Zweiklassengesellschaft in der Formel 1

Ein Toro Rosso und ein McLaren auf dem Podium in Sao Paulo: Ist das der Beweis, dass die Formel 1 enger zusammenrückt? Mitnichten. Die Königklasse ist immer noch eine Zweiklassengesellschaft.
Das gab es zuletzt 2014. Zwei der Podiumsplätze wurden beim GP Brasilien von Teams besetzt, die nicht Mercedes, Ferrari oder Red Bull heißen. Vor fünf Jahren passierte das zwei Mal. Beim Saisonauftakt in Melbourne durften zwei McLaren-Piloten mit Sieger Nico Rosberg feiern. Im Finale des gleichen Jahres brachte Williams beide Fahrer unter die ersten Drei.
Die Saison 2019 bot noch eine weitere statistische Besonderheit. Zum ersten Mal seit dem GP England 2015 führte wieder mal ein Auto, das nicht zu den großen Drei gehört. Sauber-Pilot Antonio Giovinazzi verewigte sich mit vier Führungsrunden beim GP Singapur im Rekordbuch.
Sind das erste Anzeichen, dass das Feld in der Königsklasse enger zusammenrückt? Leider nicht. Die Zweiklassengesellschaft ist so präsent wie eh und je in der Hybrid-Ära. Toro Rosso-Fahrer Pierre Gasly und McLaren-Pilot Carlos Sainz profitierten in Sao Paulo von einem verrückten Rennverlauf, von drei Ausfällen bei den Topteams, einer Strafe und einer Kollision.
Unter normalen Umständen wären sie Siebter und Achter geworden. Mit einer Runde Rückstand auf den Sieger. Es darf nicht vergessen werden, dass alle ab Gasly bereits überrundet waren, als zum ersten Mal das Safety-Car ausrückte. Das Glück der späteren Podestfahrer war, dass sie sich zurückrunden durften.
Der dritte Platz von Daniil Kvyat in Hockenheim hatte eine ähnliche Vorgeschichte. Drei Fahrer der Top-Teams crashten, Mercedes stolperte über Taktikfehler. Im Prinzip hätte in Hockenheim jeder gewinnen können, der beim letzten Boxenstopp das richtige Timing gefunden hätte.
Und Giovinazzis Führungskilometer in Singapur waren nur möglich, weil Spitzenreiter Charles Leclerc absichtlich langsam fuhr und das Feld dicht zusammenhielt. In der Regel ist der Vorsprung der Spitzenreiter nach 15 Runden schon so groß, dass sie nach ihrem ersten Boxenstopp immer vor dem Mittelfeld ins Rennen zurückkehren. Deshalb ist auch die Regelung mit der freien Reifenwahl ab Startplatz 11 völlig sinnlos. Sie hat noch nie einem aus der zweiten Reihe zu einer Sternstunde verholfen.
Überlegenheit stagniert auf hohem Niveau
Die Punkteverteilung zeigt, dass sich eigentlich gar nichts geändert hat. Außer dass die Überlegenheit von Mercedes, Ferrari und Red Bull auf hohem Niveau stagniert. Zu Beginn der Hybrid-Ära holten die drei größten und reichsten Teams im Feld noch 65,4 Prozent aller Punkte ab, die zur Verteilung stand.
Dieser Anteil stieg 2017, als alle für die neue Zweimeter-Formel neue Autos bauen mussten auf 77,1 Prozent an. Ein Rennen vor Schluss der 2019er Saison kletterte diese Zahl trotz der Ausreißer in Hockenheim und Interlagos auf 77,7 Prozent. An dem Trend wird sich in Abu Dhabi wohl nicht viel ändern.
Drei Podestplätze für das Mittelfeld sind bei Licht betrachtet Augenwischerei. Ohne die zwei Chaosrennen wären es wahrscheinlich null gewesen. Die Autos der Top-Teams werden immer zuverlässiger. Die Piloten immer disziplinierter. Taktische Pannen immer seltener. Und ein Ausfall würde ja auch nicht reichen. Dass dann noch Unfälle und Strafen dazukommen, passiert alle Jubeljahre einmal.
2014 haben die Teams außerhalb des Spitzentrios noch zwölf Podestplätze bei zehn Rennen belegt. Ein Jahr später waren es nur noch sechs. Die Zahl halbierte sich 2016 ein weiteres Mal bis sie 2017 und 2018 auf jeweils eine Ausnahme von der Regel schrumpfte.
