Ein Campingbus als Alleskönner

Vier feste Betten auf sechs Meter Länge. Klingt spannend. Der Knaus Boxstar Lifetime 600 XL passt sowohl für vier Schläfer als auch für zwei, die viel Stauraum brauchen. Ein vielseitiger Van für Familien, Sportler und alle, die Flexibilität lieben.
Der Schwabtunnel in Stuttgart ist der erste Tunnel weltweit, durch den jemals ein Automobil fuhr. Auch der Test-Knaus nutzt diese schnelle Verbindung zwischen dem Stuttgarter Süden und Westen. Dieses Jahr soll die Röhre saniert werden – Fußgänger und Fahrradfahrer wünschen sich mehr Platz. Denn das mit dem "ersten Auto durch einen Tunnel" ist bereits 120 Jahre her, das Auto in der City nicht mehr so im Trend.
Campervans sind dafür angesagter denn je. Für Städter könnte ein Kastenwagen wie der Knaus Boxstar Lifetime 600 XL vielleicht bald das einzige Mobil im eigenen Besitz sein. Der Alltag wird mit den Öffentlichen, zu Fuß und mit dem Rad bestritten, in einem Verkehrsumfeld, das dafür ausgelegt ist. Am Wochenende und im Urlaub nimmt man dann die Allzweckwaffe Campingbus – Freizeitmobil, rollende Gartenlaube, mobiles Büro, Transporter für Sportgeräte und den Großeinkauf in einem.
Manche Städter können sich das heute schon vorstellen, wenn es auch für andere noch unrealistisch scheint. Für die Stadt Stuttgart übrigens auch. Der Schwabtunnel bleibt vorerst vor allem Autotunnel.
Hochwertige Ausstattung auf sieben Meter Länge
Ich fahre durch. Von Süd nach West. Dann links die Reinsburgstraße hoch. Stau, Verkehr, unübersichtliche, zugeparkte Kurven, hohe Häuser. Hier schlägt sich der Lifetime top. Ist wendig. Die Semperit-Winterreifen harmonieren bestens mit dem Fiat Ducato. Es geht hoch Richtung Schattenring. Die Reifen unterstreichen die präzise Lenkung des Ducato, wie ich es selten erlebt habe. Wilhem Tellsche Treffsicherheit mit dem agilsten Transporter des Marktes. Die Möbel, die Knaus in den Lieferwagen baut, knarzen nicht, singen aber leicht und permanent. Der Möbelbau ist hochwertiger als in einem Weinsberg zum Beispiel – dem günstigeren Hochdachcamper aus gleichem Hause. Bei Weinsberg heißt er Carabus 600 MQH und hat den identischen Grundriss wie das zweite Knaus-Hochdachmodell Boxstar Street 600 XL. Ein Pendant zum getesteten Längsbetten-Layout gibt es dort nicht.
Die Unterschiede zwischen Weinsberg und Knaus sind nicht riesig, aber wesentlich: Die Möbel sind hochwertiger im Boxstar, die Art der Klappen, die Bauweise mit eigener Rückwand. Serienmäßig gibt es bei Knaus solide, elegante Rahmenfenster, Details wie die LED-Flächenleuchten, Toilettenfenster ohne Aufpreis, bessere Matratzen und ein Fliegenschutzgitter an der Schiebetür. So kommt es, dass ein Knaus rund 6000 Euro teurer ist als ein grundrissgleicher Weinsberg.
Zurück zum Lifetime 600 XL. Sechs Meter Länge, Längsbetten im Heck und zwei weitere Schlafplätze unterm Dach bietet er. Das ist gerade für Familien, die einen kompakten Van suchen, ein verlockendes Angebot. In die Heckbetten klettert man über eine kleine Treppe. Der Ein- und Ausstieg gelingt damit prima, und weil man längs schläft, wird der Partner dabei auch nicht gestört. Die Kopffreiheit unter den Hängeschränken reicht gut. Die Stauschränke selbst bieten allerdings weniger Platz als gedacht. Denn der Rahmen an der Nahtstelle zwischen Blechkarosse und GfK-Hochdach schränkt den Innenraum ein. Aber die Klappen öffnen und schließen sauber und sind passgenau gefertigt.
