"Victor Frankenstein": So darf man die Geschichte nicht wiederbeleben

In regelmäßigen Abständen erwacht Frankensteins Monster auf der Kinoleinwand zu neuem Leben. Dass "Victor Frankenstein" versucht, der altbekannten Geschichte frischen Wind einzuhauchen, ist zwar löblich, scheitert aber an der Durchführung.
Wer hat noch nie von ihr gehört, der berühmten Story über den größenwahnsinnigen Wissenschaftler Victor Frankenstein und seiner monströsen Kreation? Genug Zeit, die Geschichte von Mary Shelley zu lesen, sollte zumindest jeder gehabt haben - bereits Anfang des 19. Jahrhunderts wurde sie unter dem Titel "Frankenstein oder der moderne Prometheus" veröffentlicht. Höchste Eisenbahn also, dem bereits dutzendfach verfilmten Roman einen neuen Anstrich zu verleihen, dachte sich offenbar Regisseur Paul McGuigan - denn neu ist doch immer besser? Aber diese Rechnung sollte trotz überragendem James McAvoy nicht aufgehen.
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Fortschritt durch Technik
Als Zirkusattraktion muss ein namenloser Buckliger (Daniel Radcliffe) Hohn und Spott über sich ergehen lassen. Das ändert sich schlagartig, als der geniale Wissenschaftler Victor Frankenstein (James McAvoy) dessen medizinisches Talent erkennt und ihn aus der Gefangenschaft befreit. Kaum in Frankensteins Anwesen angekommen, beginnt die Wiedergeburt des deformierten Mannes: Frankenstein "vermacht" dem geschundenen Mann nicht nur den Namen seines ehemaligen Helfers Igor, er entfernt auch (in einer ekelerregenden Szene) seinen Buckel und verhilft ihm zu einer aufrechten Körperhaltung.
Aus unendlicher Dankbarkeit und nicht minder großer Portion Neugier beginnt Igor, eng mit Frankenstein zusammenzuarbeiten. Gemeinsam sollen die Grenzen des Möglichen überschritten, der Tod besiegt werden: Frankenstein will aus Leichenteilen neues Leben erschaffen und schreckt dabei vor keinen noch so widrigen oder moralischen Hindernissen zurück. Doch je weiter Frankensteins Vision blankem Wahnsinn weicht, desto mehr hinterfragt Igor die Machenschaften seines Freundes. Sind sie durch Frankensteins Hybris allesamt dem Untergang geweiht?
Unnötiger Perspektivenwechsel
Mit dem Versuch, die altbekannten Geschichte über Genie und Wahnsinn auf Teufel komm raus einer Frischzellenkur zu unterziehen, hat sich McGuigan hoffnungslos verrannt. Dabei hätte er doch von den Fehlern seines Protagonisten lernen sollen, nämlich dass es nicht immer die beste Idee ist, alten Dingen neues Leben einhauchen zu wollen. Denn der Regisseur nimmt den ursprünglichen Schwerpunkt der Geschichte und legt ihn - wie die kurze Inhaltsangabe bereits zeigt - auf die Figur des Helfers und somit der mit Abstand uninteressantesten Figur. Daran kann auch der durchaus gut aufgelegte Radcliffe nichts ändern.
Weil aber in zwei Stunden nicht genug Zeit bleibt, um sowohl die Beziehung zwischen Igor und Frankenstein, als auch zwischen Frankenstein und seinem Monster auszuarbeiten, beraubt McGuigan die Geschichte um ihr wichtigste Facette. Die Kreatur will und will nicht auftauchen und als sie es am Ende des Streifens dann doch tut, ist sie ein plumpes Vehikel für ein bisschen Action, ebenso lieblos eingebaut wie ein am Computer zum Leben erweckter Affe in der Mitte des Films.
Was die bemitleidenswerte Kreatur fühlt, wie sie mit ihrer abnormalen Existenz umgeht und trotz ihres abscheulichen Äußeren eine feinfühlige, liebenswerte Persönlichkeit sein kann, all diese Aspekte des Originals tritt "Victor Frankenstein" für das Wohl der neuen Erzählperspektive mit Füßen. Neu ist das alles, keine Frage, nur eben auch ganz schön belanglos. Herausgekommen ist ein seltsamer Streifen, zusammengeflickt aus Versatzstücken einer Buddy-Komödie und des Horror-Genres, der dennoch tragisch sein will - und damit komplett scheitert. Ein Film wie Frankensteins Monster...
McAvoy spielt sich die Hände wund
Bei all den Unzulänglichkeiten des Films muss aber James McAvoy lobend hervorgehoben werden. An ihm liegt es nicht, dass der Lichtbogen partout nicht auf den Zuschauer überspringen will. Als wahnsinniges Genie ist er in jeder Szene, in der er vorkommt, das absolute Highlight. Zu spotten, dass dies ja auch nicht schwer falle, ist zwar im Prinzip richtig, würde seine Leistung aber unnötig schmälern. Dem armen Schauspieler wird es durch das unausgegorene Skript verdammt schwer gemacht, zu brillieren. Dass er es dennoch schafft, verdient höchsten Respekt.
Fazit:
Wer noch einmal Lust auf die "Frankenstein"-Geschichte hat, aber nicht unbedingt das Buch lesen will, für den birgt das DVD-Regal wohl die bessere Alternative als aktuell das Kino. In "Mary Shelley's Frankenstein" mimte Oscar-Preisträger Robert De Niro 1994 das bemitleidenswerte Monster, in einer nicht perfekten, aber ungleich besseren Version, als es bei "Victor Frankenstein" der Fall ist. Fans von James McAvoy dürfen aber dennoch einen Blick wagen.