Verstappen-Party bei Heimspiel?
Nach 36 Jahren kehrt die Formel 1 nach Zandvoort zurück. Der Kurs in den Dünen stellt die Fahrer und Teams vor eine neue Herausforderung. Max Verstappen will den Heimsieg und die WM-Führung. Wir haben die letzten Infos vor dem GP Niederlande.
Das Comeback hat sich lange hingezogen. Viel zu lange für die niederländischen Fans. 30 Mal stand Zandvoort bislang im Rennkalender der Formel 1. Zuerst 1952, damals siegte Ferrari-Fahrer Alberto Ascari. Zuletzt 1985, als Niki Lauda auf McLaren seinen 25. und zugleich letzten GP-Erfolg feierte. Dann war der prägnante Dünen-Kurs erst einmal raus. 2019 gab die Formel 1 bekannt, dass die Rennstrecke an der Nordseeküste zurückkehren würde. Doch die Corona-Pandemie verhinderte eine Austragung 2020.
Die Rückkehr wurde aufgeschoben. So mussten die holländischen Fans von der Bekanntgabe bis zum tatsächlichen Event mehr als zwei Jahre warten. Nun ist es endlich soweit. Zandvoort ist tatsächlich zurück, auch wenn der Grand Prix nicht vor ausverkaufter Kulisse stattfinden kann. Die niederländische Regierung erlaubt eine maximale Auslastung von 67 Prozent. Das heißt, dass pro Tag rund 70.000 Fans an der Rennstrecke sein dürfen.
Sie werden überwiegend Max Verstappen die Daumen halten. Der gebürtige Belgier (Hasselt) fährt nach Spa sein zweites Heimrennen. Es soll der zweite Erfolg her. In Belgien reichte ihm ein starker Qualifikations-Samstag, um am Sonntag halbe Punkte einzufahren. In Zandvoort strebt Verstappen nach der Maximalpunktzahl. Ein Sieg würde ihm garantieren, dass er die WM-Führung gegen Lewis Hamilton zurückerobert.
"Es wird sicher speziell, ein Rennen vor meinen Fans in den Niederlanden zu fahren. Es wäre unglaublich, nach Österreich für Red Bull und Belgien für mich auf einer weiteren Heimstrecke zu gewinnen – besonders vor der orangen Armee auf den Tribünen", sagt der Lokalmatador. Verstappen kennt den Circuit Zandvoort aus Formel-3-Zeiten und aus ein paar Showruns mit Red Bull. "Dass ich die erneuerte Strecke bereits in einem Formel-1-Auto gefahren bin, könnte in den ersten Runden nützlich sein."
Weltmeister Hamilton stellt sich auf einen heißen Tanz ein. Der Empfang dürfte frostig ausfallen. Auf der anderen Seite würde ihn ein Auswärtssieg sicher beflügeln. Mercedes gegen Red Bull, Hamilton gegen Verstappen: Der spannende Titelkampf geht in Runde 13. Mercedes.Teamchef Toto Wolff gibt sich angriffslustig: "Wir haben am vergangenen Wochenende in beiden Weltmeisterschaften Punkte verloren, aber zum Glück müssen wir nicht lange auf die nächste Gelegenheit warten, um unseren Vorsprung wiederauszubauen. Das ist eine spannende Perspektive."
Die Strecke: Circuit Park Zandvoort./strong>
Rund 300 Kilometer reisten die Teams mit schwerem Gepäck von Spa-Francorchamps nach Zandvoort. Der Circuit de Zandvoort, der 1948 eröffnet wurde, befindet sich westlich der Hauptstadt Amsterdam. Es sind von dort etwa 30 Minuten mit dem Zug. Der 4,259 Kilometer lange Kurs ist malerisch in die Dünen eingearbeitet, und hat sich den Charme einer Old-School-Rennstrecke trotz der Modernisierungsarbeiten in den letzten Jahren erhalten. Enge Passagen wechseln sich auf der Strecke, die unmittelbar an der Nordseeküste liegt, mit schnellen Kurvenfolgen ab. Man könnte auch sagen: Zunächst geht es langsam los, dann wird es im Mittelteil mit einem Geschlängel sehr schnell, und hinten heraus eher wieder langsamer.
