Vive la France, vive la Van
Jörg Lohse, Vize-Chefredakteur von MOTORRAD und Ehefrau Saskia sind echte Camping-Fans, machen deshalb Urlaub im promobil-Dauertester Camillo und checken, wie gut sich der Campervan auf einem Bretagne-Roadtrip macht.
Die ersten Kilometer mit dem Pössl Campstar vom Redaktionsparkplatz zur Haustür verlaufen vielversprechend. Fährt sich ja wie ein "normales Auto"! Für uns, die sich, wenn Urlaub mit Camper angesagt war, mit Alkoven-Mobilen (Knaus Sun Traveller) oder Teilintegrierten (Etrusco T 6900 DB) fortbewegt hatten, eine vollkommen neue Erfahrung!
Nun also ein kompakter Campervan – klar, nur zu zweit, das erste Mal ohne Kids (der mitreisende Corgie-Mix Monty außen vor gelassen), da sollte das doch reichen. Das Ziel: schnell Frankreich queren, Kurs normannische Küste und dann dem Meer in Richtung Bretagne folgen. Machen wir uns schnell ans Packen und los. Doch das ist schneller gesagt als getan!
Wohin nur mit dem Zeug?
Denn dass, was wir von anderen "Mobilhomes" gewöhnt waren – Schränke auf, Klamotten und Inventar flugs verstaut – lässt der Campstar nicht mit sich machen. Zwei größere Schränke im Heck, eine Schublade im Küchenblock: Hmmm, wer bekommt was zugeteilt? Wie machen wir es am Sinnvollsten? Das müssen wir zwei Neulinge im "Knack-und-Back-Format" erst mal sinnig durchdenken. Dass wir konsequent unter dem Aufstelldach schlafen wollten, war uns schon bei der ersten "Begehung" klar. Also könnten wir das Erdgeschoss doch als Lagerfläche nutzen. Doch mit einer Rumpelkammer verreisen, das soll nun auch nicht sein. Was also tun?
Ikea grüßt auch im Pössl
Glücklicherweise lagern im Keller noch etliche Ikea-Stapelboxen. Mit den Ferien-Utensilien befüllt sieht es jetzt nach ansehnlicher Ordnung im Innern des Vans aus! Doch alles jederzeit griffbereit zu haben, bleibt eine Wunschvorstellung. Denn nach Montage des hauseigenen Fahrradträgers für die E-Bikes (von Westfalia) auf der Anhängerkupplung ließ sich die Heckklappe der V-Klasse nicht mehr öffnen, trotz praktischer Klappfunktion mit montierten Rädern. Kleiner Trost: immerhin bleibt die separat zu öffnende Heckscheibe des Mercedes erreichbar.
Nun aber endlich: Abfahrt! Auch "vollbeladen" ändert sich der tadellose Eindruck von der Jungfernfahrt nicht. Der 300er Diesel mit 4matic und Neungang-Automatik lässt sich phänomenal fahren, die adaptive Geschwindigkeitsregelanlage ist nicht nur auf den französischen Autobahnen ein Hit. So lassen sich Meter machen, herrlich!
Bei einbrechender Dunkelheit erreichen wir den Campingplatz Les Breuils in Verdun. Der Check-in ist in zwei Minuten erledigt, mit der Ansage: "Noch zehn Minuten hat die Küche noch geöffnet, schafft ihr das?" Wir nicken, rangieren den Campstar binnen fünf Minuten auf dem Stellplatz ins Lot, schließen den Landstrom an, klappen das Dach auf, klappern uns durch die Kisten und richten das Bett für später. Sieben Minuten, check! Schon prosten wir uns mit einem frischgezapften Pelforth zu. Vive la Van, so kann der Urlaub gerne weitergehen!
Wir kommen ohne Strom aus, denn die Wohnraumbatterie ist prall gefüllt und immerhin sind die Waschräume nicht weit. Das ist ja tatsächlich das Einzige, was dem kompakten Pössl zum Vollwert-Wohnmobil fehlt. So denken wir weiterhin wohlgelaunt nach zwei Tagen.
Schlafen mit Meerblick
Einen Tag später stehen wir endlich da, wo wir sein wollen: am Meer, zwar direkt hinter der Düne, können aber von unserer Schlafstatt im ersten Geschoss einen Blick auf die Brandung erhaschen. Auch wenn der "Camping Municipal Canadian-Scottish" in Courseilles-sur-Mer nur mit zwei Sternen ausgezeichnet ist: Dieses Detail aus dem Schlafgemach lässt ihn uns glatt zwei Sterne mehr verleihen.
Die wir dafür aber dem Campstar ein paar Tage kurzfristig abziehen müssen. Als wir den Meerblick auf dem pittoresk gelegenen Campingplatz "Le Balcon de la Baie du Mont Saint Michel" mit ausgefahrenem Küchenblock genießen wollen. Denn kaum sitzen wir, sitzen schon die Mücken auf uns. Hektisch fahren wir alles ein.
