Bernd Mayländers kurioseste Rennen
Safety-Car-Fahrer Bernd Mayländer feierte in Singapur seinen 300.Grand Prix. Der Mann, der immer an der Spitze fährt, erinnert sich im Interview an seine kuriosesten Safety-Car-Einsätze.
Wie wird man eigentlich Safety-Car-Fahrer?
Mayländer: Ich hatte das Glück 1999 beim GP San Marino im Porsche Supercup zu fahren. Am Donnerstagnachmittag höre ich, dass ich zu Charlie Whiting und Herbie Blash in die Rennleitung kommen soll. Ich dachte schon, ich hätte etwas angestellt. Sie haben mich dann gefragt, ob ich Lust hätte im Formel 3000-Rennen das Safety-Car zu fahren. Stammfahrer Oliver Gavin konnte nicht, weil er selbst im Formel 3000-Rennen mitgefahren ist. Ich habe gar nicht lange überlegt. Für mich war das eine tolle Sache, mit der FIA in Kontakt zu kommen. Das Produkt kannte ich. Das war damals ein Mercedes GLK 55 von AMG. Am gleichen Wochenende wurde ich ins kalte Wasser geschmissen. Aber so konnte ich mich in der Formel 3000 ein Jahr lang in den Job einarbeiten. Während der Saison hat Charlie gefragt, ob ich mir das auch in der Formel 1 vorstellen kann. Oliver Gavin kam nicht mehr in Frage, weil er ab 2000 in der ALMS-Serie gefahren ist. Ich habe sofort Ja gesagt.
Wie groß ist der Stress, wenn man im Auto sitzt und wartet, dass etwas passiert?
Mayländer: An die Abläufe hat man sich gewöhnt. Die Anspannung ist aber die gleiche wie vor 16 Jahren. Der Puls geht immer noch hoch, wenn ich in meiner Parkposition stehe und die Jungs kommen von der Einführungsrunde zurück. Aus dem einen Grund: Du kannst noch so viel Routine haben, es kann immer etwas passieren, das du noch nie erlebt hast. Du kannst nichts planen. Vor dem Grand Prix in Baku haben mir nach den turbulenten GP2-Rennen alle prophezeit: Heute kommst du oft zum Einsatz. Und dann war es ganz ruhig.
Warum haben Sie eigentlich einen Beifahrer?
Mayländer: Vier Augen sehen mehr. Als Fahrer bin ich zunächst aufs Fahren konzentriert. Er kümmert sich um die Lichtsignale auf dem Auto, er sammelt alle Informationen, die über Funk kommen und gibt sie mir weiter. Ich höre sie zwar auch, aber manchmal bist du mit dem Fahren beschäftigt. Zum Beispiel bei einem Unfall. Da muss ich auch entscheiden, welche Linie ich am Unfallort vorbei nehme. Es ist wie im Flugzeug. Das könnte auch von einer Person geflogen werden, aber zwei sitzen im Cockpit.
Erklären sie mal den Ablauf eines Safety-Car-Einsatzes.
Mayländer: Wir können das Rennen auf zwei Monitoren im Auto verfolgen, wissen also ungefähr, was auf uns zukommt. Wenn ein Einsatz bevor steht, höre ich von Herbie das Kommando „Safety-Car stand-by“. Ich lege den ersten Gang ein, mein Beifahrer schaltet auf Blinklicht. Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Bei der Order „Safety-Car deploy“ geht es los, bei „SafetyCar stand down“ war es falscher Alarm. Da hat sich die Situation von alleine erledigt oder es reicht eine virtuelle Safety-Car-Phase.
Und wenn es wirklich losgeht?
Mayländer: Dann beschleunige ich voll bis zur Safety-Car-2-Linie an der Boxenausfahrt. Dort warte ich auf das erste Fahrzeug. Wenn es die Zeit zulässt, sortieren wir sofort, bis das führende Auto hinter mir ist. Manchmal kann das ein bisschen verwirrend sein, wenn einige an die Box gehen, andere nicht. Da kann dann schnell mal der Spitzenreiter wechseln. Das bekommen wir aber über Funk gesagt oder wir sehen es auf dem Bildschirm. Bei einem schweren Unfall halten wir zunächst alle Autos hinter uns, damit mehr Zeit vergeht bis wir an der Unfallstelle ankommen. Da geht Sicherheit vor. Ich erfahre über Funk sofort, wie schwer der Unfall war. Wir sehen auch, wie hoch die Verzögerungskräfte waren. Wenn es über 20 g sind, muss automatisch auch das Medical-Car auf die Strecke. In diesem Fall fahren wir beide sofort auf die Strecke. Ich lasse das Arztauto dann spätestens an der Safety-Car-Linie-2 überholen und schirme es nach hinten ab. Es gibt auch Rennstrecken, wo es Abkürzungen gibt, wenn die Unfallstelle am Ende der Runde liegt. In Singapur zum Beispiel geht das. So ist der Arzt schneller an der Unfallstelle.
