Auf den Spuren deutscher Märchen

Mit dem Rad und dem Reisemobil wollen wir Hessen erkunden. Aber nicht auf gewöhnliche Art und Weise: Wir zeigen die besten Stationen des Märchenstraßen-Fernradweg.
Vor gut 200 Jahren erfand Karl Drais das Fahrrad, und die Brüder Grimm sammelten ihre Märchen. Heute kommt beides zusammen, auf dem neuen Märchenstraßen-Fernradweg. Eine zauberhafte Tour mit Rad und Wohnmobil. Unser Reisemobil steht gut auf dem Stellplatz in Steinau an der Straße. Von dort aus sind wir per Bahn nach Hanau gelangt, zum eigentlichen Ausgangspunkt unserer Tour.
Vor Hanaus Rathaus steht das Nationaldenkmal mit Wilhelm und Jacob Grimm, den berühmten Söhnen der Stadt. Hier startet der Radweg durch die vogelreichen Auen der Kinzig über Gelnhausen nach Steinau, wo Vater Grimm einst eine Stelle als Amtmann angenommen hatte. StadtführerInnen in märchenhaften Kostümen zeigen uns das Brüder-Grimm-Haus, den Märchenbrunnen und das Renaissanceschloss, in dem eine Brüder-Grimm-Dauerausstellung eingerichtet ist, ebenso jene Stelle an der Kinzig, wo sich einst der Grimmsche Garten befand.
Mit den Rad durch Hessen
Von Steinau aus geht es tags darauf durch die weite Mittelgebirgslandschaft der Vogelsbergregion ein Stück weit auf dem bestens präparierten Vulkanradweg über Lauterbach nach Alsfeld. Hier ist Rotkäppchen zu Hause. Das Mädchen im roten Kleid bewegt sich behände durch die mittelalterlichen Gassen mit ihren historischen Gebäuden und trifft vor der Kulisse des Rathauses auf den bösen Wolf. Mit den beiden macht die Erkundung des Alsfelder Märchenhauses besonders viel Spaß.
Wieder auf dem Rad, folgen wir dem Weg durch die ehemalige Vulkanlandschaft nach Marburg. Während ihrer Studienzeit wohnten die Brüder Grimm in der Oberstadt, wo auch der "Grimm-Dich-Pfad" beginnt. An 16 Stationen kann man da Märchentexte auf dem Smartphone abrufen. In Gößfelden, ein wenig nördlich von Marburg, lebte der Maler Otto Ubbelohde, der Hunderte von Illustrationen zu den Grimmschen "Kinder- und Hausmärchen" anfertigte. Gebäude und Landschaften seiner näheren Umgebung dienten ihm dabei als Motivvorlagen.
Die Route führt nun auf dem gut ausgebauten Lahn-Eder-Radweg nach Frankenberg mit seinem zehntürmigen Rathaus und streift weiter östlich Kloster Haina, bevor sie sich dem Dorf Bergfreiheit nähert. Bereits unten an der Straße machen sieben Zwergenfiguren auf das liebevoll hergerichtete und sehr besuchenswerte Schneewittchenhaus im Dorf aufmerksam.
Von den sieben Zwergen geht es weiter zum Edersee und über die mächtige Staumauer hoch zum Schloss Waldeck. Nur wenige Pedalumdrehungen später überqueren wir das spektakuläre Selbacher Viadukt. Bald ist das Etappenziel Wolfhagen erreicht. Hier erinnert ein schön gestalteter Brunnen an das Märchen "Der Wolf und die sieben Geißlein". Noch mehr Tipps zum Edersee gibt es hier.
Anderentags gelangen wir nach einigen "Bergwertungen" südlich des Habichtswaldes nach Kassel. Im Ortsteil Niederzwehren lebte Dorothea Viehmann, die den Grimms mehr als 40 Volksmärchen erzählte. Das Quartier – auch Märchenviertelgenannt – besticht mit properen Fachwerkhäuschen und einem Platz mit einer Büste der Märchenerzählerin.