Die wenigen Augenblicke haben gereicht, dass die Blutsauger ihr Abendessen auch drinnen genießen können. Wir merken: Echten Mückenschutz gibt es nur, wenn beim Campstar alle Schotten, sprich Schiebetüren dicht sind – mit Outdoorküche geht das aber nicht. Was den Mega-Sympathiepunkt für den Pössl (draußen Küche) gleich wieder zunichtemacht.
High Fidelty, low Battery
Versuchen wir halt, die verpatzte Abendromantik mit Musik über das Mercedes-Bordentertainment aufzupäppeln. Was aber nur bedingt klappt, da nach einer halben Stunde die Warnanzeige für eine schwache Starterbatterie im Bedienpanel des Pössl nervös zu blinken beginnt und trotz Versorgung mit Landstrom bis zum Morgen bleibt. Trotz der kleinen Energiekrise im Panel springt der Benz ohne Murren an und wir ziehen weiter westwärts. Kurz hinter Roscoff finden wir dann die Traumlocation: den kleinen Campingplatz "Ar Roc’h" von Quentin und Morgan. Vorausgesetzt, wir kommen den recht steilen Absatz auf dem feuchten Rasenstück hoch. Dank Allrad für Camillo kein Problem.
Nachdem wir mit dem "La Pointe de Corsen" den westlichsten Punkt von Festland-Frankreich umschifft haben, wird mit freiem Blick auf den Atlantik der von der Besatzung gewünschte Meerblick im Campstar aber immer mehr zur Bewährungsprobe. Zumal die Wetterapp für die kommenden Tage eine Windhose einblendet und kräftige Böen von 70 km/h und mehr voraussagt.
Aufstelldach contra Altlantiktief
Als Aufstelldach-Frischlinge parken wir unverdrossen mit der Nase nach vorn und Blick auf stürmischen Ozean ein. Selbst als Campingplatzchefin Michelle vom "Camping de l‘île percée" mit mahnendem Zeigefinger auf unser Quick-up-Tent als Vorzeltersatz deutet (der Pössl hat nix, was ein echtes Manko ist): wehe, das fliegt heute Nacht über meinen Platz! Wir lachen sie fröhlich an: als gebürtige Niedersachsen sind wir doch sturmfest und erdverwachsen, verstehen was von Festmachern, mach dir keine Sorgen.
Als wir zwei Tage später in Arzon auf dem Campingplatz Port Sable "front of Stage" stehen – aufgrund der Stellplatzbeschaffenheit hier quer zum Meer – soll der eigentliche Härtetest folgen. Es wackelt dermaßen unter dem Dach, dass ein Teil der Besatzung zum ersten Mal in diesem Urlaub auf der unteren Liegefläche schläft und der andere Teil der Besatzung im Anflug leichter Panik Informationen zur Sturmfestigkeit von Aufstelldächern googelt. Die beruhigende Aussage dieser Nacht findet sich im Cali-Forum: lange vor dem Dach knickt immer der Mensch ein…
Doch herausfordern wollen wir unser Glück nicht, weshalb wir das Wagenheck als Keil in Richtung Sturmfront schwenken. Und siehe da: schon schlafen wir wieder trotz um uns tosender Ozeanbrise wie in Orpheus Armen. Und gucken am nächsten Morgen mit Cafe au lait ein wenig schadenfroh auf das wohl in der Nacht eingefahrene Dach eines weiter vorn platzierten Californias: Ja, ja, lange vor dem Dach knickt der Mensch ein…
Campingplatz-Empfehlungen für die Normandie und Bretagne:
- Camping Port Sable, Arzon: Vergleichsweise viele Dauercamper, aber exzellente Lage am Meer mit direktem Zugang, top gepflegter und großzügiger Sanitärbereich
- Camping Eleovic, Prefailles: vergleichsweise großer Platz mit vielen Stellplätzen und direktem Meerblick, großzügiger, gepflegter Sanitärbereich plus Poollandschaft
Restauranttipps:
- Le Sexton Coté Mer, Ver-sur-Mer: Toller und preiswerter Mittagstisch, empfehlenswert die frischen Austern und diversen Muscheltöpfe in der Saison. (1 Avenue Colonel Harper, 14114 Ver-sur-Mer)
- Le Centre, Prefailles: Küchenchef Florian zaubert auf seinem Grill eine einmalige Auswahl an Entrees, Hauptspeisen und Desserts. Erlebnis und Genuss pur auf einer Terrasse mit Meerblick. (5 Pl. du Marche, 44770 Préfailles)
Was hat an Ausstattung gefehlt?
- Passend zugeschnittene Verstausysteme (Boxen, Ausziehfächer o.ä.)
