McLaren 675LT im Test
675 PS treffen auf 1.402 Kilo – klingt nach einem rauschenden Querdynamik-Ausflug, oder etwa doch nicht? Wir haben den limitierten McLaren 675LT zum ersten und exklusiven Test auf der Rennstrecke.
Lancia Delta Integrale Evo Martini 6, Porsche 911 GT3 RS 4.0, Nissan GT-R Nismo – limitierte Sondermodelle sehen meist rattenscharf aus, sind gleich ausverkauft und erfreuen sich mehr oder minder schnell einer Wertsteigerung. Doch sind sie ihr Geld auch wirklich wert?
McLaren 675LT kostet 309.750 Euro
Auch unser aktueller Testkandidat McLaren 675LT ist limitiert. Alle 500 Exemplare sind bereits vergriffen. Im Vergleich zu seinem nur 25 PS schwächeren Basismodell 650S genehmigt sich der McLaren 675LT mit einem Einstandspreis von 309.750 Euro einen Aufpreis von fast 80.000 Euro.
Droht wieder ein Sondermodell-Déjà-vu wie beim Nissan GT-R Nismo, der seinen Aufpreis nicht rechtfertigte? Zunächst schwelgen wir erst einmal in der McLaren-Historie. Das LT des 675 steht für Longtail und soll an den legendären Rennwagen McLaren F1 GTR Longtail erinnern, der 1997 in der FIA-GT-Meisterschaft den Vizetitel einheimste. Da dieser ein verändertes Bodywork trug, mussten zu Homologationszwecken drei Straßenversionen gebaut werden. Die F1 GT genannte Straßenvariante trug ebenfalls eine 600 mm längere Heckpartie und war insgesamt 100 mm breiter als die normalen F1-Straßenmodelle.
Und nutzt der neue McLaren 675LT seinen legendären Namenszusatz zu Recht? An der Front trägt das Sondermodell einen längeren Frontsplitter und hinten einen 50 Prozent größeren Carbon-Heckflügel, der bei McLaren traditionell auch als Bremsklappe (Airbrake) genutzt wird. Laut McLaren soll die modifizierte Aerodynamik den Abtrieb um bis zu 40 Prozent erhöhen.
Nur 34 mm länger und 2 mm breiter als der 650S
Ein optisch echter Longtail, wie zu F1-Zeiten, ist der britische Novize jedoch nicht. Im Vergleich zum 650S ist der McLaren 675LT lediglich 34 mm länger und nur 2 mm breiter. Leicht nach hinten lehnen und an der geöffneten Schmetterlingstür vorbei in den Sitz einfädeln – die Einstiegs-Choreografie in den McLaren 675LT kommt uns bekannt vor. Und auch danach treffen wir auf Vertrautes. Bis auf die CarbonVollschalensitze ähnelt der 675LT Innenraum den bisherigen McLaren-Modellen der Neuzeit. Gut so, denn egal ob MP4-12C, 650S, P1 oder jetzt 675LT – die fahrerorientierte Ergonomie sucht ihresgleichen in der Sportwagen-Champions-League.
Die 675LT-Pressemappe liest sich wie die Diätversprechen so mancher Abnehmwunderpille. Von 100 Kilo Gewichtsreduktion gegenüber dem 650S ist in den Zeilen die Rede. Das letzte 650S Coupé haben wir samt vollem Tank mit 1.433 Kilo gewogen. Du meine Güte, davon sollen jetzt noch einmal 100 Kilo wegfallen? Gewicht sparen sollen zahlreiche Carbon-Teile, eine Polycarbonat-Heckscheibe, neue Schmiederäder, leichtere Fahrwerksteile, leichtere Motorteile, Carbonsitze, leichtere Teppiche, eine reduzierte Schalldämmung sowie ein leichterer Kabelbaum.
Wir als Tester glauben an PR-Mitteilungen genauso fest wie Teenager an den Weihnachtsmann. Dass man auch der McLaren-PR nicht zu viel Glauben schenken darf, zeigt der 675LT, als er mit vollem Tank auf unsere Testwaage rollt. Das neue Sondermodell ist nicht 100 Kilo leichter als der letzte Testwagen des 650S Coupé, sondern nur 31 Kilo! Trotzdem kann der McLaren 675LT begeistern.
Wow! 0–300 km/h in 24,6 s!
Wie beim 650S belebt der Startknopf auf der Mittelkonsole den V8-Biturbo. Mehr als 50 Prozent des Motors sollen neu sein. Dafür fällt das 25-PS-Leistungs-Upgrade auf 675 PS dann doch erstaunlich zurückhaltend aus. Wie alle bisherigen Biturbos der M838-Baureihe kann auch der 675LT sein Turboloch nicht verheimlichen. Erst ab 4.000/min geht der Brite ernsthaft zur Sache. Darüber regiert dann der Ausnahmezustand.
McLaren 675LT mit starker Bremsleistung
Turbopfeifen inklusive – dem V8-Biturbo wurden eben nicht sämtliche Nebengeräusche seiner Aufladungstechnik aberzogen. Dazu kommt eine rauchige Stimme, die emotional durch die neue Titanabgasanlage schmettert. Auf unserem Messflugplatz in Lahr prüfen wir die Werksangaben. 0–100 km/h in 2,9 s, 0–2 00 km/h in 7,9 s und 0–300 km/h in 22,5 s verspricht McLaren.
