Diskussion um sichere Boxenstopps
FIA-Rennleiter Charlie Whiting hat die Teammanager zur Diskussion über die Boxenstopps eingeladen. Er erwartet Vorschläge, wie man die Sicherheit verbessern könnte. Bei einer Umfrage kam heraus: Das Problem liegt in der zunehmenden Automatisierung.
Der Boxenunfall von Ferrari wirkt immer noch nach. Ein verletzter Mechaniker, das passt nicht in das Sicherheitsdenken der FIA. Weil es in diesem Jahr schon sieben Fälle von nicht ordnungsgemäß befestigten Rädern gab, hat sich der Weltverband jetzt mit dem Thema beschäftigt. FIA-Rennleiter Charlie Whiting kündigte in Bahrain Maßnahmen an, um die Boxenstopps sicherer zu machen. Bevor eine endgültige Entscheidung fällt, wollte Whiting aber die zehn Teammanager konsultieren und sich ihre Vorschläge anhören. Das Meeting fand am Donnerstag in Baku statt. Mit dem Resultat, dass nicht viel passieren wird. Weil das Problem zu komplex ist.
Kontrolleure bei Ferrari
Die FIA regte an, künftig im Sportgesetz eine Klausel zu verankern, dass der Input für das Grünlicht an der Boxenampel wenigstens von den vier Männern am Schlagschrauber kommen muss. Ferrari besteht auf der Formulierung, dass die Schlagschrauber das auslösende Moment sein sollen. Aus gutem Grund. Bei Ferrari gibt nicht der Mensch das Kommando an die Wagenheber zum Ablassen des Autos, sondern Sensoren. Die Mechaniker und zwei Kontrolleure können den Befehl höchstens überschreiben.
Ferrari will ab dem GP Spanien sogar vier Kontrolleure einsetzen, die rund um das Auto postiert werden, um rechtzeitig Probleme zu melden. Das ist offenbar einfacher, als die Mechaniker-Crew auf eine neue Prozedur zu trainieren. Die Konkurrenz sieht Ferraris Boxenstopp-Procedere am Rande der Legalität. Weil die Regeln einen aktiven Input des Menschen verlangen. Das sei aber nicht gegeben, wenn der Mensch lediglich einen vorbestimmten Ablauf abrbrechen kann.
Whiting regte in Bahrain an, dass in Zukunft alle Teams ihre Schlagschrauber mit Drehmoment- und Positionssensoren ausrüsten sollten, um den Mechaniker ein optisches Signal zu geben, dass alles in Ordnung ist. Bei der Diskussionsrunde kam heraus, dass nur Mercedes und Ferrari ein solches System verwenden. Nicht einmal Red Bull leistet sich den Luxus, die 8500 Euro teuren Schlagschrauber. mit einer doppelten Sensorik auszurüsten. Das treibt den Preis gleich auf über 100 000 Euro für einen Vierersatz Schlagschrauber.
Force India-Teammanager Andy Stevenson glaubt, dass diese Automatisierung genau das Problem ist, das die Formel 1 in diesem Jahr heimsucht. „Wir haben schon vor vier Jahren davor gewarnt. Je mehr Automatisierung, umso größer die Chance, dass etwas schiefgeht. Sensoren können falsche Signale liefern. Die am Boxenstopp beteiligten Personen verlassen sich zu sehr auf diese Systeme und richten auch ihr ganzes Training danach aus. Wenn dann etwas schiefgeht, sind sie nicht mehr in der Lage, den Ablauf zu stoppen.“
Strafe für missglückte Reifenwechsel zu gering
Force India verzichtet aus Kostengründen auf die Sensorik in den Schlagschrauber. und den Wagenhebern. Der Gewinn? „Ein paar Zehntel beim Boxenstopp“, behauptet Stevenson Aber das System, das Ferrari einsetzt, erhöht auch die Gefahr, dass etwas aus dem Ruder läuft. „ Warum haben wir erst kürzlich die Probleme? Weil sich immer mehr Teams auf diese Sensoren verlassen und weil Fehler nicht mehr bestraft werden.“ Eine Geldstrafe von 50 000 Euro wie im Fall von Ferrari bringt gar nichts, meint Stevenson: „Wir sollten zurück zu der alten Regel: Wer beim Boxenstopp zu viel riskiert, kriegt beim nächsten Rennen eine Startplatzstrafe. Bevor du 10 Startplätze verlierst, passt du besser auf.“
