Bernie Ecclestone wird 95: Der kleine Mann, der die große Bühne erfand
Ein Fischkutter-Kapitän als Vater, Formel-1-Weltstars als Angestellte, Milliarden auf dem Konto, Steuerskandale auf dem Kerbholz - und ein Baby mit fast 90. Was klingt wie ein Hollywood-Hirngespinst, bildet nur einen Bruchteil des realen Lebenslaufs von Bernard Charles "Bernie" Ecclestone ab. Als ehemaliger Formel-1-Boss formt er den Rennsport zu einer der gewinnträchtigsten und gnadenlosesten Geld-Arenen der Neuzeit. In einer Verfilmung seiner Vita wäre dem Sportmogul die Doppelrolle als Held und Schurke auf seinen 1,59 Meter großen Leib geschneidert. Heute feiert Ecclestone seinen 95. Geburtstag.
Vom Fischerdorf an die Weltspitze
"Mein Vater war Kapitän auf einem Fischkutter", erzählt Ecclestone einmal lakonisch, "ich habe früh gelernt, was es heißt, nicht viel zu haben." Geboren wurde er am 28. Oktober 1930 in St. Peter South Elmham, einem winzigen Nest in der Grafschaft Suffolk. Im Alter von acht Jahren zieht die Familie nach Bexleyheath im Südosten von London. Sein Vater nimmt dort einen Job als Kranführer an. Und während andere noch die Schulbank drücken, trägt der kleine Bernie Zeitungen aus oder handelt auf dem Schulhof mit Brötchen, später dann mit Motorradteilen, alten Zündkerzen und "allem, womit man ein paar Pence verdienen konnte."
Bernie steigt in den Kauf und Verkauf von Gebrauchtwagen in der Warren Street in London ein - einem Viertel, das für seine skrupellosen Praktiken und schnellen Gewinne bekannt ist. Und doch träumt Bernie noch nicht vom Reichtum, sondern von Geschwindigkeit. Ende der 1950er-Jahre versucht sich als Amateur-Rennfahrer in der Formel 3 - und verpasst die Qualifikation für einen Startplatz gleich zweimal. Seine Erkenntnis: Seine Bestimmung liegt nicht auf der Rennstrecke, sondern daneben. Von dort aus will und wird er die PS-Welt beherrschen.
Erster Coup und Revolution der Formel 1
1971 kauft Ecclestone den Rennstall Brabham für einen Spottpreis von 100.000 Pfund. Und mit ihm den Einstieg in die elitäre Welt der Formel 1. Mit dem Südafrikaner Gordon Murray (79) bindet er einen wahren Technik-Guru an sein Team und baut Brabham Jahr für Jahr zum Anwärter aufs Treppchen aus. Mit dem legendären Nelson Piquet (73) holt Ecclestone 1981 und 1983 den Weltmeistertitel. Doch Bernie will mehr, viel mehr. Er erkennt: Nicht Siege machen reich, sondern TV-Rechte. Hinter verschlossenen Türen verhandelt er mit Veranstaltern, Fernsehsendern und Sponsoren - und erfindet ganz nebenbei das moderne Modell der Formel 1: exklusiv, global und gnadenlos lukrativ. Kai Ebel (61), seit 1992 über 500 Mal als RTL-Formel-1-Reporter am Mikrofon, beschreibt es in einem Special über Bernie Ecclestone so: "Bernie hat zum richtigen Zeitpunkt immer das Richtige gemacht."
Machtmensch Bernie: "Ich habe keine Freunde - nur Geschäftspartner."
Ecclestone wurde in seinem Leben wenig geschenkt. Aufgrund seiner Körpergröße und seiner Herkunft oft gehänselt, ist er auch später kein Bussi-Bussi-Typ - ganz im Gegenteil. Sein Leitspruch lautet: "Wenn du von allen gemocht wirst, macht du etwas falsch." In den 1970ern wird er Chef der FOCA - eine Art Gewerkschaft der Teamchefs - und liefert sich regelrechte Schachduelle mit der FIA, der Organisation, die die Formel 1 veranstaltet. Die Folge: Ab den 1990ern gehört alles ihm oder besser gesagt: seinen Firmen. Bernie aus Suffolk hält die kompletten kommerziellen Rechte der Formel 1 in seinen Händen - langfristig vertraglich gesichert.