Auf den Spuren der Gebrüder Grimm
Kassel war ohnehin für die Brüder Grimm eine prägende Lebensstation. Fast 30 Jahre lang haben sie hier als Sprach- und Literaturwissenschaftler gewirkt und 1812 den ersten Band ihrer Kinder- und Hausmärchen herausgegeben. Das Museum "Grimmwelt" oberhalb der Stadt vermittelt interaktiv vieles über das Leben und Schaffen der Brüder.
Frau Holle schüttelt gerade in Hessisch Lichtenau, unweit von Kassel, ihre Betten aus dem Fenster des Holleums aus. Echte Federn fliegen durch die Luft. Unten im Ort erleben wir die zwölf Stationen des Frau-Holle-Rundwegs, die Motive dieses Märchens vorstellen, allesamt gestaltet von Studenten der Kasseler Kunstakademie.
Nun führt die Route wieder ins Fuldatal nach Melsungen mit seinem stattlichen Rathaus und rund 350 Fachwerkbauten. An der historischen Bartenwetzerbrücke trafen sich früher die Holzeinschläger, um zusammen in die umliegenden Wälder zu ziehen. Bevor sie das taten, wetzten sie ihre Äxte, die "Barten", am Sandstein der Brücke. Die Spuren sind heute noch zu sehen.
Entlang der Fulda geht’s anschließend in Richtung Rotenburg. Zwischen Beiseförth und Binsförth heißt es den Fluss zu queren, und zwar per schwebender Seilfähre, die wir mit einer Handkurbel selbst bedienen. Vom Fulda-Radweg zweigt der "Bahnradweg Rotkäppchenland" ab und windet sich in großen Schleifen durch den Knüll. Im Luftkurort Neukirchen legen wir einen Stopp ein, denn im Märchenhaus "verzaubert" eine Erzählerin kleine und große Zuhörer mit Grimmschen Geschichten. Fachwerkperlen wie Homburg (Efze) und Fritzlar liegen am Weg, bevor wir wieder nach Kassel zurückkommen.
Auf der Ostschleife des Märchenstraßen-Radwegs radeln wir nun am Hohen Meisner vorbei ins Werratal und schlagen einen Bogen zum Kurort Bad Sooden-Allendorf. Ganz in der Nähe erinnert eine Zauberbrücke an die Sage vom Fischer, der ein unscheinbares Männchen über den Fluss setzte und dafür mit Gold belohnt wurde – was ihm letztlich aber kein Glück brachte.
Abseits des Werra-Radwegs beginnt im Friedatal gleich hinter Geismar der Kanonenbahn-Radweg. Die Fahrt auf dieser gut ausgebauten Ex-Bahntrasse ist ein besonderes Erlebnis, denn sie führt durch fünf Tunnel Richtung Eichsfeld. Ziel ist Heiligenstadt. Hier hat man an der Therme einen Park mit Stationen zu den Grimmschen Märchen angelegt. Nett gemacht, nicht nur für Kinder.
Die Schauplätze der Märchen entdecken
Der Wilhelm-Busch-Mühle begegnen wir auf dem Weg nach Göttingen in Ebergötzen, wo Busch seine Kinderjahre verbrachte. Mit dem befreundeten Müllersohn heckte er so manchen Streich aus. Kein Wunder, dass die Mühle als Vorlage für die Max-und-Moritz-Geschichten diente, die Busch auch in gekonnter Manier illustrierte.
Göttingen ist eine weitere wichtige Lebensstation der Grimms. Sie lehrten von 1829 bis 1837 an der hiesigen Universität. Für das Grimmsche Märchen "Die Gänsemagd" steht vor dem alten Rathaus der Gänseliesel-Brunnen. Nach alter Sitte wird die Mädchenstatue von Doktoranden nach bestandener Prüfung geküsst.
Durch seine Heilerfolge als Chirurg wurde Doktor Eisenbart über die Stadtgrenzen von Hannoversch Münden hinaus bekannt. Stadtführer Ernst Polej – als Eisenbart kostümiert – erzählt seinen Gästen manche Anekdote auf einem Rundgang durch die Fachwerk-Altstadt.
