. Da baute der zweifache Saisonsieger aber noch einen Fehler in Kurve 9 ein. Im zweiten Versuch legte Verstappen eine makellose Runde auf die Bahn. Er war im kurvenreichen zweiten Sektor knapp der schnellste und konnte diesen Vorsprung auf den Geraden überraschenderweise halten.
Was Sebastian Vettel zu der spöttischen Bemerkung hinreißen ließ: „Es ist schon verdächtig, wie schnell der Red Bull-Honda plötzlich auf den Geraden ist.“ Verstappen konterte: „Schau dir die Sektorzeiten an. Ich war im Mittelteil der Schnellste. Da sind die Kurven.“
Ferrari auf den Geraden langsamer als sonst
Ferrari erzielte zwar mit 331,3 km/h den höchsten Top-Speed, war aber über die Summe aller Geraden nicht mehr so schnell wie bei anderen Rennen der Saison und wie auch im Freitagstraining und der dritten Trainingssitzung am Morgen. Charles Leclerc nahm den Red Bull auf den Geraden nur ein Zehntel ab, den Mercedes zwei. Am Vortag betrug das Delta noch sieben, respektive acht Zehntel.
Deshalb sah es kurz so aus, als könnte nach der Qualifikation ein Protest drohen. Red Bull war ja bereits in Austin mit einer Anfrage auf Klarstellung über mögliche Motor-Tricksereien bei der FIA vorstellig geworden. Die hatte daraufhin in zwei Technischen Direktiven Manipulationen mit der Benzindurchflussmenge oder Zweckentfremdung von Kühlmitteln zur Verbrennung im Motor für illegal erklärt.
Doch den zweiten Schritt wollte Red Bull nicht mehr tun, egal was die GPS-Messungen in der Qualifikation zeigen würden. „Wir haben unseren Part dazu beigetragen. Jetzt ist mal Mercedes dran. Die wissen sowieso mehr darüber als wir“, erklärte Sportchef Helmut Marko.
Im Lager der Weltmeister blieb alles ruhig. Der geschrumpfte Vorteil der Ferrari auf den Geraden gab keinen Anlass dazu. Bei Ferrari deutet man die knappe Trainingsniederlage um 0,123 Sekunden mit dem höchsten Top-Speed natürlich anders. Denen, die glauben, Ferrari wäre zurückgerudert, sagte Teamchef Mattia Binotto das gleiche wie schon in Austin. „Wir haben nichts am Motor geändert.“ Vettel drehte den Spieß um: „Honda hat meines Wissens keine Entwicklungsstufe hier gebracht. Da ist es schon erstaunlich, wie nah sie auf den Geraden an uns dran sind.“
Perfektes Setup erst in letzter Minute
Helmut Marko erklärte die Galavorstellung von Verstappen und des RB15 damit, dass man eben den besten Kompromiss zwischen Abtrieb und Top-Speed gefunden habe. Erst im letzten Moment trafen die Red Bull-Ingenieure mit der Abstimmung ins Schwarze: „Wir hatten im dritten Training im Infield noch zu viel Untersteuern. Max hat da in drei Kurven zwei Zehntel verloren. Das konnten wir bis zur Qualifikation korrigieren.“
Mercedes-Ingenieure zogen einen Vergleich zu Mexiko. „Red Bull ist auf den hochgelegenen Strecken immer gut dabei. Auch auf den Geraden. Daraus muss man schließen, dass Honda auf der Elektroseite Vorteile hat. Das ist genau der Part im Antrieb, der von der dünneren Luft nicht betroffen ist.“
Für Verstappen kommt die starke Vorstellung nicht überraschend: „ Wir haben uns in der zweiten Saisonhälfte kontinuierlich verbessert, und wir waren auch schon letztes Jahr schnell in Interlagos. Gleich nach der Sommerpause haben einige Motorstrafen unsere wahre Leistung verwässert. Aber seit einigen Rennen haben wir wieder ein Auto, mit dem wir um Siege mitfahren können.“
Marko holt noch weiter aus: „Mit Ausnahme von Singapur und Russland waren wir zuletzt immer siegfähig. Auch in Austin. Da konnte Max vier Runden lang locker mit Bottas mithalten. Dann ist ein Stück aus dem Unterboden gebrochen. Das hat uns Abtrieb gekostet und den Reifenverschleiß nach oben getrieben. Jetzt konnten wir die Qualitäten unseres Pakets endlich mal zur Geltung bringen.“
Ferraris Sorgen um das Reifenmanagement
Sebastian Vettel war mit seinem zweiten Startplatz leidlich zufrieden. Er weiß, dass ihn am Sonntag die härtere Aufgabe erwartet: „Red Bull und Mercedes waren am Freitag im Longrun stärker als wir. Wir konnten unser Auto zwar verbessern, aber ich kann noch nicht sagen, ob es reicht im Reifenmanagement mit den anderen mitzuhalten. Ich bin vorsichtig optimistisch.“
Die beste Chance, den Red Bull vor seiner Nase zu knacken, sieht Vettel beim Start. Auch wenn der Anlauf in die erste Kurve nur 195 Meter lang ist. Aber dann gibt es nach dem Senna-S ja auch noch die Gegengerade. Die Gegner werden die Startrunden der Ferrari natürlich wieder genau beobachten. Es ist ja eine der Phasen, in der die roten Raketen in der Vergangenheit immer ihren Nachbrenner gezündet hatten.
Charles Leclerc wird den GP Brasilien von Startplatz 14 mit Medium-Reifen beginnen. Teamchef Mattia Binotto verfluchte einen Fehler seines Wunderkinds in der letzten Kurve: „Ohne den wäre Charles wahrscheinlich die schnellste Runde gefahren.“ Der Monegasse büßt eine Strafe für den Einsatz des vierten Motors ab. Die Wahl der mittleren Reifenmischung lässt die Taktik schon erahnen. Leclerc soll im ersten Stint lange fahren, um dann Zeit gutzumachen, wenn die Soft-Starter an die Boxen abgebogen sind.
Bleiben die Temperaturen wie am Samstag, wird das ein schweres Unterfangen. Der Soft-Reifen baut nicht viel stärker ab als die Medium-Gummis. Leclerc hofft deshalb auf wärmeres Wetter. Und auf den Vorteil seines frischen Motors. Vettel macht sich im teaminternen Duell keine Sorgen: „Ich habe zwar einen älteren Motor im Auto, habe aber bisher viel gespart und noch genug Power-Einsätze frei.“