Jaguar XKR im Test
Mit Samtpfoten, Sirenengeheul und spektakulärer Silhouette pirscht sich der Jaguar XKR an den Sportwagen-Liebhaber. Wie scharf sind die Krallen der britischen Raubkatze über die Marathondistanz von 50.000 Kilometer? Der Dauertest gibt Aufschluss.
Patriotismus in gemäßigten Dosen ist eine feine Sache. Den schönen Dingen im Leben verleiht erst der nationale Standpunkt prickelnde Emotionalität. Was wäre eine Fußball-WM ohne fahnenschwenkende Anteilnahme? Doch allzu großer Nationalstolz kann den Blick auch trüben. Über viele Jahrzehnte kauften Leute Jaguar-Mobile, weil sie britische Autos sind. Das ist kein taugliches Argument. Aus demselben Grund könnte jemand aus Ankara auf den Gedanken verfallen, nur türkische Autos zu kaufen. Wer bereit ist, die nationale Brille abzulegen, steht jedoch oft vor alten Problemen. Britische Sportwagen gelten in Deutschland als hinreißend schön, aber auch als schlampig verarbeitet und etwas kapriziös. Anglophilie erforderte früher in der Tat eine gewisse Leidensfähigkeit. Die Betonung liegt auf früher – wie der Dauertest des Jaguar XKR belegen kann.
Ist das ein Aston?
Der Tankwart in Magdeburg war unschlüssig: „Ist das ein Aston Martin?“ Besser hätte man die Frage nicht stellen können. Während der Jaguar gurgelnd seinen Lebenssaft inhaliert, bleibt Zeit, den Faden aufzunehmen. Er liegt tief. Seine Reifen sind flach, sein Grill ziert ein Aluminiumgitter, sein Seitenprofil macht ihn zum Sean Connery der Automobilwelt. Lange Haube, geduckte Kanzel, hinten salutiert das maulige Heck mit drohenden Auspuffrohren. Nur die Front irritiert mit dem Hyundai-Blinzeln der Scheinwerfer. Trotzdem: James Bond wäre stolz auf diesen Dienstwagen.
Doch mit Schönheit allein verkauft man keine Autos mehr. Der Preis muss stimmen, die Qualität und die Zuverlässigkeit auch. Die Frage des Tankwarts gibt der Betrachtung eine Perspektive: Was, wenn man den Jaguar als günstigen Aston Martin betrachtet? Zwischen einem Aston und dem XKR klafft ein monetärer Abgrund von mindestens 20.000 Euro. Natürlich könnte man auch einen BMW oder Mercedes erwägen, um Gegner aus nationaler Sicht ins Spiel zu bringen. Aber welcher Tankwart wird Ihnen dann noch eine Frage stellen? Ein modernes Auto muss gnadenlos funktionieren. Jeder Ärger ist ein Ärger zu viel, wenn man 104.155 Euro auf den Tisch des Hauses geblättert hat.
Beinahe blütenreine Bilanz
Gab sich der XKR eine Blöße? Mitnichten, die Mäkelbilanz umfasst nach 53.873 Kilometer schlanke drei Einträge. Ein Halteknipps der Kofferraumabdeckung machte sich dünne. Ein Prallblech der Auspuffanlage sorgte für sirrende Untermalung. Entschuldbare Peanuts. Nur ein Mal kam es zur nennenswerten Irritation – die Motorwarnleuchte sprang an, weil sie einen Fehler dechiffrierte. Eine schadhafte Dichtung des Kompressors hatte den Computer alarmiert, woraufhin die Werkstatt eine defekte Auslassdichtung tauschte. 1.000 Kilometer später schlug das Steuergerät abermals Alarm, denn der erste Fehler hatte auch die Katalysatoren in Mitleidenschaft gezogen, die nun auf Garantie ebenfalls ausgetauscht werden mussten. Das war der kleine Kummerkasten für ein großes Auto. Mercedes oder BMW würden sich über so eine Dauertestbilanz aufrichtig freuen.