Juan Carlos erteilt Landeerlaubnis
Der Coup bringt ihm Milliarden und den Spitznamen "Mr. E" ein. Das klingt nicht nur nach James-Bond-Schurke. Ecclestone genießt mancherorts auch den Ruf eines solchen. Ecclestone lässt vor seinem Motorhome im Fahrerlager regelmäßig grünen Kunstrasen verlegen. Warum? "Da drunter liegen meine Feinde beerdigt." Ecclestones Einfluss und Hybris scheinen grenzenlos. Als er am Vorabend zum Rennen in Barcelona per Privatjet einfliegen will, wird ihm die Nachtlandeerlaubnis zunächst verweigert. Und Bernie? Er greift angeblich kurzerhand zum Handy und ruft den ehemaligen König Juan Carlos von Spanien (87) an. Dieser macht ihm höchstpersönlich die Landebahn frei.
Skandale, Schlagzeilen und Stirnrunzeln
Immer wieder gerät Ecclestone auch ins Kreuzfeuer, zum Beispiel wegen politisch fragwürdiger Aussagen. So lobt er 2009 in einem Interview mit der "Times" Hitlers Tatkraft und Effizienz, wie unter anderem "Der Spiegel" damals berichtete. Auch um sein Frauenbild ist es nicht zum Besten bestellt. Der ganz große Knall - jedenfalls von außen betrachtet - ereilt Ecclestone trotzdem erst 2023. Er gibt vor Gericht zu, mehr als 400 Millionen Pfund auf einem Konto in Singapur geparkt zu haben. Die Strafe: Ecclestone muss 650 Millionen Pfund an Nachzahlungen leisten und erhält eine 17-monatige Bewährungsstrafe. Seine Reaktion: "Ich habe das geregelt. Jetzt gehen wir weiter."
Liebe, Luxus und Lateinamerika
Mindestens so bunt wie sein Terminkalender ist Ecclestones Privatleben. Aus seiner Ehe mit Ivy Bamford (1952-1964) geht 1955 Tochter Deborah hervor. Nach 17 Jahren Beziehung mit Tuana Tan aus Singapur ist er von 1985 bis 2009 mit dem kroatischen, 28 Jahre jüngeren Ex-Model Slavica Radic verheiratet. Sie schenkt ihm die beiden Töchter Tamara (41) und Petra (36), heute beide Jetset-Ikonen. Das Scheitern der Ehe mit Slavica mündet in einer der kostspieligsten Promi-Scheidungen der Geschichte. Ecclestone findet seine Ex-Frau mit fast einer Milliarde Euro ab und sagt später: "Eine der teuersten, aber besten Entscheidungen." Seit 2012 ist er mit der brasilianischen Anwältin Fabiana Flosi (49) verheiratet. Als Wohnsitze dienen beiden der Schweizer Nobelort Gstaad und das brasilianische Amparo in der Region São Paulo. Dort betreiben sie eine Kaffeeplantage: "Manche bauen Teams auf, ich baue Arabica an", so Ecclestone. Sein ganzer Stolz ist aber Sohn Ace, der 2020 geboren wurde: "Er hält mich wach - nachts und im Kopf", so Ecclestone lächelnd. Bei der Geburt war er fast 90.
Mit 94 zum ersten Mal auf dem Podium
Vor fast neun Jahren, im Januar 2017, beendete Ecclestone seine Ära als starker Mann der Formel 1. Liberty Media übernahm seine Anteile, es folgten sein Rücktritt als CEO und sein Abschied von allen offiziellen Funktionen 2020. Im vergangenen Sommer kommt es dann zu einem historischen Moment: Nach 70 Jahren im Formel 1-Zirkus besteigt Ecclestone am 29. Juni 2025 zum ersten Mal in seinem Leben das Formel-1-Podium. Er hängt dem Gewinner des Großen Preises von Österreich in Spielberg, Lando Norris (25), die Siegermedaille um den Hals. Für viele ist das mehr als ein Symbol: der kleine Mann mit dem großen Einfluss auf dem Treppchen. Das hat er nie gebraucht, aber vielleicht verdient. Ecclestone ist mit 95 nicht mehr der König der Formel 1. Doch er bleibt ihr Pate - unbequem und unvergesslich. Happy birthday, Mr. E!