Fahren Sie eigentlich voll, wenn mal alle hinter Ihnen aufgereiht sind?
Mayländer: In der Regel fahre ich zwischen 95 und 98 Prozent von dem, was das Auto kann. Im Fernsehen sieht das natürlich furchtbar langsam aus gegenüber einem Formel 1.Auto. Ist es auch. Ich verliere bei voller Fahrt 10 Sekunden pro Kilometer auf die Formel 1. Nur das Beispiel Eau Rouge. Ich komme dort mit 240 km/h in der Senke an, schalte runter, bremse auf 180 km/h runter und fange dann langsam wieder an zu beschleunigen und habe am Ausgang vielleicht 185 km/h drauf. Ein Formel 1.Auto fährt mit 290 km/h rein und kommt mit über 300 km/h wieder raus. Man darf nicht vergessen, dass unser Mercedes AMG GTS ein Straßensportwagen mit 510 PS und Straßenreifen ist und kein Rennauto mit Slicks.
Haben Sie da Zeit, in den Spiegel zu schauen?
Mayländer: Ich schaue in den Spiegel, um zu checken ob wirklich der Führende hinter mir liegt, und wie dicht das Feld zusammen liegt. In der ersten Runde konzentriere ich mich auf die Unfallstelle und die Trümmer und den besten Weg vorbei. Bei Regen muss ich schauen, wo es Aquaplaning geben könnte. Im Gegensatz zu den Fahrern hinter mir, muss ich erst mal lernen, wo das Wasser steht und wie gut der Grip ist. Da musst du blind auf hohem Niveau anfangen.
Und was passiert, wenn die Safety-Car-Phase beendet ist?
Mayländer: Mein Beifahrer berichtet der Rennleitung laufend, wie die Bedingungen auf der Strecke sind. Bei Regen ist das gar nicht so einfach. Je stärker es regnet, umso mehr Vorteile habe ich gegenüber einem Formel 1.Auto. Weil ich mehr Masse und mehr Verdrängungsvolumen habe und nicht mit dem Unterboden aufschwimmen kann. Da müssen wir abschätzen, was für ein Formel 1.Auto noch erträglich ist. Die Rennleitung hört auch den Fahrern zu und hat so ein komplettes Bild. Wenn alles sicher ist, dann gibt Charlie meistens noch eine Runde dazu. Herbie sagt mir dann, wenn es wieder losgeht. Spätestens an der Grenze zwischen Sektor 2 und 3 mache ich die Lampen aus. Von dem Zeitpunkt an bestimmt der Spitzenreiter den Speed des Feldes. Ich muss richtig Gas geben, dass mich die Jungs nicht vor der Safety-Car-1-Linie einholen. Das muss der Führende richtig timen. Beim GP2-Rennen in Baku haben sie zu schnell aufgeschlossen und mussten bremsen. Das Problem war, dass die beiden schnellen Kurven auf der Zielgerade für mich nicht voll gegangen sind. Mit den Formel-Autos natürlich schon. Da haben die 400 Meter auf einen Kilometer gut gemacht.
Können Sie sich noch an Ihren ersten Einsatz erinnern?
Mayländer: Na klar. Das war in Melbourne 2000. Für mich war es schon eine große Sache, einfach Teil der Formel 1 zu sein, mit der FIA zu arbeiten. Es war eine richtig gute Entscheidung in meinem Leben. Seitdem bin ich 8 unterschiedliche Safety-Cars gefahren (siehe Galerie). Am Anfang waren sie nicht so sportlich wie heute. Da konnte ich meine Erfahrungen weitergeben, und so haben wir uns mit den Autos dorthin entwickelt, wo wir heute sind. AMG hat für seine Sportwagen auch viele Anleihen von den Safety-Cars genommen.
Was war Ihr kuriosester Einsatz?
Mayländer: Da gab es viele. Einer war sicher Fuji 2007, wo uns fast der Sprit ausgegangen ist. Wir waren 19 Runden am Stück auf der Strecke. Beim zweiten Einsatz später im Rennen mussten wir auf das Ersatzauto umsteigen. Ich kann mich auch noch an Montreal 2012 erinnert. Es war das Rennen mit der langen Unterbrechung. Da habe ich zwischendrin in der Rennleitung gesessen und ein Stück Kuchen gesessen. Und dann noch 2001, als ich nach dem Hockenheim-Rennen Michael Schumacher auf der Strecke aufgesammelt habe. Er war auf der ersten Waldgeraden kurz vor der ersten Schikane ausgefallen und suchte eine Mitfahrgelegenheit. Michael war begeistert von unserem damaligen Auto. Er hat dann im Motodrom den Fans aus der offenen Scheibe zugewunken. Das Foto davon hat Mercedes als Anzeigenmotiv verwendet, als Michael ein Rennen später in Budapest Weltmeister wurde. Der Slogan war: „Auch wir gratulieren Michael“. Und einmal hat Sebastian Vettel in Ungarn zu viel Abstand zu mir gelassen und hat dafür eine Durchfahrtstrafe kassiert.