Und wir erinnern uns: Beim letzten XKR-Dauertest von sport auto im Jahr 2002 fiel das Fazit deutlich schattiger aus. Die Wandlung vom Saulus zum Paulus hat handfeste Gründe. Die Arbeit des Jaguar-Test-Zentrums am Nürburgring, das vor Jahren die Stabführung bei der Entwicklung neuer Modelle übernahm, verbesserte die Qualitätssicherung. Und dieses Test- Zentrum war auch für den sportlichen Kantenschliff des Supersportmodells XKR verantwortlich. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Großes Lob an die Fahrwerksabteilung
An erster Stelle ist das Fahrwerk zu nennen. Trotz flacher 20-Zoll-Bereifung konnte das adaptive Dämpfersystem CATS voll überzeugen: Egal welche Schandtaten man dem 1.770 Kilo leichten Alu-Chassis auch zumutete, ob Rundkurs, walisische Landstraßen, deutsche Autobahnen oder die Kanaldeckel und Tramschienen des Stadtverkehrs – der XKR traf spielerisch den korrekten Ton. Natürlich gaben die Jaguar-Ingenieure der Fahrkultur den Vorrang vor der Fahrdynamik. In der Summe führt das dazu, dass manch ein Konkurrent am absoluten Limit schneller ist, weil sich der Jaguar bei Kurvenfahrt auf Grund der moderaten Abstimmung stärker neigt.
Andererseits glänzt der XKR mit einer Allround- Könnerschaft beim Federn und Dämpfen, die nicht wenige als konkurrenzlos einstufen. Mit Samtpfoten glitt der Jag über jede Straße, selbst wenn sie nicht seinem Stand und Adel entsprach. Für eine steife Oberlippe sorgten nur grobe Querverwerfungen, die die mächtigen und schönen 20-Zoll-Räder kurz erbeben ließen. Das positive Bild im Alltag paart sich mit Gutmütigkeit und Narrensicherheit am fahrdynamischen Limit. Selbst bei ausgeschalteter Stabilitätskontrolle tun sich keine Abgründe auf: Sanft untersteuernd peilt der 416 PS starke XKR Kurven an, der Drift am Kurvenausgang ist einer leichten Traktionsschwäche geschuldet, aber spielerisch zu kontrollieren. Lastwechselreaktionen sind kaum wahrnehmbar.
Dezenter Reifenverschleiß, Tadel für die Bremse
Obwohl die 285 Millimeter breiten Hinterräder unter der Gewalt des V8-Kompressormotors zügig in Gleitreibung übergehen, hielt sich der Verschleiß der nicht gerade billigen Gummis (zirka 1.100 Euro pro Satz) in Grenzen: Je ein Satz Winter- und Sommerreifen konsumierte der Jag, nur einmal mussten neue Pneus an der Hinterachse aufgeschnallt werden. Die für das Sportmodell entwickelte Bremse mit 355 Millimeter großen Scheiben an der Vorderachse funktionierte unter Alltagsbedingungen einwandfrei. Die vom Vorgänger bekannte Neigung zum Scheibenverzug war wie weggeblasen. Im ruppigen Rennstreckenbetrieb schaffte die Anlage freilich nur durchschnittliche Verzögerungswerte.
Zwei weitere Auffälligkeiten: Der XKR verfügt über keine Bremsbelagverschleißanzeige, was im Testbetrieb prompt zu vollständig abgenudelten Belägen an der Hinterachse führte. Folglich mussten die Bremsscheiben unplanmäßig getauscht werden. Kritik erntete auch das verzögerte Ansprechverhalten unter nassen Bedingungen.
Sauber arbeitendes, aber sehr lang übersetztes Getriebe
Im Antriebskapitel konnte der Jaguar XKR abermals kräftig punkten. Das verstärkte Sechsgangautomatikgetriebe von ZF war ein Quell der Freude. Wie ein stummer Diener schien es jeden Zug des Piloten buchstäblich zu erahnen und schob im D-Modus sanft und unmerklich die passende Gangstufe nach. Der Sport-Modus verfügt über eine modifizierte Schaltstrategie, die sich über eine Erkennung des Fahrertyps selbstlernend anpasst. Die Gänge werden länger gehalten, Zwischengasstöße beim Runterschalten eingeschnalzt. Für Dynamik-Freaks bietet das S-Programm einen manuellen Modus, bei dem die Gänge über Schaltwippen am Lenkrad gewählt werden.
