„Zwei Mal durch Crashtest gefallen“

Alpha Tauri will an das vordere Ende des Mittelfelds. Im Interview spricht Teamchef Franz Tost über die erste Testwoche, den Teileaustausch mit Red Bull, den Spagat zwischen der Entwicklung für 2020 und 2021 – und die Zukunft der Formel 1.
Wie sind die ersten Eindrücke mit dem neuen Auto?
Tost: Soweit positiv. Wir hatten drei fruchtbare Testtage. An jedem haben wir mehr als 100 Runden geschafft. Ich denke, wir gehen in die richtige Richtung. Das Auto scheint vom Speed her recht gut zu sein. Aber man weiß nie so genau, mit wie viel Sprit die anderen unterwegs waren. Soweit haben wir alles unter Kontrolle. Das Mittelfeld ist schon sehr eng zusammen. Ich hoffe, dass wir die Lücke zu den vorderen Teams ein bisschen geschlossen haben.
Neues Jahr, neues Auto: Wie geht man die erste Testwoche an?
Tost: Am ersten Tag haben wir uns in der Früh auf Aerodynamik-Tests konzentriert. Dazu hatten wir große Messgitter am Auto. Gerade wenn man ein neues Auto das erste Mal fährt, muss man wissen, wie die Luftumströmung ist, damit man die Korrelation zwischen Rennstrecke, Windkanal und CFD herstellen kann. Dazu braucht man eine Datenbasis. Später haben wir uns auf aerodynamische Versuche mit der Bodenfreiheit konzentriert. Mal höher, mal tiefer. Bis das alles richtig eingetütet, und die Versuchsreihe abgeschlossen ist, war schon Mittag. Am zweiten Tag war es dasselbe Programm. Wir haben mit der Bodenfreiheit und den Frontflügeleinstellungen experimentiert. Erst dann geht es an das eigentliche Testprogramm.
Das wäre?
Tost: Man hat sich mit Simulationen ein Basissetup errechnet. Davon ausgehend arbeiten wir. Am ersten Tag fuhren wir das Setup mit Daniil Kvyat. Am zweiten mit Pierre Gasly. Daran sehen wir, wie die Fahrer reagieren, wie die Rundenzeiten und ihre Aussagen sind. Dann beginnt man, das Setup zu entwickeln. Wir hatten zum Beispiel am ersten Tag mit Kvyat mit dem Basissetup etwas untersteuern. Daraufhin wurde das Auto angepasst. Kvyat war nach den Änderungen sehr zufrieden.
Kann man sagen, dass es erst in der zweiten Testwoche an die Performance geht?
Tost: Das ist richtig. Die letzten zwei Tage der zweiten Testwoche sind mehr auf Performance ausgerichtet. A, was das Qualifying betrifft. Und B, was das Rennen anbelangt.
Die Teams haben in diesem Winter nur sechs statt acht Testtage, um sich auf die Saison vorzubereiten: Was hat sich dadurch in der Vorbereitung geändert?
Tost: Wir haben im Vorfeld extrem viel Simulatorarbeit betrieben. Ich habe versucht, meine Ingenieure zu pushen, und ihnen klarzumachen: Herrschaften, wir haben nur sechs Testtage. Ich habe es letztes Jahr schon gesagt: Den Grundstein für unsere Erfolge waren die guten Testfahrten in Barcelona. Wir sind damals über 4.000 Kilometer gefahren. Jede Testminute, die du verlierst, kostet dich Performance. Der Fahrer hat weniger Vertrauen ins Auto, du hast weniger technisches Verständnis. Defekte treten meist erst ab einer gewissen Laufleistung auf. An diese Grenze musst du überhaupt erst einmal fahren. Wenn du in der Box stehst, kannst du das nicht. Bis jetzt sind wir sehr gut unterwegs. Alle Vorgaben wurden erfüllt. Aber man sieht das nicht nur bei uns, sondern bei allen Teams. Was am ersten Tag vormittags abging, war sensationell. Da blieb kaum einer unter 50 Runden.
Ist dieses Zuverlässigkeitsniveau nur mit mehr Simulatorarbeit und durch mehr Prüfstandsläufe zu erklären?
Tost: Es hat keine großen Regeländerungen gegeben. Das heißt, man ist mit bekanntem Material unterwegs. Wobei ich auch 2021 kein schlechteres Ergebnis erwarte, obwohl die Autos ganz anders sein werden. Warum? Weil die Formel 1 einfach ein derart hohes Level erreicht hat mit den Werken Mercedes, Honda, Ferrari, Renault. Da wird alles so präzise berechnet, und so gut getestet auf dem Prüfstand, dass kaum noch Defekte auftreten. Auf der einen Seite ist das super. Auf der anderen Seite nimmt das natürlich einen Spannungsfaktor von den Rennen. Als ich noch klein war, sind von 15 Autos vielleicht die Hälfte ins Ziel gekommen. Wobei da viele Fahrer dabei waren, die sich am Ende absichtlich verschaltet haben, weil sie nicht mehr konnten.
Auch die Fahrer werden immer besser.