- Ein passendes Stuhl-Tisch-Set
- Geschirr bzw. überhaupt eine ordentliche Verstaumöglichkeit für Geschirr.
Vor- und Nachteile des Pössl Campstar
Hier listet Jörg Lohse sowie Co-Pilotin und Mitfahrerin Saskia Becker auf, was ihm am Pössl Campstar aufgefallen ist.
Wohnen / Betten:
(+) Handling Aufstelldach (Aufklappen, Schlafplatz herrichten)(+) Wohnatmosphäre (Licht, Ausblick) (+) Belüftung im Dach (+) Stabiler Lattenrost unter dem Dach
(-) Breite der Betten (oben wie unten) (-) Störende Sitzkonturen (unten), Topper erforderlich (-) Wassereintritt nach Starkregen am Aufstelldach (Matratze feucht) (-) Matratzendicke grenzwertig
Wohnen / Sitzgruppe:
(+) Leicht bedienbare Drehsitze auf Fahrer und Beifahrerseite (+) Schnell zugänglicher Klapptisch in Küchenblock integriert und während der Fahrt sicher arretiert(+) Effektive Standheizung für unteren Wohnbereich
(-) Insektenschutz(-) Blickschutz bei Nacht (bei Innenlicht nicht vorhanden)(-) Bordentertainment (Radio/Multimedia) mit Fahrzeugbatterie gekoppelt, schnell entladen(-) Beleuchtung im unteren Bereich (LED-Leiste im Dachhimmel bei zugeklapptem Dach wünschenswert)
Wohnen / Küche:
(+) Ausklappbarer Küchenblock sehr praktisch, leicht zu händeln, schafft viel Platz innen(+) Kochfeld ausreichend dimensioniert (+) Großer Kühlschrank mit starker Leistung (+) Praktisches Spülbecken mit durchdachter Frischwasserversorgung und Abwasserentsorgung per Kanister
(-) Kleine Gasflasche, schwer zu bekommen, verhältnismäßig teuer (-) Kaum Stauraum für Kochutensilien (Töpfe/Pfanne nicht "klapperfrei" zu verstauen)
Wohnen / Sanitärraum:
nicht vorhanden, aber auch nicht vermisst
Wohnen / Möbelbau:
(-) Zum Teil schlecht (kompliziert) zugänglich (nur über offene Heckklappe, bzw. nicht bei umgeklappter Sitzbank)(-) Flächen insgesamt sehr knapp bemessen(-) Oberflächen generell sehr empfindlich, Küchenblock (Glasplatten) sehr kratzempfindlich (wirkten für die geringe Laufleistung schon deutlich gebraucht) (-) Hakelige Druckverriegelungen der Schränke, schnell und häufig ausgeleiert
Beladen / Stauräume und Zuladung:
(+) Praktischer Zugang über separat zu öffnendes Heckfenster(+) Schiebetüren links und rechts (+) Staufläche/Stauraum vorhanden (für zwei Personen), aber …
(-) ... Stauraum unstrukturiert aufgebaut, erfordert eigene Lösungen (z.B. Transportboxen), bleibt aber schlecht zugänglich(-) Unter der Spüle nur eine Schublade(-) Im Heck nur zwei Schränke, die je nach Sitzbankstellung (Lehne) nicht zugänglich sind(-) Heckklappe mit Fahrradträger auf Anhängerkupplung nicht zu öffnen
Technik / Bordtechnik, Verarbeitung, Beleuchtung, Wintertauglichkeit:
(+) Schöne Ambientebeleuchtung im Dach(+) Standheizung mit Dieselbetrieb sehr praktisch und effektiv (kein Gasverbrauch)
(-) Zusätzlicher Ausströmer der Standheizung unter dem Aufstelldach für ausgewogenes Innenklima im Winter fehlt (-) Batterieleistung grenzwertig (-) Mehr Steckdosen, bzw. USB-Ports im Wohnraum
Fahren / Fahrsicherheit, Fahrkomfort, Fahrverhalten, Fahrleistung:
(+) Leiser Diesel mit hervorragender Laufkultur, sattem Antritt und souveränem Ansprechverhalten (+) Allrad-Antrieb, seidiges Automatikgetriebe, schaltet stets ruckfrei (+) Sehr gute Verbrauchswerte (+) Adaptiver Tempomat (+) Gute Rundumsicht mit praktischer Front/Heckkamera und 360-Grad-Rundumsicht beim Einparken (+) Fahrer- und Beifahrersitz komfortabel und gut konturiert, sehr guter Seitenhalt und Lordosenstütze
(-) Totwinkelwarner im Rückspiegel fehlen (-) Coming-home-Funktion (Fahrlichter bleiben einige Zeit an) auf Campingplatz sehr störend, muss umständlich deaktiviert werden