Endlich Chancengleichheit in Formel 1?
Die Budget-Formel der FIA für die Zukunft steht. Ende der Woche soll die letzte Version den Teams zur Abstimmung vorgelegt werden. Auf dem Papier würde dann zum ersten Mal in der Geschichte der modernen Formel 1 Chancengleichheit herrschen. Für alle Teams eine große Herausforderung.
Die Änderung der Budgetdeckelung war eine schwere Geburt. Die Teams hatten zwar einen ersten Entwurf Anfang Mai auf dem Tisch liegen, doch der verlangte noch nach Änderungen. In dieser Woche soll nun die endgültige Fassung zur Abstimmung vorgelegt werden.
Die Teams haben dann 48 Stunden Zeit, ihre Wahl zu treffen. Um den Vorschlag ins Reglement zu heben, braucht die FIA die einfache Mehrheit. Also sechs Teams. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie grünes Licht bekommt.
Die Eckpunkte der neuen Budgetdeckelung sind bereits bekannt. Sie soll nächstes Jahr mit 145 Millionen Dollar beginnen, also 30 Millionen weniger als ursprünglich geplant. 2022 fällt der Kostendeckel auf 140, ab 2023 für die drei folgenden Jahre auf 135 Millionen Dollar. Die 20 Ausnahmen wie Fahrergehälter, Motorenkosten oder der Marketing-Etat bleiben.
Den Kundenteams werden Entwicklungsbeiträge von der Budgetobergrenze abgezogen, sofern sie Teile bei einem Mitbewerber einkaufen. Das trifft auf Alfa Romeo, Alpha Tauri, Haas und Racing Point zu.
Abzüge bis zu 38 Millionen Dollar
Hier wird es kompliziert. Die Bemessung dieser so genannten "nominalen Entwicklungskosten" bescherte der FIA zwei Wochen extra Arbeit. Jetzt steht das Gerüst. Die Komponenten sind in zehn Kategorien unterteilt, die alle mit einem Preiszettel versehen sind. Für ein Getriebe wird der imaginäre Kapitalwert X berechnet, für eine Vorderradaufhängung Y.
Der Gesamtabzug berechnet sich, je nachdem aus welcher Schublade sich die Kundenteams bedienen. Sollte der tatsächliche Einkaufspreis höher liegen, zählt diese Differenz nicht zum Budget.
Haas und Alpha Tauri bestellen bei ihren Partner-Teams praktisch das komplette Sortiment. Bei ihnen reduziert sich der Budgetdeckel um 35 bis 38 Millionen Dollar. Damit stünden ihnen für das kommende Jahr zwischen 107 und 110 Millionen Dollar zur Verfügung.
Racing Point kauft nur knapp die Hälfte der erlaubten Teile ein und rechnet mit einem Abschlag von 20 Millionen Dollar. Das liegt daran, dass die Kraftübertragung der teuerste Artikel im Schaufenster der Hersteller-Teams ist. Der WM-Siebte des Vorjahres kann also mit 125 Millionen Dollar kalkulieren.
Die drei Kosten-Säulen
Was sich zunächst wieder nach einem Ungleichgewicht unter den Teams anhört, ist bei einer genauen Betrachtung der erste Schritt zu mehr Chancengleichheit. Die Teams verteilen ihren Geldbedarf grob auf drei Säulen. So rechnet sich einfacher. Da wären einmal die Rennen.
20 Grand Prix kosten ein Team rund 60 Millionen Dollar. Darin sind die Reisekosten und das Material. Ferrari gibt dabei so viel Geld aus wie Williams, da jedes Team für das operative Geschäft nur 60 Mitarbeiter an die Rennstrecke mitbringen darf.
Säule zwei sind die Gehälter aller Angestellten, die mit der Entwicklung, der Produktion und dem Einsatz der Autos zu tun haben. Da kann man eine feste Berechnungsformel anlegen. Jeder Angestellte kostet ein Team rund 100.000 Dollar. Was neben den Gehältern und den Einsatzkosten noch übrigbleibt, ist der Entwicklungsetat. Und der ist entscheidend, weil er die Rundenzeit bestimmt.
Bei einem Budget ohne Limits haben die großen Teams genau hier ihren Vorteil ausgenutzt. Racing Point-Teamchef Otmar Szafnauer erinnert sich an die Force India-Zeiten. "Da hatten wir teilweise nur 100 Millionen Dollar im Jahr. Die Einsatzkosten waren für uns gleich hoch wie für die anderen Teams auch. Wenn wir dann noch unsere Gehälter eingerechnet haben, blieben uns in den schwierigsten Jahren exakt drei Millionen Dollar für die Entwicklung. Die Topteams konnten dagegen über 50 Millionen Dollar dafür ausgeben. Das wertet unsere vierten Plätze in der Konstrukteurs-WM 2016 und 2017 noch auf."
15 bis 25 Millionen für Entwicklung
Ab 2021 müssen alle Teams mit spitzem Bleistift rechnen. Nehmen wir Haas. 60 Millionen Dollar für die Rennen, 20 Millionen Dollar für das Personal. Bleiben bis zu einem Budgetdeckel von 107 Millionen Dollar 27 Millionen für die Entwicklung.
Rechnen wir das gleiche für Racing Point durch. Die wollen trotz Sparzwang die Mannschaft von 460 auf 500 Mitarbeiter aufstocken. Damit blieben 15 Millionen für die Entwicklung übrig. Aus Sicht der Teamleitung ist damit die ideale Balance zwischen Produktion im eigenes Haus, Personalstärke und Entwicklungsbudget gefunden.
Für die drei Topteams wird es schwierig. Sie haben zwar die vollen 145 Millionen Dollar zur Verfügung, im Moment aber noch zwischen 900 und 1.000 Angestellte an Bord. Wenn sie ihre Mannschaften auf 700 Mitarbeiter reduzieren, stehen sie mit den Fixkosten bei 130 Millionen. Bliebe also wie im Fall Racing Point ein Entwicklungsetat von 15 Millionen.
Für Teams wie Ferrari, Mercedes und Red Bull wäre das ein Kulturschock. Da stellt sich die Frage, ob es nicht besser ist, auf noch mehr Personal zu verzichten und lieber ein paar Teile mehr bei Zulieferern einzukaufen, um mehr Geld für die Entwicklung der Autos zur Verfügung zu haben. "Das Problem beim Outsourcen ist, dass du damit nicht mehr die volle Kontrolle über die Qualität hast und Knowhow verlierst. Die Kunst ist es ganz genau abzuwägen, auf was man am leichtesten verzichten kann", erklärt ein Sprecher von Ferrari.
Das könnte Teams wie McLaren und Renault in die Hände spielen. Die haben bereits 700 bis 750 Angestellte. Ihnen würde ein Abbau auf 600 leichter fallen als den drei Topteams. Dafür hätten sie zehn Millionen Dollar mehr in der Entwicklungs-Kasse. Das ist ein Hoffnungsschimmer für die kleinen Teams. "In Zukunft gewinnt das Team, das für sich den besten Kompromiss der Kostenverteilung findet. Der ist von Team zu Team unterschiedlich. Das wird die Formel 1 wieder spannend machen", glaubt Szafnauer.