Oktoberfest-Tatort: "Die letzte Wiesn" im Kreuzverhör
Oktoberfest in München: Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) suchen im Trubel einen Gift-Mörder. © BR/Wiedemann Berg Television/Bernd Schuller
Eine Bemerkung vorab: Der Autor dieser Zeilen hat einen Besuch auf dem Oktoberfest bislang erfolgreich vermieden und würde sich lieber bei lebendigem Leib auf Boernes Tisch legen als einen Fuß in eines der Bierzelte zu setzen. Mit entsprechend gemischten Gefühlen sah er dem Oktoberfest-Tatort "Die letzte Wiesn" entgegen - und wurde angenehm überrascht. Auch wenn die diesjährige Auflage des größten Volksfestes der Welt wohl mit einer etwas anderen Stimmung gefeiert wird, schafft es der Tatort, vor dieser ganz speziellen Kulisse einen gut erdachten Fall zu erzählen.
Worum geht’s?
Von feierwütigen Schwedinnen bis zu greisen Kroaten, alle wollen aufs Oktoberfest. Nur Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) nicht, der flüchtet lieber nach Italien. Doch schon kurz darauf wird er nach München zurückbeordert, ein Wiesn-Besucher hat seine Sauftour nicht überlebt. Das Opfer hatte nur 0,7 Promille, dafür aber eine Überdosis des Betäubungsmittels GHB im Blut. Mehr als ein Dutzend junger Männer ist schon mit Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus eingeliefert worden, ein Serientäter bedroht das größte Volksfest der Welt.
Schnell wird klar: Alle Opfer sind im Zelt von Amperbräu vergiftet worden, das nach dem Tod von Patriarch Moosrieder (Andreas Giebel) von seiner bissigen Witwe (Gisela Schneeberger) regiert wird. Den langjährigen Leiter Korbinian Redl (Leo Reisinger) hat sie kalt gestellt und dafür den lakaienhaften Georg Schemberg (Daniel Christensen) an ihre Seite geholt.
Leitmayr und Batic (Miroslav Nemec) durchleuchten das Zelt akribisch, eine drohende Schließung würde das Oktoberfest dramatisch erschüttern. Will einer der Angestellten (u.a. Mavie Hörbiger) der Witwe Moosrieder schaden? Profilerin Christine Lerch (Lisa Wagner) vermutet vielmehr einen Einzelgänger als Täter, der es auf Party-Touristen abgesehen hat.
Worum geht es wirklich?
Es geht jedenfalls nicht darum, das Oktoberfest zu glorifizieren oder durch den Kakao zu ziehen. Vielmehr sehen wir einen angenehm normalen Fall, der nur zufällig in einer Stadt im Ausnahmezustand spielt und die Atmosphäre der Wiesn – vermutlich – gut einfängt. Auch wenn ein wenig Privat-Kram der Kommissare wohl unvermeidbar ist, sind die Ermittler wenig aufdringlich. Sogar das naheliegende Klischee-Spannungsverhältnis Wiesn-Hasser vs. Wiesn-Fan haben Regisseur Marvin Kren und die Drehbuchautoren Stefan Holtz und Florian Iwersen umschifft. Das gelingt nicht jedem.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Dennoch: Ein paar Stereotypen lassen sich wohl nicht vermeiden. Die alleinerziehende Mutter, die sich im Wiesn-Zelt den Mindestlohn zusammenschleppt, der italienische Sauf-Touri, grapschende Bierzelt-Besucher – all das gehört wohl zum Oktoberfest und damit auch zum Oktoberfest-Tatort. Auch ansonsten wimmelt es nur so von Bausteinen aus dem Krimi-Baukasten: Verhöre, falsche Fährten, plötzliche Eingebungen und eine Profilerin, die aus dem Stand eine exakte Täterbeschreibung abgibt. Und für alle, die den fehlenden Lokalkolorit bei vielen Tatorten bemängeln: In "Die letzte Wiesn" gibt es reichlich Dialekt, oft auch schon in untertitelwürdiger Ausprägung. Außerdem wird im Festzelt "Atemlos" von Helene Fischer gespielt. Authentischer geht es wohl kaum.
Bester Auftritt
Helene Fischer. Das ist scheinbar ihr Tatort-Jahr: In Ludwigshafen beschallte sie im Frühjahr eine Dorf-Disco, vergangene Woche eine Frankfurter Rocker-Kneipe und nun ein Münchener Bierzelt. Man mag sich gar nicht ausmalen, was bis zu ihrem großen Auftritt im Til-Schweiger-Zweiteiler noch alles kommt. Ob die ARD ab fünf Mal "Atemlos" Rabatt bei der Gema bekommt?
Abgesehen davon machen fast alle einen guten Job, wirkliche Ausfälle gibt es nicht. Gisela Schneeberger spielt die Zelt-Herrscherin genau so unsympathisch, wie man es sich als Wiesn-Hasser vorstellt, während Mavie Hörbiger als Dirndl-Trägerin vermutlich sehr nah dran am Ideal der Zelt-Freunde ist. Und: Assistent Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) wird immer besser. Lasst ihn mehr sein als nur einen Stichwortgeber!
Was muss man sich merken?
Es ist wie beim Oktoberfest selber: Wenn man gleich danach alles vergessen hat, ist es auch nicht schlimm. Zur Not schaut man halt im nächsten Jahr nochmal.
Soll man gucken?
Ja! Alleine, weil " Die letzte Wiesn" der bislang beste Tatort der neuen Saison ist! Außerdem finden sich in diesem München-Tatort alle wieder: Oktoberfest-Hasser werden in ihren Vorurteilen über "Atemlos"-gröhlende Trachten-Träger bestätigt, Wiesn-Fans hingegen finden sich in den Szenen wieder, in denen die Tradition und Gastlichkeit gepriesen werden. Das alles ist nicht innovativ, fortschrittlich oider besonders einfallsreich, funktioniert aber Dank guter Darsteller und realistischer Dialoge trotzdem.