Der weitere Verlauf der Märchenstraßen-Route folgt hauptsächlich dem Weser-Radweg, wo zahlreiche historische und märchenhafte Orte angesiedelt sind. So treffen wir zunächst in Oedelsheim auf eine mannshohe hölzerne Statue, die dem "Gestiefelten Kater" gewidmet ist. Städte wie Bad Karlshafen, das beschauliche Höxter und der Duftort Holzminden folgen. Dazwischen liegt das imposante Unesco-Welterbe Kloster Corvey.
Hinter Holzminden erhebt sich im kleinen Ort Polle auf einem Felsen direkt an der Weser eine Burgruine, in der in den Sommermonaten das Märchen Aschenputtel aufgeführt wird. Weiter voran, in Bodenwerder, lebte Freiherr von Münchhausen, der im Kreise seiner Freunde seine fantastischen Lügengeschichten erzählte.
Auf dem Weser-Radweg radelt es sich ganz wunderbar bis nach Hameln. Für eine Führung ist "Rattenfänger" Michael Boyer erste Wahl. Mit seinem Lastenfahrrad samt Ratte im Gepäck zeigt er mit Hingabe die schönen Ecken der Stadt. Viele sehenswerte historische Stadtkerne wie Rinteln oder Vlotho liegen in unmittelbarer Nähe zum Weser-Radweg. Hinter Minden lohnt sich noch ein Abstecher zum Wilhelm-Busch-Geburtshaus nach Wiedensahl, bevor es über Nienburg nach Bremen geht.
Die Bremer Stadtmusikanten warten schon am historischen Rathaus auf uns. Schön angetan als Esel, Hund, Katze und Hahn, laden sie zu den besonderen Sehenswürdigkeiten der Stadt ein. Zum Abschluss unserer märchenhaften Fahrradtour kehren wir im verwinkelten Schnoor-Viertel ein, um auf eine gelungene Rad-und-Mobil-Tour anzustoßen.
Infos und Etappen
Der Märchenstraßen-Radweg setzt sich aus einer Hauptroute und drei Rundkursen zusammen mit insgesamt 32 Etappen. Die hier vorgestellte Tabelle beschränkt sich auf die ersten sieben Etappen als Beispiel für weitere Planungen. Gut 400 Kilometer lang sind diese Etappen. Darunter sind leicht bergige Passagen, die aber auch ohne E-Unterstützung zu schaffen sind. Separate Radwege, ehemalige Bahntrassen, Nebenstraßen oder Wirtschaftswege kennzeichnen die Route.
Kleinere Abschnitte sind auch mal geschottert. Die ausgewählten Stellplätze verfügen über Stromanschlüsse, sodass das abendliche Aufladen von Pedelec-Akkus problemlos möglich ist. Die Rückfahrt zum Mobil nach absolvierter Radetappe erfolgt per Bahn. Von Bad Wildungen nach Frankenberg und von Wolfhagen nach Bad Wildungen verkehren Busse, die aber auch Räder mitnehmen.
Zu jeder einzelnen Etappe gibt’s Hinweise samt GPX-Tracks auf der Homepage des Vereins Deutsche Märchenstraße e.V. deutsche- maerchenstrasse.com
Beispiele für die Etappenplanung mit dem Fahrrad
- Von Hanau nach Steinau: ca. 60 km
- Von Steinau nach Alsfeld: ca. 72 km
- Von Alsfeld nach Marburg: ca. 69 km
- Von Marburg nach Frankenberg: ca. 58 km
- Von Frankenberg nach Bad Wildungen: ca. 41 km
- Von Bad Wildungen nach Wolfhagen: ca. 54 km
- Von Wolfhagen nach Kassel: ca. 49 km
Stellplatz-Tipps für den Märchenstraßen-Fernradweg
1. Stellplatz Am Steines
2. Stellplatz Am Erlenstadion
3. Stellplatz Jahnstraße
4. Stellplatz Ederberglandhalle
5. Stellplatz Bahnhofstraße
6. Stellplatz Bruchwiesen
7. Stellplatz Giesenallee