Force India hat aus der Not heraus ein System entwickelt, das komplett ohne Sensoren auskommt und trotzdem eine doppelte Sicherheitsstufe einbaut. „Bei uns muss jeder Mechaniker einen Knopf drücken, wenn er glaubt, dass das Rad dran ist. Es ist ein anderer Knopf als der, mit dem der Schlagschrauber betätigt wird. Das gleiche gilt für die zwei Jungs an den Wagenhebern. Erst wenn alle positiv sind, springt die Ampel auf Grün. Das heißt, sie geben aktiv das Signal, dass alles in Ordnung ist.“ Bei Ferrari muss die entsprechende Person einen Knopf drücken, um die Elektronik zu überschreiben. „Das ist immer schwieriger, weil du in der Kürze der Zeit den kompletten Überblick haben musst“, behauptet Stevenson. Aber diese Zeit nimmst du dir nicht. Du willst ja zwei Zehntel einsparen, nicht zwei Zehntel mit extra Kontrolle verlieren.„
Sauber ohne Sensorik mit 1,88 Sekunden-Stopp
Bei Ferrari konnten bis zu dem Boxendrama in Bahrain die Männer an der Wagenhebern und ein Kontrolleur den Ablauf unterbrechen. Die Mechaniker hätten sich bei einem Problem mit Handzeichen bemerkbar machen müssen. Der hintere Wagenheber senkte sich ab, als die Sensoren an den beiden Hinterrädern grünes Licht gab. Weder der Kontrolleur vor dem Auto, noch der Mann am Wagenheber bemerkten den Fehler. Der Mann am Schlagschrauber konnte die Prozedur nicht stoppen. Und Francesco Cigarini, der Mann der das neue linke Hinterrad anreichen sollte, ahnte nichts Böses. Er wusste, dass die Arbeit links hinten nicht beendet war. Er wusste aber nicht, dass die Aufpasser nichts bemerkt hatten. Deshalb sprang er nicht aus der Schusslinie.
Bei Mercedes hätte der Vorfall so nicht passieren können. Der Titelverteidiger hat das sicherste System im Fahrerlager. Sieben Menschen müssen aktiv einen Knopf drücken, bevor das Auto losfährt. Ein Mann an der Boxenmauer kann alles rückgängig machen. Die Schlagschrauber sind zwar mit Sensoren für Drehmoment und Position ausgestattet, aber sie zeigen über eine Art Ampelanlage dem Mechaniker nur an, dass alles in Ordnung ist. “Er sieht dann zwei grüne Lichter am Schlagschrauber, muss aber immer noch eigenständig einen Schalter umlegen, um das zu bestätigen„, erzählt ein Ingenieur.
Das gleiche gilt für die Männer am Wagenheber und einen Mann der in der Box auf einem erhöhten Sockel steht und die Prozedur überwacht. Trotz der zahlreichen Sicherheitsstufen gelang Mercedes in Shanghai ein Boxenstopp von 1,83 Sekunden. Dass es auch ganz ohne Elektronik schnell gehen kann zeigte Sauber ebenfalls beim GP China. “1,88 Sekunden vom Stillstand bis zum Go. Und wir haben überhaupt keine Sensoren„, erzählt Teammanager Beat Zehnder.
Zehntel bei Stopp entscheidend
Ein weiteres Problem, so Stevenson, ist der Zeitdruck, dem sich die Topteams aussetzen. “Wir sagen zu unseren Jungs: Jeder Boxenstopp unter drei Sekunden ist gut. Wenn sie dann 2,5 Sekunden schaffen, ist das ein Bonus. Mit dieser Vorgabe waren wir immerhin das drittschnellste Team beim Reifenwechsel in Shanghai. Die Topteams dagegen kämpfen um jedes Zehntel im tiefen Zweisekundenbereich. Es ist unmöglich, dann noch etwas sorgfältig zu kontrollieren.„
Auch Sebastian Vettel findet, dass sich etwas bei den Boxenstopps ändern muss. “Es ist verrückt, wenn da um jedes Zehntel gekämpft werden muss. Der Zuschauer sieht doch sowieso keinen Unterschied, ob der Boxenstopp zwei oder drei Sekunden dauert.„