Tost: Ich sage es meinen immer wieder: Die Wintermonate sind die wichtigsten für euch. Bildet euch nicht ein, dass ihr im Sommer aufholen könnt, was ihr im Winter versäumt habt. Du fliegst von Rennen zu Rennen. Jetlag, andere Klimazonen. Da kannst du nicht plötzlich sagen, ich bin körperlich schwach und muss das jetzt aufholen. Deshalb achten wir sehr darauf, dass unsere Fahrer im Dezember und Januar viel trainieren und sich gesund ernähren. Desto schneller erholt sich der Körper von den Belastungen.
Zu wie viel Prozent ist der AT01 ein Alpha Tauri, zu wie viel Prozent ein Red Bull?
Tost: Das habe ich nicht ausgerechnet. Ich kann nur sagen, dass wir von Red Bull das Hydrauliksystem, das Getriebe, die komplette Hinterradaufhängung und den Innenteil der Vorderradaufhängung erhalten. Die Dreieckslenker machen wir aus aerodynamischen Gründen an der Vorderachse selbst. Leider beziehen wir weniger Teile als im Vorjahr. Die Bremsbelüftungen vorn und hinten muss man jetzt selbst entwickeln.
Aber es ist das Maximum, was das Reglement an Teilen hergibt?
Tost: Genau.
Wie kann man sich die Kooperation darüber hinaus vorstellen? Glühen zwischen Milton Keynes und Faenza täglich die Drähte?
Tost: Nein. Wir sind an der direkten Entwicklung nicht beteiligt. Nur dann würden die Leitungen glühen. Wir übernehmen von Red Bull immer die Teile des Vorjahres. Wir sagen, was wir brauchen, und sie schicken uns die Teile.
Was bedeutet das für die eigene Entwicklung?
Tost: Wir betreiben in den Bereichen, die ich aufgezählt habe, keine eigene Entwicklung mehr. Früher haben wir das Getriebe selbst gemacht. Wir konzentrieren uns jetzt voll auf die Aerodynamik und das Monocoque. Wir verfeinern diese Bereiche. Wir optimieren den Motoreinbau. Da müssen wir unsere eigenen Wege gehen, weil das Monocoque zu den listed parts gehört.
Haben Sie die diesjährigen Crashtests alle auf Anhieb bestanden?
Tost: Nein. Das wäre auch nicht gut. Dann wären wir nicht ans Limit gegangen. Wir hatten bei der Nase Probleme. Man will natürlich möglichst wenig Material verwenden, damit man mit dem Gewicht kein Problem bekommt. Wenn wir alle Crashtests auf Anhieb bestanden hätten, würde ich mir denken: Oh, wir hatten entweder Glück oder waren zu konservativ.
Wie viel Mal sind Sie bei der Nase durchgefallen?
Tost: Zwei Mal, glaube ich.
Woher kommt die Ähnlichkeit zum Red Bull RB15? Ist das zwangsläufig so, wenn man viele Teile übernimmt?
Tost: Das technische Reglement ist inzwischen so eingeschränkt, dass man gar nicht erwarten kann, dass die Autos komplett verschieden ausschauen. Wenn man sich die hinteren Teile der Autos anschaut, ich meine alle, gibt es sowieso keine Riesenunterschiede mehr. Vielleicht da und dort kleine Teile am Diffusor. Die einzigen wirklich großen Unterschiede sieht man an der Nase. Da besteht schon ein deutlicher Unterschied zwischen Red Bull und uns. Red Bull baut da viel schmaler. Für mich schauen die Autos nicht gleich aus.
Spart das Modell mit den vielen Gleichteilen auch Geld?
Tost: Das spart etwas Geld. Wir können Teile übernehmen, die Red Bull faktisch auf Lager hat. Teile, die sie sonst wegschmeißen oder zerstören würden. Das ist eine gute Sache. Es hat ja mal so angefangen, dass wir alles bekommen haben. Aber in dieser Beziehung haben sich die Regeln leider geändert.
Was sagen Sie zum Racing Point?
Tost: Wenn sie abgekupfert, aber alle Aerodynamikteile selbst entwickelt haben, haben sie einen guten Job gemacht. Ich hoffe nicht, dass sie irgendwelche Zeichnungen bekommen haben. Das wäre nicht im Sinne des Reglements.
Wie groß ist die Hoffnung, ohne Motorstrafe durch die Saison zu kommen?
Tost: Bis dato sind keine Motorenstrafen geplant. Wir gehen es aber flexibel an. Unsere Philosophie ist Performance-orientiert. Wenn Honda sagt, wir haben zwar schon das Kontingent aufgebracht, haben aber noch was supertolles in der Hinterhand, werden wir uns zusammensetzen, es simulieren und eine Strecke finden, auf der man gut überholen kann und sich die Mehrleistung auszahlt. Bei diesem Rennen und bei den nächsten.
Die Saison steht vor der Tür, doch die Teams müssen jetzt schon an 2021 denken. Wie schwer ist es, die Balance in der Entwicklung zu finden?