Die Fahrer sprechen nach ihren Eindrücken im Simulator von einer ungewöhnlichen Strecke, auf der es hoch und runter geht. Grobe Fehler werden sie sich nicht leisten dürfen. Die Auslaufzonen erscheinen nicht groß – und sie sind größtenteils nicht geteert, sondern mit Kies oder Gras ausgelegt. Das trifft besonders auf die sehr schnelle Passage zwischen den Kurven 4 und 8 zu. Mercedes rechnet mit folgenden Geschwindigkeiten in diesem Abschnitt. Kurve 4: 260 km/h. Kurve 5: 275 km/h. Kurve 6: 280 km/h. Kurve 7: 240 km/h. Kurve 8: 230 km/h.
Besonders markant ist die Tarzan-Haarnadel am Ende von Start-Ziel – eine 180-Grad-Rechtskurve, die überhöht ist. Es ist die beste Überholstelle, weil die Fahrer aus über 300 km/h abbremsen. Pirelli geht hier von einer starken Verzögerung von etwa 5g aus. Ähnlich hart sei die Bremszone vor Kurve 11. Eine Neigung zwischen 18 und 19 Grad weisen die Hugenholtzbocht (Kurve 3, etwa 110 km/h) und die Zielkurve namens Arie-Luyendijk-Bocht auf, die mit rund 260 km/h genommen werden dürfte. Das Gefälle ist dort also etwa doppelt so ausgeprägt wie im Oval von Indianapolis.
Wirklich lange Geraden gibt es in Zandvoort nicht. Pierre Gasly stellte bei seinen Proberunden im Simulator zudem fest, dass das Asphaltband eher schmal ist. Seine Schlussfolgerung: Überholen wird nicht einfach, die Qualifikation dafür umso wichtiger. Verstappen stimmt zu: "Es könnte etwas schwer werden, zu überholen. Auf eine einzelne Runde wird es sich sicher gut anfühlen für uns Fahrer. Die Quali-Runden werden sehr schnell sein. Jeder Fehler wird dafür umso teurer."
Mal sehen, ob die überhöhten Kurven beim Überholen helfen. Der Gedanke dahinter ist, dass die Fahrer mit der Linie spielen können, der turbulenten Luft des vorausfahrenden Autos gewissermaßen ausweichen sollen, um vor den Geraden nicht zu weit abreißen zu lassen. Außerdem werden die Geraden durch die überhöhten Kurven gewissermaßen "künstlich" verlängert, weil die Piloten früher auf dem Gas stehen. Die FIA schreibt zwei DRS-Zonen aus. Auf der Zielgerade und zwischen den Kurven 10 und 11.
In zwei Sektionen werden die Zuschauer den Fahrern besonders nah sein. Die Kurven 2 bis 4 sowie 11 und 12 haben gewissen Stadion-Charakter. Noch ein Fakt: An der Küste kann es auch mal stärker winden. Das treibt Sand auf die Fahrbahn. Noch etwas: Haben Sie ein Auge auf die Strategie. Die Boxengasse ist sehr kurz. Das könnte den einen oder anderen dazu bewegen, einmal mehr die Reifen zu wechseln.
Fast Facts
- Streckenlänge: 4,259 Kilometer
- Anzahl der Kurven: 14 (4 links, 10 rechts)
- Rundenzahl: 72
- Gesamtdistanz: 306,648 km
- Pirelli-Reifen: C1, C2, C3
- Distanz Pole zur ersten Bremszone: 215 Meter
- Länge der Boxengasse unter Speed-Limit: 210 Meter (Durchfahrtszeit: 12,6 Sek.)
- Spritverbrauch: hoch (70% Vollgasanteil gemessen an Rundendistanz)
Setup
Wie bereiten sich die Teams auf eine neue Herausforderung vor? Noch bevor die Autos einen Meter rollen, wurden in den Fabriken schon tausende Rennen simuliert. Die virtuelle Maschine dreht unzählige Runden und sammelt etliche Terrabyte an Daten. Dadurch gewinnen die Teams ein breites Spektrum an Setup-Optionen. Parallel dazu fährt der echte Pilot im Driver-in-Loop-Simulator, testet die verschiedenen Einstellungen und erlangt ein Gefühl dafür, was funktioniert und was nicht.
Zandvoort hat mit seinem flüssigen Layout eigentlich alles zu bieten. Technisch anspruchsvolle Sequenzen, die mechanischen Grip erfordern. Wie etwa die Kurven 3, 11 und 12. Hier braucht es Traktion aus den langsamen Ecken. Die vielen schnellen Kurven verlangen Abtrieb. Spricht in Summe für einen Kompromiss und ein mittleres Abtriebs-Niveau. Sicher ist, dass die Autos mit deutlich größeren Flügel bestückt werden als zuletzt in Spa-Francorchamps. Zu tief dürfen die Autos für die Runden in den Dünen nicht eingestellt sein, weil der Asphalt nicht topfeben ist. Eine fiese Bodenwelle gibt es beispielsweise im Bereich von Kurve 6 (Rob-Slotemaker-Bocht).