Mit einem lässigen Launch-Control-Start und satter Traktion zoomt sich der 675LT im Test katapultartig vom Fleck. 3,0 s, 8,3 s, 24,6 s lauten die von uns gemessenen Sprintzeiten – traditionsgemäß mit vollem Tank und zwei Personen ermittelt. Im Antritt spielt der McLaren 675LT ganz vorne mit. Bis 200 km/h lässt er beispielsweise seinen italienischen Konkurrenten Lamborghini Aventador LP 700-4 (0–100/200/300 km/h: 3,0 s / 9,0 s / 23,5 s) stehen.
Ein gut im Futter stehender McLaren-650S-Spider-Testwagen (0–1 00/200/300 km/h: 3,1 s / 8,7 s / 26,0 s) war jedoch auch mit 650 PS bei uns schon einmal fast so schnell wie der McLaren 675LT ( Artikel). Und was kann die serienmäßige Keramikbremsanlage? Vollbremsung bei 300 km/h. Der Heckflügel schnellt blitzartig wie eine Landeklappe hoch und nimmt dabei die Sicht nach hinten. Die Bremsanlage beißt im Test giftig zu.
Während sich der McLaren 675LT im Test auch bei diesem Hardcore-Bremsmanöver mit hoher Spurstabilität nichts anmerken lässt, wechselt die Gesichtsfarbe des Beifahrers in ein blasses Grün. Mit einem Bremsweg von 269,8 Metern aus 300 km/h auf null landet der 675LT in der sport auto-Bestenliste auf Rang zwei. Vergleichswerte? Porsche 911 GT3 RS 4.0: 269,4 Meter; Lamborghini Aventador: 288,8 Meter; McLaren MP4-12C: 295,3 Meter.
Nürburgring statt Hockenheim./strong>
Doch der neue Brenner soll nicht nur ein längsdynamischer Experte sein. Im Vergleich zum 650S trägt der LT straffere Federn und verbreiterte Spurweiten (plus 20 mm). Außerdem wurden die Adaptivdämpfer neu abgestimmt und griffigere Pirelli-Trofeo-R-Reifen aufgezogen (650S bisher mit P Zero Corsa). Vom Testflugplatz in Lahr geht’s zum Nürburgring.
Warum nicht wie sonst traditionell nach Hockenheim. Wegen der Dragster-Veranstaltung Nitrolympx ist der Kleine Kurs gesperrt. Auch die Nordschleife ist nicht verfügbar. Die Nürburgring.Sprintstrecke muss während der Test- und Einstellfahrten vor dem fünften VLN-Lauf für eine erste Querdynamikmessung herhalten. Zwischen Rennfahrzeugen von Porsche GT3 Cup bis hin zu GT3-Boliden à la Mercedes SLS mischt der McLaren 675LT mit – Heidenspaß und Enttäuschung zugleich.
Vorab: Die Rundenzeit entstand in einer Runde ohne Verkehr. In puncto Topspeed dürfte der McLaren an diesem Nürburgring.Testtag klarer Spitzenreiter gewesen sein. Herrlich, wenn man auf die Start-und-Ziel-Gerade mit einem straßenzugelassenen Fahrzeug einbiegt und anschließend ein GT3- Rennfahrzeug lässig ausbeschleunigt. Beim Anbremsen überzeugt der McLaren 675LT im Test außerdem mit Stabilität, gut abgestimmter ABS-Regelung und hohen Verzögerungswerten. Genug des Lobes.
Spürbares Einlenkuntersteuern im McLaren 675LT
Jetzt zur Rüge: Die Balance dieses Testwagens war nur mäßig! Spürbares Einlenkuntersteuern verhagelt die Laune. Bereits die Vorgängermodelle MP4-12C und auch 650S waren tendenziell eher über die Vorderachse definiert. Vom McLaren 675LT hatten wir uns endlich ein zackigeres Einlenkverhalten erwartet. Vor allem nachdem McLaren verlauten ließ, dass die Sonderversion „nah am P1“ dran sei. Das messerscharfe Einlenkverhalten des McLaren-Supersportler P1 bleibt unvergesslich und vom 675LT unerreicht.
Unverständlich, warum McLaren die Reifendimensionen des 675LT (235/35 ZR 19 vorne und 305/30 ZR 20) im identischen Format wie beim 650S beließ. Die Motorsport-Abteilung von McLaren zeigt, wie es auch gehen könnte: Das aktuelle McLaren-GT3-Rennfahrzeug setzt unter anderem auf breitere Vorderräder als in der Vorgängerversion, um das Untersteuern zu verringern. Beim McLaren 675LT fallen außerdem, speziell nach engen Kurven der Nürburgring.Sprintstrecke, auch noch leichte Traktionsprobleme beim Herausbeschleunigen auf.
Das Gripniveau der neuen Trofeo-R-Bereifung konnte der LT an diesem Tag nicht umsetzen. Tun wir dem Besucher aus Woking unrecht? War die Achsgeometrie womöglich falsch justiert? Fakt ist: Wir können nur das wiedergeben, was wir an jenem Testtag erfahren haben. Doch bei uns erhält jeder eine zweite Chance. Und die bekommt der McLaren 675LT dann auf dem Kleinen Kurs von Hockenheim. Spätestens auf der sport auto-Referenzpiste muss aber alles passen, denn da fällen wir unser endgültiges Fazit über das McLaren-Sondermodell.
Weitere Tests, Vergleichstests und Fahrberichte lesen Sie im neuen sport auto 09/2015.