Bodensee-Tatort "Rebecca": Warum erst jetzt?
Rebecca (Gro Swantje Kohlhof) unterwirft sich Kommissar Perlmann (Sebastian Bezzel) - aber warum? © SWR/Stephanie Schweigert
So, nach all der Aufregung um die Tatorte mit Ulrich Tukur und Til Schweiger beruhigen sich bitte alle wieder. Als Kontrast-Programm gibt es in dieser Woche den Tatort "Rebecca" aus Konstanz, der vorletzte Fall für Klara Blum und Kai Perlmann. Doch kurz vor Dienstende weichen die Bodensee-Ermittler von der nebligen Ödnis ab und liefern ein weitgehend solides Psycho-Drama ab, das vor allem Dank der überragenden Hauptdarstellerin funktioniert.
Worum geht’s?
In einem harmlosen Einfamilienhaus brennt die Leiche von Olaf Richter, daneben sitzt ein verstörtes Mädchen (Gro Swantje Kohlhof). Sie ist nicht ansprechbar und reagiert panisch auf jede Art der Annäherung. Richter hatte das Mädchen im Alter von zwei Jahren entführt und in seinem Haus festgehalten. Nun, mit 17, weiß sie nicht einmal mehr, dass sie Rebecca heißt. Richter hat das Mädchen nicht nur jahrelang missbraucht, sondern auch in einem Personen-Kult um sich selbst als "Erzieher" sektenartig manipuliert – inklusive spezieller Namen und einem eigenen Kalender.
Im Haus des Entführers entdecken die Ermittler Spuren eines weiteren Mädchens. Lebt die Kleine noch? Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) versuchen, von Rebecca Hilfe bei der Suche zu bekommen. Doch die Konstanzer Kommissare kommen nicht an Rebecca heran, auch ihre labile Mutter (Sandra Borgmann) ist überfordert. In einer intensiven Betreuung versucht Psychologin Dr. Schattenberg (Imogen Kogge), Rebecca langsam an das normale Leben heranzuführen und sie zum Reden zu bringen.
Ausgerechnet Perlmann gegenüber taut Rebecca dann doch auf – allerdings in einer beängstigenden Weise. Sie sieht im Kommissar ihren neuen "Erzieher" und unterwirft sich ihm. Je rabiater Perlmann mit dem Mädchen umgeht, desto mehr erzählt sie ihm von ihrem Leben in Gefangenschaft. Einerseits sträubt sich Perlmann dagegen, die manipulierte Rebecca so zu behandeln, andererseits sieht er keine andere Möglichkeit, um Hinweise auf das andere Mädchen zu bekommen.
Worum geht es wirklich?
Wenig überraschend denkt man beim Tatort "Rebecca" sofort an die Fälle Kampusch und Fritzl. Tatsächlich ist die Idee zu der Geschichte von Autor Marc Wiersch bereits zehn Jahre alt, doch aus Angst vor Nachahmern wurde der Stoff lange Zeit nicht verfilmt. Nachdem bekannt wurde, was in Österreichs Kellern so vor sich geht, ermutigte der SWR den Autor, ein Tatort-Drehbuch zu verfassen. Bei "Rebecca" steht weniger der Täter als vielmehr das Opfer im Mittelpunkt. Klar, es gilt einen Fall aufzuklären, doch das intensive Spiel von Gro Swantje Kohlhof drängt alles andere an den Rand – und das vollkommen zu Recht!
Ist die Handlung glaubwürdig?
Nach den schon erwähnten Vorkommnissen aus Österreich muss man sagen: Leider ja, zumindest ein Stück weit. Neu ist vielleicht der fast religiöse Fanatismus, mit dem Rebecca auf ihren Erzieher gepolt wurde. Es ist schon recht verstörend zu sehen, wie sie sich Perlmann unterwirft. Außerdem in Konstanz erwähnenswert: Das Ende ist ausnahmsweise nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Bester Auftritt
Gro Swantje Kohlhof spielt alle an die Wand und bekommt dankenswerterweise auch den Raum dafür. Schon im Bremen-Tatort " Die Wiederkehr" verkörperte die Anfang 2015 das verstörte Mädchen, hier schafft sie es erneut, dem Unfassbaren ein Gesicht zu geben. Besonders eindrucksvoll wird es, wenn Kohlhof sich als Rebecca ein wenig öffnet und Einblick in ihr Martyrium gibt, inklusive schleppender, gewählter Sprache wie bei Natascha Kampusch.
Was muss man sich merken?
Wird im vorletzten Tatort aus Konstanz angedeutet, wie es zu Ende geht? Vielleicht – denn wie schon im Vorgänger schwankt die Stimmung zwischen Perlmann und seiner Chefin Klara Blum enorm. Von angespannter Distanz bis zu einem gehauchten "Ich vermisse Dich, Perlmann!" ist alles dabei. Schmeißt einer von beiden hin oder reiten sie gemeinsam in den Sonnenuntergang? Im Herbst werden wir es erfahren.
Soll man gucken?
Bislang haben wir uns in diesem Kreuzverhör mit Wertungen zurückgehalten – weil ein Tatort selten so ambivalent war wie "Rebecca". Alleine wegen Gro Swantje Kohlhof ist dieser Fall sehenswert! Würde nicht hin und wieder Klara Blum bräsig durchs Bild schlurfen, könnte man glatt vergessen, dass es sich um einen Bodensee-Tatort handelt. Das übliche Strickmuster – See im Nebel, träge Erzählweise und abstruse Fälle – wurde zum Glück hier aufgegeben, zugunsten eines einigermaßen stimmigen Psychogramms. Und dankenswerterweise nimmt das Drehbuch die Kommissare auch soweit zurück, dass Gro Swantje Kohlhof viel Platz für die unterschiedlichen Facetten der Rebecca bekommt.
Klar, angesichts der jahrelangen Gefangenschaft geht die Entwicklung überraschend schnell, und Perlmann wechselt bisweilen ein bisschen zu plötzlich zwischen seinen Rollen als verunsicherter Polizist und unfreiwilligem "Erzieher". Der Figur Perlmann tut es aber gut, mal mehr Spielanteile zu haben und nicht nur von seiner Chefin durch die Gegend gescheucht zu werden.Da stellt sich die Frage: Warum erst jetzt?