Über dem Bett sollte man sich die optionalen Schwanenhals-Leselampen unbedingt gönnen, da sie nicht nur hell und flexibel sind, sondern auch eine USB-Ladebuchse integriert haben. Auch tags kommt viel Licht ans Bett. Seitlich sitzen große Fenster, dazu zwei in den Hecktüren, eins hinten im Hochdach und zudem noch ein Midi-Heki obendrüber. Auch im Dachbett vorn kann man tagsüber gemütlich lesen. Zwei Seitenfenster, ein Heki und optional ein zweites Panorama-Dachfenster erhellen die Mansarde. Damit wird auch verhindert, dass die etwas beengten Raumverhältnisse Platzangst auslösen. Hoch klettert man über eine Leiter. Erwachsene schlafen am besten mit den Füßen nach vorn, dann stört die Dachschräge weniger. Bei Nichtgebrauch wird das Bett zur Hälfte in die Dachnase geschoben. Das Bettzeug kann derweil dort verbleiben.
Campingbus für Familien oder doch eher für Paare?
Die entscheidende Frage: Für wen passt der Lifetime 600 XL am besten? Neben Familien kommen durchaus auch alleinreisende Paare in Betracht. Sei es, um bequem getrennt zu schlafen oder um im Stauraum hinten wertvolle Bikes mitzunehmen, die man nachts ungern draußen stehen lässt. Denn in dem Fall kommt das Dachbett als Ausweichquartier gerade recht. Eine gewisse Sportlichkeit ist beim Hoch- und Runterklettern allerdings nicht verkehrt.
Unter dem aufgebauten Dachbett bleibt die Sitzgruppe uneingeschränkt nutzbar – nur aufrecht stehen kann man dann nicht mehr. Der Tisch ist ohne Fuß konstruiert, er stützt sich an der Wand ab. Das vergrößert die Beinfreiheit, sorgt aber auch für eine gewisse Nachgiebigkeit der Tischplatte. Insgesamt sitzt man aber gut in dem Knaus-Wohnzimmer. Die Rückbank – mit Isofixösen für Kindersitze – lässt sich verbreitern, und die Wände sind mit Stoff und Formteilen verkleidet, sauber und gemütlich. Dazu trägt auch die LED-Flächenleuchte unter dem schmalen Ablagefach über dem Fenster bei, die ein gleichmäßiges, warmes Licht erzeugt.
Wenn vier Personen hier essen wollen, ist der Tisch allerdings sehr schmal. Dafür ist er lang, sodass man die Gedecke – etwas versetzt – doch unterbringen kann. Gekocht wird an dem kleinen, aber schlau eingerichteten Küchenblock. Zwei Flammen sind oft besser als drei, die zu eng stehen – Knaus belässt es darum bei zwei. Die Abdeckung des Spülbeckens daneben muss auch als Arbeitsfläche dienen, denn das klappbare Erweiterungsbrett am Einstieg ist kaum der Rede wert.
Immerhin bietet sich der Deckel des etwas höher aufragenden Kleiderschranks als zusätzliche Abstellfläche an. Er trennt Küche und Schlafbereich voneinander, ohne die Sichtachse komplett zu unterbrechen. Drei Schubladen in der Küchenzeile nehmen Geschirr und Lebensmittel auf. Ums Kühlgut kümmert sich ein 70-Liter-Kompressor-Kühlschrank. Beides nicht besonders üppig, auch wenn es noch einen Hängeschrank gibt.
Kompakte Abmessungen hat auch das Bad, in dem die Dusche integriert ist. Damit das Abbrausen zum Vergnügen wird, ist in den Vorhang ein Luftring eingenäht, der, aufgepumpt wie ein Fahrradschlauch, den Stoff vom Körper fernhält. Auch wenn das etwas hemdsärmelig wirkt – es funktioniert und macht die Vorhanglösung akzeptabel.
