Christian Wulff: "Ich bin glücklich, dass alles wieder heil ist"
Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff hat eine sehr harte Zeit hinter sich: Rücktritt vom Amt, Trennung von der Ehefrau, der juristische Prozess... Doch jetzt ist er wieder "sehr glücklich", wie er im Interview erklärt.
Wenn alles umfassend aufgearbeitet wird, kann man sogar gestärkt aus einer Krise hervorgehen. Aktuelles Beispiel Christian Wulff (56). Der ehemalige Bundespräsident (2010-2012) war Hauptredner bei der "Best Brands 2016"-Gala am 17. Februar im Hotel Bayerischer Hof in München - und damit also just an jenem Datum, an dem er vier Jahre zuvor von seinem hohen Amt zurückgetreten war. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt Wulff, wie es ihm heute im Hinblick auf diesen Tag geht. Und weil er inzwischen "genau weiß, was Hetze und Hass im Netz bedeuten", gibt er auch gerne einen Rat dazu.
Auf den Tag genau vor vier Jahren sind Sie vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten. Was verbinden Sie heute mit dem 17. Februar?
Christian Wulff: Vor allem bin ich sehr glücklich, dass jetzt alles wieder heil ist, dass es der Familie gut geht und dass ich jetzt wieder meinen Interessen mit Enthusiasmus nachgehen kann. Entsprechend fühle ich mich auch gestärkt, weil ich eine wirklich schwierige Zeit überstanden habe und mich nun wieder drängenden Themen widmen kann. Es ist ein gutes Gefühl, etwas bewältigt, verarbeitet und abgeschlossen zu haben - mit meinem Buch, dem Freispruch und meinen Freunden - und neue Herausforderungen zu haben.
Bei der Award-Veranstaltung "Best Brands 2016", also "Beste Marken des Jahres", von Serviceplan und Co., hielten Sie die Hauptrede. Was war Ihnen dabei besonders wichtig?
Wulff: Vor Menschen, die sich über Marken, Unternehmen, Erfolg, Wettbewerb und Konkurrenzdruck Gedanken machen, über die Qualitätsmarke des Vereinigten Europa zu reden, hat mich ungemein gereizt, weil ich glaube, dass sich jeder an seinem Platz überlegen muss: Bin ich Teil der Lösung oder Teil des Problems? Kann ich etwas einbringen für eine bessere Zukunft? Oder lässt man die Dinge einfach laufen? In dieser Zeit, in der viele sehr beunruhigt sind, die eigene Meinung einbringen zu können, ist dies eine große Chance.
Ihr Beitrag zum Thema "Muslime in Deutschland" aus dem Jahr 2010 ist aktueller denn je. Was denken Sie heute darüber?
Wulff: Das Thema begleitet mich ständig, weil ich mich weiter für gelingende Integration einsetze. Ich spüre schon, dass bei Menschen mit ausländischen Wurzeln, mit Zuwanderungsgeschichte, dieser Satz von mir damals am Tag der Einheit - "Der Islam gehört zu Deutschland" - als große Unterstützung erfahren wurde. Sie hatten erstmals das Gefühl, hier willkommen, akzeptiert und gleichberechtigt zu sein. Die muslimischen Deutschen sind damals durch manche Veröffentlichung stark unter Druck geraten und durch meinen Satz ist die Diskussion dann versachlicht worden. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir der Welt vorleben können, dass Menschen unterschiedlicher Religion, unterschiedlichen Glaubens, unterschiedlicher Prägung und Herkunft gut und friedlich miteinander zusammenleben können. Und dass dies ein mutmachendes Vorbild für andere konfliktträchtige Regionen in der Welt ist.
Sie engagieren sich auch für das Thema MS, sind Schirmherr der Deutschen Multiple-Sklerose-Gesellschaft. Warum ist diese Krankheit im Berufsleben immer noch tabuisiert?
Wulff: Die Krankheit ist in ihrer Besonderheit immer noch nicht ausreichend bekannt. Deswegen begegnen MS-Erkrankte noch Vorurteilen. Und aus Angst vor Nachteilen oder Fehleinschätzungen verheimlichen manche noch immer ihre Diagnose beim Arbeitgeber. Das muss man verstehen, denn viele können und wollen weiter ihren Beruf ausüben. Wir brauchen mehr Berichte über MS-Erkrankte, die erfolgreich in ihrem Beruf bleiben und auf deren Bedürfnisse wie selbstverständlich Rücksicht genommen wird.