Und was war da 2004 im Tunnel von Monte Carlo?
Mayländer: Das war auch eine verrückte Geschichte. Ich komme aus dem Tunnel raus, schaue in den Spiegel und sehe hinter mir keine Autos. Bis Michael Schumacher plötzlich mit einem Rad weniger aus dem Tunnel kommt. Ich konnte nicht sehen dass Michael mit Montoya beim Aufwärmen der Reifen zusammengestoßen ist. Anfangs hatte ich echt Bedenken, dass ich einen Fehler gemacht habe. Für mich geht die Kurve im Tunnel nicht voll. Ich muss leicht auf die Bremse. Ich dachte, vielleicht bist du ein bisschen stark auf die Bremse und hast die Jungs hinter dir überrascht. Zum Glück hatte ich nichts damit zu tun.
Manchmal beschweren sich die Fahrer, dass das Safety-Car zu langsam fährt. Waren Sie auch schon mal zu schnell?
Mayländer: Auch das gab es. Bei einem Wolkenbruch in Malaysia und am Nürburgring. Da war ich im Vorteil. Da hat mir Herbie am Funk gesagt „drive slower“.
Ihre gefährlichste Situation?
Mayländer: Sicher 2007 auf dem Nürburgring, als es plötzlich anfing zu schütten und die meisten Fahrer noch auf den falschen Reifen unterwegs waren. Einige sind in die Box gegangen, andere noch eine Runde gefahren. Deshalb gab es ein bisschen Verwirrung, wer das Rennen anführt. Ich bin langsam die Zielgerade runtergefahren um auf den Spitzenreiter zu warten. Da hat Liuzzi Aquaplaning bekommen und ist voll auf uns zugeflogen. Zum Glück schaue ich noch einmal in den Rückspiegel und sehe wie der Toro Rosso auf Höhe unserer Tür durch die Luft fliegt. Er wäre uns voll in die Seite gekracht. Ich konnte gerade noch Gas geben und in die erste Kurve einlenken. Er ist dann hinter uns vorbei. Das hätte übel ausgehen können. Das Amüsante an diesem Chaos war, dass mein Freund Markus Winkelhock das Rennen kurz angeführt hat. In seinem einzigen Grand Prix.
Und die schlechten Erfahrungen?
Mayländer: Immer die schlimmen Unfälle. Jacques Villeneuve mit dem Streckenposten in Melbourne 2001. Ralf Schumacher 2004 in Indy. Robert Kubica 2007 in Montreal. Und natürlich Jules Bianchi in Suzuka. Da machst du dir schon deine Gedanken, wenn du an der Unfallstelle vorbeifährst und nicht weißt, wie es ausgeht. Trotzdem muss man funktionieren.
Sind Sie selbst schon mal fast abgeflogen?
Mayländer: Es gab schon ein paar heiße Momente, vor allem im Regen. Der haarigste war in Shanghai vor Sebastian Vettel. Da habe ich Aquaplaning gekriegt und konnte das Auto gerade noch abfangen. Ist natürlich der Alptraum eines Safety-Car-Fahrers. Aber das kann immer drin liegen. Auch ich muss im Grenzbereich fahren. Und das von null auf 100. Deshalb üben wir am Donnerstag und versuchen da für den Fall der Fälle auch die ein oder andere Auslaufzone in die Linie mit einzubauen. Aber klopfen wir auf Holz: Bei 300 Grand Prix bin ich immer auf der Strecke geblieben.
Was ist aus Ihrer Sicht die schwierigste Strecke?
Mayländer: Monte Carlo und Singapur. Weil die Strecke so eng und mein Auto so groß ist. Da kann man schnell in eine schwierige Situation kommen.
Seit zwei Jahren gibt es das virtuelle Safety-Car. Sind Sie eifersüchtig auf den Kollegen Computer?
Mayländer: Nein, ich finde das eine positive Lösung. Du kannst bei kleineren Vorfällen einfach schneller reagieren. Ein echtes Safety-Car bedeutet halt immer mindestens 2 Runden Verlust. Und wenn dann noch Überrundete sortiert werden müssen, dauert es noch länger.
In der Galerie zeigen wir Ihnen noch einmal die Safety-Car-Flotte von Bernd Mayländer.