Insgesamt kann sich der Sanitärraum ganz gut sehen lasse. Er ist zwar eher klein, aber er bietet ein Fenster und einige Ablagen, Staufächer und vor allem einen sehr großen Spiegel, der das Rasieren und Stylen vor dem abendlichen Restaurantbesuch bravourös unterstützt. Die Abendbekleidung sollte allerdings nicht allzu anspruchsvoll sein, was die Aufbewahrung anbelangt. Der schmale Kleiderschrank nimmt gerade mal zwei Jacken oder zwei, drei Hemden auf. Die Dachstauschränke sind, wie schon angesprochen, zwar zahlenmäßig gut vertreten, haben aber wenig Grundfläche und Stapelhöhe. Passend falten ist hier angesagt. Ein wenig hilft noch das Stauschränkchen unter dem rechten Bett – das war es dann aber auch. Das Dachbett vorn fordert seinen Tribut.
Die Zuladung kommt etwas kurz
In Sachen Zuladung sind allerdings ohnehin keine großen Sprünge drin. 310 Kilogramm Reserve bleiben beim Testwagen, inklusive vollem Gasvorrat und Frischwassertank. In Fahrstellung sind es 80 Liter weniger. Trotzdem: Für einen Campervan, der vor allem für Familien gedacht ist, die zu dritt oder viert verreisen wollen, ist das zu wenig. Klar, die Extras des Testwagens schlagen mit rund 105 Kilo zu Buche. Auf manche davon lässt sich zwar verzichten. Einige gehören allerdings auch zu fast obligatorischen Paketen. Das tragfähigere Maxi-Chassis mit verstärkten Achsen – vorn bis 2,1 t, hinten bis 2,4 t – ist zwar bestellbar, aber nur in der Version mit unverändertem zulässigem Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen.
Beim Fahren merkt man von dem stattlichen Leergewicht desTestwagens nicht viel, und auch vom wuchtigen Hochdach lässt sich das Fiat-Fahrwerk weder ausbremsen noch aus der Ruhe bringen. Souverän motorisiert mit dem 160-PS-Aggregat, knackig schaltbaren Getriebe und einer angenehm direkten Lenkung. Aber eben auch mit einer Vorderachse, die jegliche Fahrbahnunebenheiten nur leidlich gefiltert an die Wirbelsäule weitergibt. Ansonsten fällt das Head-up-Display auf, das Knaus als Teil des Media-Pakets dem Fahrer vor die Nase setzt. Nachdem erste Exemplare zitterten wie ein Wackeldackel, ist die aktuelle Variante wirklich brauchbar. So muss man etwa für Navigationshinweise nicht den Kopf Richtung Mittelkonsole drehen, sondern kann sich auf den Verkehr konzentrieren.
Noch ein Wort zur Bordtechnik: Kocher und Heizung werden von zwei Elf-Kilo-Gasflaschenreichlich versorgt. Auch die Wasser- und Stromreserven sind auf angemessenem Niveau. Mehr als das Ambiente-Lichtpaket mit Farbeffekten lohnt sich aber das E-Paket mit Leselampen, mehr Steckdosen und zweiter Bordbatterie.
Knaus Boxstar Lifetime 600 XL (2021)
Gurte/Schlafplätze: 4/4 Zul. Gesamtgewicht: 3500 kg Länge/Breite/Höhe: 5,99/2,05/3,12 m Grundpreis ab: 53.290 Euro Testwagenpreis: 64.322 Euro
Ausstattung des Testwagens (Auszug)
- 180-PS-Motor (0 kg): 4690 Euro (empfohlen)
- Fiat-Paket: elektr. Außenspiegel, Klimaanlage, Beifahrer-Airbag, Tempomat u. a. (29 kg): 1970 Euro (im Testwagen enthalten)
- Stylingpaket I: lack. Stoßstange, Alufelgen (7 kg): 790 Euro (im Testwagen enthalten)
- Ambiente-Lichtpaket: Sockellicht, RGB-Licht in Decke und Bad, LED-Band Wand und Decke: 460 Euro (im Testwagen enthalten)
- Maxichassis, 3,5 t zGG (40 kg): 1080 Euro (empfohlen)
- E-Paket: 3 x Leselampen, 4 x zusätzliche 12-/230-V- Steckdosen, 2. Bordbatterie 95 Ah (20 kg): 1599 Euro (im Testwagen enthalten; empfohlen)