Digitalisierung nimmt einen immer größeren Raum in unserem Leben ein. Welchen Stellenwert hat das Internet bei Ihnen?
Wulff: Ich interessiere mich sehr dafür, bin aber auch froh darüber, stark Papier-geprägt zu sein. Was die junge Generation so in der Regel nicht nachvollziehen kann. Weil ich es liebe, eine Zeitung in Händen zu halten, werde ich auf Dinge gestoßen, auf die ich im Netz so nicht ohne weiteres stoßen würde. Durch eine Zeitung mache ich mir über Themen Gedanken, die ich nicht zielgerichtet angesteuert habe. Ich werde nicht nur mit den Dingen bombardiert, die ich vor drei Wochen schon mal angeklickt oder gesucht habe. Stattdessen werden von Redaktionen immer wieder neue Ausstellungen des Tages für mich kuratiert. Was auf der Welt passiert, bereitet eine Redaktion für mich auf. Und das ist ein Luxus, den ich mir gerne leiste und im Internet so nicht bekomme. Um Klicks und Links zu erzielen, offenkundig die wichtigste Währung im Netz, gibt es in Online-Portalen leider eine ziemliche Häufung dämlicher Überzeichnungen. Davon erspare ich mir einiges.
Und wie halten Sie es mit den sozialen Netzwerken?
Wulff: Ich habe eine gesunde Zurückhaltung bei sozialen Netzwerken. Im Übrigen auch zur zeitlichen Aktivität dort. Ich schreibe sogar noch Briefe. Ich kann Menschen erstaunlicherweise damit verblüffen, dass ich mein Handy nicht immer dabei habe und dass ich das iPad mal einen Tag lang nicht angucke. Wer das nicht kann, könnte ja mal die Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern dazu nutzen, ein wenig auf manche Nutzung elektronischer Geräte zu verzichten. Schließlich ist Zeit das wohl kostbarste Gut.
Aktuell wird in diesem Zusammenhang auch über den Umgang mit Hasskommentaren oder Shitstorms diskutiert. Was würden Sie raten?
Wulff: Am wichtigsten scheint mir da die Vermittlung von Medienkompetenz zu sein. Jeder, der damit zu tun hat, und das werden in Zukunft alle sein, sollte durch Elternhaus, Vereine und Schule darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich hier Dinge tun, die nicht gut sind. Und dass man das dann auch entsprechend einzuordnen weiß. Es muss darüber diskutiert werden, dass da einige Menschen jetzt eine Öffentlichkeit bekommen, die früher allenfalls in ihrem stillen Kämmerlein oder am Stammtisch geblieben wären. Weil es aber nun schlicht so ist, dass sie eine unbegrenzte Öffentlichkeit haben, sollte man Gelassenheit fördern. Die Relevanz und den Wahrheitsgehalt prüfen. Ich habe erlebt, wer welche widerlichen Gerüchte erdacht und verbreitet hat, was ich lange für undenkbar gehalten hatte.
Haben Sie noch nie reagiert?
Wulff: Bei unflätigen Verleumdungen und Beschimpfungen habe ich auch schon erlebt, wenn man die Menschen anrufen kann, dass man diese Menschen dann auch überzeugen kann. Es ist offenkundig unheimlich leicht, nachts irgendwo am Bildschirm zu hocken und etwas spontan einzutippen und auf einen Knopf zu drücken und schon ist es raus. Ich weiß allerdings auch, was Hetze und Hass im Netz bedeuten und bewirken, ob zu dem Islam-Thema oder der damaligen Skandalisierung um meine Person und ich musste dann letztendlich tatsächlich auch aufwendig juristisch vorgehen. Dass manche, die sich an der Hetze beteiligt haben, überrascht waren, als sie selber mal Gegenstand von Hetze wurden, das wiederum hat mir gezeigt, dass eigentlich jeder den schönen, alten kategorischen Imperativ beachten sollte: Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.