Die Getriebeabstufung war eindeutig der Reduzierung des Verbrauchs verpflichtet. Die Kernstrategie schien zu lauten: immer schön unterhalb der verbrauchstechnischen Todeszone von 4.000/min entlang zu balancieren. So verströmte der sechste Gang Overdrive-Feeling. Wer die künstliche Blockade auf freier Autobahn durch manuelle Eingriffe umging und höher drehte, musste mit Verbräuchen von bis zu 28 Liter rechnen. Für Gleiter galten moderatere Gesetze: Im Durchschnitt konsumierte der Jag 15,7 Liter auf 100 Kilometer. Schaltstrategien sind dem 4,2-Liter-V8- Motor dank Kompressoraufladung übrigens schnuppe. Zwischen 2.000 und 6.000 Umdrehungen stehen immer über 500 Nm parat.
Hervorragende Cruiser-Eigenschaften
Der eklatante Drehmoment-Überfluss erzog den Fahrer im Zusammenspiel mit dem perfekten Getriebe-Arrangement zu kühler Gelassenheit. In freier Wildbahn hätte man mit dem Jaguar wie ein Feuerteufel auf Pirsch gehen und auf vielen BMW und Mercedes den Union Jack zum Zeichen des Sieges hissen können. Doch das Gegenteil war wahr: Das Wissen um die Motormacht ertränkte jedes pubertäre Raufgelüst.
Ein Wort zur Akustik: Der Vorgänger klang wie eine Küchenmaschine mit Lagerschaden, jetzt dringt nur gedämpftes V8-Grollen in den Pilotenraum. Auf dem Planet Jaguar herrscht Ruhe. Für die Ausgesperrten wurde eine V8- Klangwolke komponiert, die entfernt an das Gebrabbel amerikanischer Stock Cars erinnert – aber gedämpft und frei von Angebertum.
Das Herrenhaus, in dem die Piloten reisen, kann mit der äußerlichen Schönheit und den geschliffenen Manieren von Fahrwerk und Antrieb nicht mithalten. Zwar verströmten die für den XKR entwickelten Sportsitze flauschige Gemütlichkeit und guten Komfort, zudem glänzten sie im Verbund mit dem axial verstellbaren Lenkrad mit guter Variabilität. Doch dem eng geschnittenen Innenraum fehlt es an Witz und Würze. Stattdessen verteilte Jaguar Alu-Paneele mit Flechtoptik im Innenraum, die entfernt an Stanniolpapier erinnern.
Unsinnige Bedienstruktur im Bordcomputer
Besonders das mit Touchscreen-Technik verfeinerte Bordcomputer- Menü provozierte den einen oder anderen rüden Kommentar in der Testkladde. Das Menü des Navigationssystems zum Beispiel war nicht frei von Drolligkeiten: Wer die Wegweisung beenden wollte, musste erst zurück ins Hauptmenü und dann umständlich in ein Untermenü absteigen. Auch die Darbietungen der Musikanlage waren enttäuschend. Allein zum schnöden Hören musste das Radio auf volle Lautstärke hochgejazzt werden. Der konturlose Bass und die quäkenden Höhen ließen musikalisch Interessierte sofort wieder abdrehen. Das Audio-System taugte bestenfalls zum Hören des Deutschlandfunks.
Andererseits gab es nach der harten Dauertestmarter weder im Innenraum noch an der äußeren Hülle Abstriche bei der Anmutung zu beklagen – neuwertig und ohne Verlust von Glamour präsentierte sich der Jag bei der finalen Wertschätzung. Der tadellose Gesamtzustand wurde vom Gutachter mit einem Restwert von 73.150 Euro belohnt. Weit und breit ist beim Jaguar XKR nichts von insularer Schrulligkeit oder Kurzatmigkeit im Ausdauerfach zu erkennen. Wer den Kauf eines schönen, sportlichen Coupés erwägt, darf sich bei Strafe des Vorwurfs der Fahrlässigkeit nicht mehr nur mit deutschen Produkten beschäftigen. Für 2009 hat Jaguar bereits eine überarbeitete Version des XKR vorgestellt.