Tost: Das kann ich jetzt noch nicht beantworten. Es hängt von unserer Performance und der Performance unserer Gegner ab. Wir haben 2020 unsere Ziele zu erreichen. Ich hoffe, dass das Auto funktioniert und wir die Weiterentwicklung auf einem gewissen Level halten können. Parallel dazu müssen wir uns innerhalb unseres Rahmens mit dem 2021er Auto beschäftigen.
Das Reglement für 2021 steht immer noch nicht komplett. Betreiben Sie deshalb bislang nur Grundlagenforschung?
Tost: Ja, wir machen vorwiegend Basisarbeit, weil das Reglement noch nicht hundertprozentig steht. Ich hoffe, dass das bis Ende März der Fall sein wird, weil uns langsam die Zeit davonläuft. Gerade für kleine Teams ist eine späte Reglementsentscheidung noch schwerer zu kompensieren. Wir haben nicht die Ressourcen der großen. Deshalb ist es wichtig, dass die Regeln bald endgültig stehen.
Wie kommt es, dass noch so stark am Reglement gearbeitet wird?
Tost: Die FOM führt ihre eigenen Versuche durch. Sie stellen da und dort Lücken im Regelwerk fest, die sie schließen wollen. Dann kommen Ideen der FIA, mit denen die Teams nicht einverstanden sind. Es wird immer wieder diskutiert. Irgendwann sollte das Reglement endgültig stehen. Je länger es sich verzögert, desto mehr muss man sich daran orientieren, was momentan der Stand ist. Schlimm wäre es, wenn es eine komplette Änderung gäbe. Dann wäre die Basisarbeit umsonst gewesen.
Wie sehen Sie generell das Auto der Zukunft?
Tost: Wir müssen die Balance finden zwischen technischer Weiterentwicklung, zwischen Innovation, der finanziellen Belastung und dem Unterhaltungswert. Die Formel 1 ist der Gipfel des Motorsports. Die DNA der Formel 1 ist auch die technische Weiterentwicklung. Aber: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns A in einem finanziellen Rahmen aufhalten müssen. Das sollte mit dem Cost Cap geschehen. Und B, dass wir unterhalten müssen. Es bringt nichts, wenn zwei oder drei Teams einsam vorneweg fahren, und nach 20 oder 30 Sekunden erst das Mittelfeld kommt. Wenn es wieder eine Mercedes-Show gibt, wird früher oder später keiner mehr Formel 1 schauen. Das hat nichts mit Mercedes zu tun. Es wird dann einfach langweilig. Die Leute wollen andere Sieger, Zweikämpfe und Überholmanöver sehen.
Werden die Ingenieure 2021 zu stark eingeschränkt?
Tost: Meine Techniker sagen mir, dass das neue Reglement die Kreativität extrem fordert. Dass man viele eigene Ideen einbringen kann. Später dann, wenn alles steht, kann es sein, dass die Weiterentwicklung nicht mehr so zügig vorangeht. Aber das wollen wir ja alle. Wir müssen mit den Kosten runter. Und wir wollen das Feld zusammenbringen. Deshalb finde ich, dass es so in Ordnung ist.
Eines der Ziele ist es, junge Leute anzusprechen. Sehen Sie das gegeben?
Tost: Man muss vorsichtig sein, was die Jugend betrifft. Da hatte ich schon vor vielen Jahren heiße Diskussionen. Für mich waren die Eintrittskarten zu teuer für junge Leute. Da habe ich gesagt: Die Veranstalter sollen runter mit den Preisen. Das Auto ist für junge Leute heute nicht mehr etwas so Spezielles, so etwas Außerordentliches, wie es in meiner Kindheit der Fall war. Man muss es ganz objektiv sehen. Es gibt sogar einige, die noch nicht einmal mehr einen Führerschein machen.
Wir müssen eine Top-Show erzeugen, um junge Leute anzulocken. Wir müssen ihnen eine Bühne bieten, damit sie sagen: Da müssen wir hin, da ist etwas los. Die Formel 1 ist in jedem Land nur einmal. Ich sage zu den Veranstaltern: Jedes Rennen muss ein Highlight des Jahres sein. So wie es in Kanada oder in Australien der Fall ist. Ich gehe in Melbourne am Samstagabend oder am Sonntagvormittag immer durch den Park und schaue mir alles an. Die machen was, auch für die jungen Leute. Es gibt Spielplätze, riesengroße Leinwände. Es ist ein Event für die ganze Familie. Wir brauchen die Kombination aus spannenden Rennen, Konzerten und anderen Veranstaltungen.
Braucht man vielleicht nicht auch weniger statt mehr Rennen?
Tost: Da gehen die Meinungen auseinander. Meine Meinung ist, dass die Formel 1 eine Premiummarke sein sollte, und kein Volumenanbieter. Ich bin eher für weniger Rennen, dafür qualitativ hochwertigere. Je mehr Rennen man hat, desto mehr geht es in Richtung des Volumens. Ich finde, dass um die 20 Rennen eine gute Zahl ist. Wenn es rauf geht, in höhere Regionen: Okay, das kann man machen. Aber dann müssen auch die Einnahmen für die Teams hoch. Sonst macht es keinen Sinn. Liberty Media muss schauen, wie sie die Show so über die Bühne bringt, dass es in einem finanziellen Rahmen abläuft.