Das Chassis war krumm
Sebastian Vettel war die Erleichterung nach dem GP Spanien
anzumerken. Sein Verdacht hatte sich bestätigt. Der Verdacht, dass
Probleme mit dem Chassis ihn im Duell gegen Daniel Ricciardo
aussehen ließen wie einen Anfänger. Tatsächlich war das
Einsatzchassis aus den ersten 4 Rennen krumm.
Das tat weh. Sebastian Vettel kam aus den ersten vier Rennen mit drei Trainingsniederlagen gegen Neuzugang Daniel Ricciardo zurück. Und der Australier war auch in den Rennen von Bahrain und China deutlich schneller. So schnell, dass Red Bull Vettel zwei Mal bat, den Teamkollegen vorbeizulassen.
Als dann vor dem GP Spanien die Meldung durchsickerte, dass Vettel auf das alte Testchassis mit der Nummer RB10-01 zurückgriff, da vermuteten viele eine Verzweiflungstat. Ein Chassiswechsel ist für Rennfahrer oft der letzte Rettungsanker, wenn man nicht mehr weiter weiß. Die Kritiker zweifelten Vettels fahrerischen Qualitäten an, schoben seine Titel auf die Überlegenheit des Red Bull und empfahlen ihm sogar einen Psychologen.
Vettels Gegner heißt Mercedes
Von Ratlosigkeit war beim Weltmeister aber nichts zu spüren. Vettel ging viel zu gelassen mit den Niederlagen um. Ungewöhnlich für einen, der nicht zum Verlieren geboren ist. Die Dominanz der Mercedes lässt sich noch verschmerzen. Lewis Hamilton und Nico Rosberg haben im Moment einfach das bessere Paket. Gegen das kann kein Fahrer der Welt etwas ausrichten.
Doch wenn der eigene Teamkollege regelmäßig schneller fährt, ist das eine andere Dimension. Auch an Vettel geht so etwas nicht spurlos vorbei: "Natürlich kotzt es mich an, wenn er vor mir steht. Ich wusste aber, warum das so war. Und ich wusste, wie ich es abstellen konnte. Das erste Ziel für uns muss es sein, Mercedes einzuholen. Dann muss ich mich um Daniel kümmern. Es wäre aber falsch, alle Energien nur darauf zu verwenden, Dritter statt Vierter zu sein."
Zu viel Unruhe im Heck
Die Schlussphase des GP China bestätigte Vettels Zweifel, die sich bei ihm nach außen hin in dem lapidaren Satz ausdrückten: "Mein Auto spricht nicht mit mir." Doch als ihm Ricciardo dann eine Sekunde pro Runde einschenkte, wusste Vettel, dass etwas faul war. "Ich habe doch nicht das Fahren verlernt. Eine Sekunde Rückstand war einfach zu viel."
Das konnte nicht nur daran liegen, dass die elektronische Bremskraftverteilung den Fahrer immer wieder überraschte, weil sie beim Laden der Batterien von den Aussetzern des Renault-Motors immer wieder in die Irre geführt wurde. Theoretisch musste Ricciardo diese Probleme auch haben. Es gab aber keinen plausiblen Grund, warum der Mann mit deutlich weniger Erfahrung besser damit zurecht kommen sollte.
Daraufhin wurde in der Fabrik in Milton Keynes Vettels Red Bull neu vermessen. Und siehe da. Das alte Einsatz-Chassis der ersten vier Rennen war verzogen. Damit stimmten auch die Fahrwerkseinstellungen nicht mehr. Das erzeugte beim Bremsen im Heck zu viel Unruhe.
Schaden im ersten Teil der Kurve
Das war die Erklärung dafür, warum das Auto so unberechenbar war. Vettel verlor in den Kurven Zeit verliert, die hart angebremst werden mussten. "Der Schaden wurde in der letzten Phase des Bremsens angerichtet, dort wo du schon beim Einlenken bist. Da wurde das Heck unruhig. Es fehlte das Vertrauen spät zu bremsen. Also bremst du früher, doch dann passt die Linie nicht mehr, weil das Auto zum Scheitelpunkt hin falsch positioniert ist. Du musst mehr Kurve bewältigen als nötig. Das kostet dich am Ausgang richtig Zeit." Wenn das Kurve für Kurve passiert, steigt auch der Reifenverschleiß.
Nach dem GP Spanien konnte Vettel sagen: "Der Chassis-Wechsel hat sich gelohnt. Ich spüre jetzt wieder, was mein Auto tut." Der Getriebeschaden im Training verhinderte ein direktes Duell mit Ricciardo. Der Australier fuhr an dritter Stelle los, Vettel von Platz 15. Doch die Aufholjagd bis auf Rang 4 und die schnellste Rennrunde zeigten Vettel, dass in sein Gefühl nicht betrogen hatte: "Das Fragezeichen ist weg. Was mein Tempo heute angeht, war es, denke ich, vernünftig. Und mit dem Reifenverschleiß bin ich im Rahmen geblieben."
Frust fuhr nur zu Saisonbeginn mit
Red Bull-Berater Helmut Marko glaubt trotzdem, dass Vettel manchmal zu viel nachdenkt. Er versuche eine Technik zu verstehen und zu seinem Vorteil zu nutzen, die nicht einmal die Ingenieure in allen Einzelheiten erklären können. "Zu viel nachdenken kann dich blockieren", weiß Nico Hülkenberg aus eigener Erfahrung. "Dann musst du einen Schritt zurückmachen und dich auf deine Instinkte verlassen."
So wie es Ricciardo wahrscheinlich macht, weil er in seiner Karriere noch nie so ein gutes Auto gefahren ist wie den Red Bull: "Du siehst, mit wie viel Spaß Daniel fährt. Der findet es einfach geil, in so einem super Auto zu sitzen."
Der Weltmeister verteidigt sich: "Ich will nicht den Code verstehen, den die Ingenieure einprogrammieren. Aber ich will wissen, was mich bremst." Den Verdacht, Vettel sei nach vier Jahren in einem Wunderauto verwöhnt und komme mit einem zickigeren Fahrzeug weniger gut zurecht als Ricciardo, der von Toro Rosso nicht anderes gewohnt war, lässt Vettel nicht gelten: "Wir hatten in den letzten vier Jahren auch Phasen, wo das Auto nicht optimal lief. So überlegen wie jetzt Mercedes waren wir nie." Ricciardo bestätigt: "Du wirst nicht durch Zufall vier Mal Weltmeister. Seb ist in der Lage, sich an jedes Auto anzupassen."
Zu Saisonbeginn fuhr beim Titelverteidiger auch ein bisschen der Frust mit. Vettel mag die neuen Autos und Motoren nicht. Sie sind ihm zu leise und zu langsam, "da kommt kein Gänsehautgefühl im Cockpit rüber." Im Unterbewusstsein mag die negative Einstellung das ein oder andere Zehntel gekostet haben. "Über die Phase bin ich hinweg. Ich weiß, dass es für alle gleich und nicht zu ändern ist."