Nur McLaren verringert den Rückstand
Die Zeitabstände sind nach wie vor groß. Zu groß. Alfa-Romeo-Teamchef Frédéric Vasseur muss nur auf den GP USA zurückblicken, um zu sehen, dass da etwas grandios aus dem Ruder gelaufen ist: „Alle ab Platz 8 waren überrundet. Albon muss den Frontflügel wechseln, kommt drei Mal an die Box und fährt im Red Bull trotzdem noch locker auf den fünften Platz. Die Unterschiede sind riesig.“
Tatsächlich verbrachte Alexander Albon drei Mal so viel Zeit in der Boxengasse wie der um drei Positionen schlechter platzierte Carlos Sainz. Einzig McLaren hat es in diesem Jahr geschafft, den Abstand zum jeweils letzten der Top-Teams zu verringern. Auf manchen Strecken schrumpfte er auf eine halbe Sekunde. McLaren stand bei diesen Gelegenheiten im Niemandsland. Auch der Vorsprung zum nächsten Mittelfeld-Team betrug eine halbe Sekunde.
Wir haben die Rundenzeiten von Austin und Interlagos in den vergangenen drei Jahren miteinander vergleichen. Auffällig ist, dass die Abstände in den beiden Klassen kleiner werden. Vor allem das Verfolgerfeld ist näher zusammengerückt. Da ist das Delta zwischen Platz 7 und 15 in Austin von 1,081 auf 0,842 Sekunden geschrumpft, in Interlagos ging es von 0,661 auf 0,330 Sekunden runter. In diesem Bereich drängeln sich sechs Teams in ständig wechselnder Reihenfolge. Sergio Perez macht Werbung für die Formel 1B: „Unser Grand Prix ist viel spannender als der an der Spitze.“
Beim Abstand des Sechsten zum Siebten lässt sich kein Trend erkennen. In Austin ist er von 2017 bis 2019 von 0,989 auf 0,299 Sekunden gesunken, in Interlagos von 0,268 auf 0,902 Sekunden gestiegen. Im Schnitt liegt er bei einer guten halben Sekunde. Ein ähnliches Bild zeigt der Rückstand des besten Mittelfeld-Teams zur Pole Position. In Austin wurde er geringer, in Interlagos mehr.
Schaffen die 2021er Regeln Abhilfe?
Bei McLaren, Renault, Toro Rosso und Co. hofft man, dass die Regelreform 2021 das Feld wieder zusammenbringt. „Das wird nicht im ersten Jahr passieren. Aber im zweiten und dritten werden wir eine Annäherung sehen“, ist Renault-Teamchef Cyril Abiteboul überzeugt.
Das sieht auch McLaren-Teamchef Andreas Seidl so: „Für Renault und uns liegt der Budgetdeckel ideal. Wir können so weiterarbeiten wie bisher. Die drei großen Teams werden sich einschränken müssen, und irgendwann wird das Auswirkungen zeigen.“
Frédéric Vasseur ist einer der größten Kritiker großen Unterschiede zwischen Arm und Reich. Er hätte sich für das 2021er Reglement noch viel mehr Einschränkungen gewünscht. „Je mehr Teile standardisiert werden, desto mehr Geld haben die kleinen Teams übrig, das sie in die Bereiche stecken können, die Rundenzeit bringen. Warum wurde das Verbot der Heizdecken wieder abgeschafft? Weil es nur eine halbe Million spart. Aber eine halbe Million hier und eine Million da macht in Summe auch einen ordentlichen Betrag. Die eine große Einsparung, die 40 Millionen bringt, gibt es nicht.“
Die Zweifler des Neubeginns warnen, dass Regeländerungen immer denen die besten Karten in die Hand spielen, die mehr Geld, bessere Leute und ausgefeiltere Werkzeuge haben. Das beste Rezept für ein Zusammenrücken sei Stabilität. Die Motorenhersteller hätten es bewiesen. Doch der Vergleich hinkt, weil Mercedes, Ferrari, Honda und Renault alle von den Voraussetzungen her mit den gleichen Mitteln kämpfen.
Bei den Teams sind die Unterschiede bei den Personalbeständen, den Ressourcen und dem angesammelten Wissen viel größer. Mercedes und Ferrari beschäftigen je 1.000 Leute, Haas nur 240. Die Aerodynamik und die Reifenthematik sind heute so komplex, dass kleine Teams ihren Erfahrungsrückstand nie aufholen werden.
Formel 1-Chef Ross Brawn ist überzeugt: „Die kleinen Teams wissen gar nicht, was ihnen fehlt. Das ist nicht der kleinere Windkanal oder der schlechtere Simulator. Die großen Teams haben zum Beispiel so gute Rechenmodelle für die Reifen, dass ihre Fehlerquote im Windkanal und bei der CFD-Simulation viel geringer ist. Je besser einer die Verformung eines Reifens versteht, desto besser ist seine Aerodynamik. Deshalb werden kleine Teams den Rückstand nie aufholen, außer man stellt alles auf eine viel einfachere, weniger sensible Basis. Das haben wir mit den neuen Regeln versucht.“