Das SID-Kalenderblatt am 9. November: Kasparow wird jüngster Schach-Weltmeister

Das SID-Kalenderblatt am 9. November: Kasparow wird jüngster Schach-Weltmeister
Das Aufeinandertreffen der beiden Schach-Giganten Garri Kasparow und Anatoli Karpow ist weit mehr als nur ein Duell um den Weltmeistertitel.
München (SID) - Moskau, Tschaikowsky-Konzertsaal, 9. November 1985: Die beiden Genies aus der Sowjetunion verkörpern zwei Lager im Kalten Krieg, das Brett dient als Schlachtfeld.
Es spielen gegeneinander: Kasparow, der 22 Jahre alte Oppositionelle aus Baku, und der 34-jährige Karpow, treuer Vertreter der Sowjetunion, Träger des Lenin-Ordens und unumstrittener König der Schachwelt. Die Zeitungen rufen das Duell zwischen dem "Biest aus Baku" und der "Würgeschlange aus Moskau" aus.
Die Begegnung ist auf 24 Partien beschränkt, Karpow gerät in Rückstand und muss zum Abschluss gewinnen. Kasparow aber behält die Nerven, wird der 13. Schach-Weltmeister - und mit 22 Jahren der bislang jüngste.
Nach der abschließenden Partie bleibt Karpow noch einige Zeit sitzen. "Hier vergingen noch mehrere lange Minuten, und endlich reichte mir Karpow die Hand und gratulierte mir als Erster zum Sieg und zum Weltmeistertitel", erzählt Kasparow.
Der Sieg ist nicht nur aufgrund Kasparows Jugend historisch. Die Vorgeschichte birgt zusätzliche Brisanz, das Duell ist die Neuauflage der abgebrochenen WM Monate zuvor. Damals spielt Kasparow erstmals um den Titel. Sechs Siege benötigt ein Spieler noch, um sich Weltmeister nennen zu dürfen. Kasparow gerät schnell mit 0:4 in Rückstand und ändert seine Taktik. Zeit schinden, so gut es nur geht.
Es reiht sich Remis an Remis, erst 17 in Folge, nach dem 1:5 dann weitere 14. Karpow, ausgelaugt und müde, muss im Krankenhaus behandelt werden. Kasparow verkürzt auf 3:5, doch dann, nach insgesamt 48 Partien und 19 Wochen bricht Florencio Campomanes, Präsident des Weltverbandes FIDE, den Wettkampf am 15. Februar 1985 ab.
Offiziell aus Sorge um die Gesundheit der Spieler. Kasparow, weiter topfit, fühlt sich betrogen, stürmt auf das Podium und spricht mit erhobenem Zeigefinger von einem Skandal. Wenige Monate später schreibt er Geschichte.