Pierre Richard: Die Lust, ein Vollidiot zu sein

Er gilt als der französische Buster Keaton und Woody Allen in einer Person: Pierre Richard. Am 16. August wird der Kult-Schauspieler bereits 80 Jahre alt. Mittlerweile hat sich der gebürtige Sch'ti von der großen Bühne verabschiedet und betreibt ein Restaurant und eine Weinbar in Paris.
Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh. Der große Blonde mitdem blauen Auge. Der lange Blonde mit den roten Haaren. DerHornochse und sein Zugpferd. Und so weiter und so fort. Wenn PierreRichard durch die Fettnäpfchen seiner Filme stolpert und dasPublikum vor Vergnügen brüllt, fragen sich nicht nur Kritiker: Istder Typ auf der Leinwand ein Vollidiot oder sitzen die wahrenDeppen in den Zuschauerreihen? Oder trifft nicht doch beideszu?
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Nein, er ist kein Idiot! Wer so überzeugend einen Trottelverkörpert und sich zur populären Schwachsinns-Ikone macht, isteher ein illusionsloser Melancholiker, der weiß, dass nichts dasPublikum so begeistert, wie die eigene turbulente Blödheit. Alsolässt Richard Tonnen von brillanter Einfalt wie Konfetti über seineZuschauer regnen, als sei er eine unerschöpfliche Quelle anverwegener Hirnlosigkeit. Ein genialer Komödiant, der begriffenhat, dass ein bisschen Dummheit eine Gottesgabe sein kann.
Man sieht ihn immer noch vor der Kamera: Hohe Stirn, blaueAugen, schütterer, weißer Vollbart, die ehemals blonde Mähnemittlerweile auch weiß. Coole Klamotten, lässige Körpersprache. DerKopf eines philosophischen Bonvivants, dem niemand unterstellenwürde, er sei in seiner Einfalt nicht mehr von dieser Welt. Andiesem Samstag wird er 80, und das sieht man ihm nicht an.
Richard stammt aus der Heimat der Sch'tis
Pierre Richard Maurice Charles Léopold Defays wurde am 16.August 1934 in Valenciennes im äußersten Nordosten Frankreichsgeboren. Die Region Nord-Pas-de-Calais gilt als Heimat der Sch'tis,das zwar liebenswürdige, aber etwas zurückgebliebene Völkchen, dasman ja hinreichend aus dem Erfolgsfilm "Willkommenbei den Sch'tis" kennt.Wenn man hier zur Welt kommt und aufwächst, ist die Richtung derschauspielerischen Zukunft gewissermaßen vorbestimmt.
Der Einfachheit halber nannte er sich Pierre Richard, und nachseiner Ausbildung an der Schauspielschule sowie kleinerenEngagements an Kabaretts und der Pariser Oper gab er mit "Alexander,der Lebenskünstler" seinFilmdebüt. Die Rolle des harmlosen, zerstreuten bis leichtverblödeten, doch sehr sympathischen Zeitgenossen war ihm wie aufden Leib geschrieben. Den großen Durchbruch erzielte er 1970 mit"Der Zerstreute". Und zwei Jahren später hatte er mit "Der großeBlonde mit dem schwarzen Schuh. auch einen spektakuläreninternationalen Erfolg.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. Die Filmwelt hatte einenneuen wunderbaren Unglücksvogel gefunden, den König allerTollpatsche. Ein französischer Buster Keaton, der die Welt mitseinem hilflosen Lächeln bezirzt. Fast jedes Jahr drehte ermindestens einen neuen Streifen, seine Rolle war immer die gleiche:Ein netter, lieber Trottel gerät in die bisweilen kriminellenZwickmühlen des Lebens und wurstelt sich mit vielen irren Windungenwieder heraus.
Schauspieler drehte auch Tragik-Komödien
In guter Erinnerung sind ihm die vielen Ohrfeigen geblieben, dieer vor der Kamera hat einstecken müssen, erzählt Richardschmunzelnd in einem TV-Interview, das er anlässlich seines 80.Geburtstags gab. Vor allem Gérard Depardieu habe stets kräftighingelangt. Mit ihm hat Richard die Blockbuster "Ein Tollpatschkommt selten allein", "Zwei irre Spaßvögel", "Der Hornochse undsein Zugpferd. und "DieFlüchtigen"gedreht.
Insgesamt waren es 49 Filme. Einige wie "Die Rezepte einesverliebten Kochs" und "Das Findelkind" waren Tragik-Komödien, beidenen das Publikum sogar ein paar Tränen verdrückte. Und so gerieter ein bisschen zu einem körperlich überdimensionierten WoodyAllen, mit schüchternem französischen Charme.
So ein Typ kennt auch im Alter keinen Stillstand. Tatsächlichgibt der wunderbare Einfaltspinsel Pierre Richard seit Jahren nocheine weitere großartige Vorstellung, vielleicht seine beste: Erwidmet sich der französischen Lebensart. Monsieur Richard istWinzer in Südfrankreich, in Paris besitzt er ein Restaurant mitmarokkanischen Spezialitäten sowie eine Weinbar mit dem schönenNamen: "LeP'tit comptoir du Grand Blond". Der Kleine Schanktisch desGroßen Blonden. Nomen est omen. Oder umgekehrt!