Pirelli liefert für die erste Ausfahrt in den Niederlanden nach 36 Jahren die härtesten Mischungen (C1-C3). Die Italiener gehen ohne echte Referenzwerte auf Nummer sicher – mit Verweis auf die schnellen Kurven, in denen die Reifen rangenommen werden, und die Steilkurven, die eine zusätzliche Belastung darstellen. Minimal müssen die Teams den Vorderreifen mit 22,0 Psi aufblasen. Hinten sind mindestens 21,5 Psi vorgeschrieben.
Für das Wochenende sind keine hohen Temperaturen vorhergesagt. Am Freitag und Samstag sollen es um die 20 Grad Celsius werden. Für den Rennsonntag sind Regenschauer nicht ausgeschlossen. Die Kombination aus eher moderaten Temperaturen und harten Reifen könnte die Gefahr von körnenden Reifen erhöhen.
Technik-Updates
Sie merken: Dieser Textabschnitt wird von Rennen zu Rennen kürzer. Die Teams belegen den Windkanal nur noch mit den 2022er Modellen. In dieser Saison wird technisch nicht mehr viel kommen. Mercedes hatte bereits vor der Sommerpause für das Auswärtsspiel in Zandvoort seine letzten kleineren Upgrades des Jahres angekündigt. Bei Rivale Red Bull sind neue Teile nie ausgeschlossen. Das Team hält sich in den letzten Wochen mit Ankündigungen dazu zurück. Die Spione müssen schon ganz genau hinschauen. Ansonsten könnte McLaren noch kleinere Updates mitbringen.
Favoriten
Es ist schwer auszumachen, ob Mercedes oder Red Bull die Oberhand haben wird. Da tun sich auch die Ingenieure der jeweiligen Teams im Vorfeld schwer. Mercedes glaubt anhand der Simulationen, dass Zandvoort aus dem Triple-Header mit Spa und Monza die passendste Strecke für den W12 sei.
Mit der Pole und dem Sieg im Regen von Belgien hat sich Verstappen nach der Pleitenserie vor der Sommerpause freigeschwommen. Den Abstand in der WM hat er gegenüber Hamilton auf drei Punkte verkürzt. Wer sechs von 12 Saisonrennen gewonnen hat, geht auf dem Papier zumindest als leichter Favorit ins Rennwochenende. Zumal der Red Bull RB16B auf den meisten bisherigen Strecken eine Spur schneller war als der Mercedes.
Viel wird davon abhängen, wie die Teams ins Rennwochenende kommen. Wer mit seinem Basis-Setup richtig liegt, kann sich schnell ans Feintuning machen. Das schafft auch Vertrauen für den Fahrer. Zandvoort ist gewissermaßen für alle Neuland. Alle werden bestrebt sein, fehlerfrei durchzukommen. Wer abfliegt, wird es wegen der kleinen Auslaufzonen wahrscheinlich teuer bezahlen.
Im Mittelfeld könnte Ferrari von den eher kurzen Geraden profitieren. Da fällt der Leistungsnachteil des V6-Turbos nicht so sehr ins Gewicht. Der Mix aus langsamen und schnellen Kurven verspricht Spannung. Ferrari ist für gewöhnlich in langsamen Sektionen sehr schnell, McLaren in schnellen. Wie an der Spitze ist es vorab sehr schwer zu beurteilen, wie sich das Mittelfeld in Zandvoort zusammenstellt. Alpha Tauri könnte auf eine schnelle Runde dank Pierre Gasly wieder sehr stark sein. Aston Martin und Alpine sind für Überraschungen immer gut – im positiven wie negativen Sinne.
Williams hofft einmal mehr auf die Qualifikations-Qualitäten von George Russell. Alfa Romeo muss in Zandvoort damit anfangen zu punkten, wenn man dem englischen Traditionsteam noch den achten Platz in der WM streitig machen möchte. Der Abstand ist auf 17 Punkte angewachsen. Viele im Fahrerlager sagen, dass dieser Rückstand schon jetzt nicht mehr gutzumachen sein wird.