Auf Kriegsfuß mit der Bremse

Brake by Wire heißt eine der wichtigsten Neuerungen in den
2014er Formel 1-Autos. Nicht alle Piloten kommen mit der
elektronischen Bremse zurecht. Im Video und der Bildergalerie
zeigen wir im Detail, wie das System funktioniert.
Brake by Wire war während der Testfahrten eines der meistgenannten Begriffe, wenn die Fahrer Bereiche nennen sollten, in denen sich die Autos noch verbessern müssen. Noch immer stehen viele Fahrer mit der elektronischen Bremse auf Kriegsfuß. Doch was macht die neue Technik so kompliziert?
Formel 1-Piloten noch ohne Vertrauen in Brake by Wire
Eines prominentes Opfer der Brake by Wire-Technik ist Sebastian Vettel. Dem Weltmeister fehlt immer noch das Vertrauen, wenn er vor einer Kurve in die Eisen steigt. Die Verzögerungsleistung ist nicht konstant. Vettel bremst regelmäßig zu früh vor der Kurve und verliert dadurch wertvolle Zeit.
Normalerweise besitzt kaum ein Pilot ein solches Gottvertrauen in die Technik wie der Vierfach-Champion. Keiner hatte den Nutzen des angeblasenen Diffusors so schnell und konsequent genutzt, wie der Hesse. Als einer der ersten Piloten hatte Vettel kapiert, dass mehr Gas auch mehr Grip auf der Hinterachse bedeutet und seinen Fahrstil entsprechend umgestellt.
Doch jetzt scheint auch der Red Bull-Pilot ratlos zu sein. Alleine kann Vettel das Problem nicht lösen. Brake by Wire ist vor allem eine Aufgabe für die Ingenieure und die Programmierer. Notwendig wurde das elektronische Bremssystem durch die erhöhte Abzweigung von Verzögerungs-Energie im Antriebsstrang durch die MGU-K-Einheit.
MGU-K zweigt Energie ab, wenn der Fahrer bremst
Analog zum alten KERS fließt Strom in die Batterien, wenn der Fahrer auf die Bremse steigt. Theoretisch könnte das Energie-Sammeln sogar schon im Schleppbetrieb losgehen. Doch laut Reglement werden die Speicher erst gefüllt, wenn der Fahrer aktiv verzögert – sprich das Bremspedal betätigt.
Oft wird deshalb fälschlicherweise behauptet, dass die Energie direkt irgendwo an den Bremsen abgezweigt werde. Doch der Generator hängt am Antriebsstrang. Wenn Energie abgezweigt wird, funktioniert das System praktisch wie eine Motorbremse. Je mehr geladen wird, desto weniger muss der Fahrer selbst bremsen.
Wegen der hohen Speichermenge von 2 Megajoule pro Runde ist das Bremsmoment enorm. Die Hinterradbremsen werden um 30 Prozent entlastet. Der Durchmesser der hinteren Scheiben schrumpfte um 12 Millimeter. Die Bremssättel sind kleiner, die Bremsen werden um 50°C weniger heiß als früher.
In den vergangenen Jahren musste der Fahrer bei der manuellen Erhöhung der Rekuperationsleistung im Rennen auch immer selbst die Bremskraftverteilung nachjustieren. Da die abgezweigte Energiemenge in diesem Jahr aber viel höher ist und in der Intensität viel häufiger variiert, ist in den technischen Regeln ein elektronisches Bremssystem an der Hinterachse vorgeschrieben – das Brake by Wire.
Bremsbalance verschiebt sich ungewollt
In der Theorie sollte es so funktionieren, dass der Pilot im Bremsfuß gar nicht merkt, wie viel Energie gerade im Heck eingesammelt wird. Durch eine geschickte Programmierung müsste die Intensität der Rekuperation immer automatisch ausgeglichen werden. Klingt einfach, ist es aber nicht. Piloten klagen über ein synthetisches Gefühl im Gaspedal, eine Verschiebung der Bremsbalance oder mangelnde Bremsstabilität. Nach außen sichtbar wird das durch eine deutlich erhöhte Verbremser-Quote.
Das Brake-by-Wire-System hängt wie bereits erwähnt eng mit der Steuerung des Hybrid-Systems zusammen. Die Technik entscheided selbstständig, wie stark MGU-K und MGU-H Energie sammeln. Die Frage, welche Elektromaschine die Batterie gerade lädt, hat Auswirkungen auf die Reifentemperatur. Lädt die MGU-K bleiben die Bremsen kalt. Sollen die Reifen schnell auf Temperatur kommen, speist die MGU-H Energie in die Batterien ein. Sie wird vom Turbolader angetrieben und hat keinerlei Einfluss auf das Bremsmoment.
Einige Piloten kommen seltsamerweise mit dem Brake-by-Wire-System besser zurecht als andere Fahrer. Die Ingenieure müssen sich dann die Frage stellen: Lieber die Technik verändern oder den Fahrstil des Piloten umerziehen. Noch steckt die elektronische Bremse in einer frühen Entwicklungsphase. Im kommenden Jahr wird wohl kaum noch jemand darüber reden.