F1-Ingenieure im Schlafanzug

McLaren liegt mit der Parallel-Entwicklung der F1-Autos für 2021 und 2022 gut im Fahrplan. Wegen der neuen Budget-Grenze müssen sich die Ingenieure allerdings stärker einschränken als früher. Und dann sorgt auch noch Corona für neue Herausforderungen, wie Produktionsleiter Piers Thynne verrät.
Noch ruhen die Formel-1-Motoren im Winterschlaf. Doch in den Fabriken der zehn Rennställe läuft der Betrieb bereits auf Hochtouren. Am 12. März starten die Testfahrten in Bahrain. Spätestens dann müssen die neuen Autos fertig sein. Die Absage des Australien-Rennens hat zwar den ganzen Terminplan um zwei Wochen nach hinten geschoben, die neuen Deadlines werden von den meisten Teams aber einfach als zusätzlicher Entwicklungsspielraum genutzt.
Je länger am Ende entwickelt wird, desto weniger Zeit bleibt bekanntlich für die Produktion und den Zusammenbau: "In der Teileproduktion sind der Januar und der Februar die härteste Zeit im ganzen Jahr", verrät McLaren-Fabrikleiter Piers Thynne. "Da haben wir aktuell einige Herausforderungen vor der Brust. Aber so ist das in der Formel 1: Wenn Du keine Probleme hast, dann warst Du bei der Entwicklung einfach nicht aggressiv genug. Wer nicht an die Grenzen geht, verschenkt Performance."
Im Vergleich zur Konkurrenz hat sich McLaren diesen Winter ein extragroßes Arbeitspensum aufgeladen. Als einziger Rennstall absolvierte das Traditionsteam aus Woking einen Wechsel des Motorenpartners. Das alte Renault-Aggregat wird durch eine Antriebseinheit von Mercedes ersetzt. Das führt dazu, dass der McLaren MCL35M per Ausnahmegenehmigung der FIA als einziges Auto im Feld mit einem modifizierten Chassis an den Start gehen darf.
Anzahl neuer Teile so hoch wie früher
Die neue Antriebstechnik verlangte nach massiven Umbauten: "Wir mussten die ganze Chassis-Rückwand und das Getriebegehäuse grundlegend verändern", erklärt Thynne. "Das hatte auch Auswirkungen auf die Positionierung vieler Bauteile. Das komplette Kühlungslayout und die vielen Rohrleitungen für Flüssigkeiten und Luft mussten ebenso angepasst werden wie die ganze Verkabelung und die Steuergeräte."
Eigentlich hatten die Teams versucht die Entwicklungskosten bei den 2021er Autos deutlich zu reduzieren, um den Einnahmenausfall der Corona-Krise zu kompensieren. Doch im Falle von McLaren hielt sich der Spareffekt in Grenzen: "Die Anzahl der neuen Teile beim MCL35M ist ungefähr die gleiche wie bei der Entwicklung des MCL35", rechnet Thynne vor.
Finanziell sollte sich im Laufe der Saison aber immerhin positiv bemerkbar machen, dass viele Elemente von der Weiterentwicklung ausgeschlossen wurden. Zu den Bauteilen, die McLaren schon rechtzeitig zur Deadline im Vorjahr homologiert hatte, gehören zum Beispiel die Innereien des Getriebes und die Elemente der Aufhängungen.
Budget-Grenze erst 2022 zu erkennen
Und dann gibt es ja auch noch die neu eingeführte Budgetobergrenze in Höhe von 145 Millionen US-Dollar, mit der die Ingenieure eingebremst werden sollen. Thynne erklärt die Tücke des neuen Finanzrahmens: "Man muss sich natürlich an die Obergrenze halten, aber die Performance darf dadurch nicht leiden. Wenn man einfach ein billigeres Auto baut, dann wird das automatisch auch langsamer. Stattdessen müssen wir jetzt schauen, wie wir auf allen Ebenen effizienter werden, ohne dass es sich auf die Leistung auswirkt."
Der Ingenieur, der in seiner Funktion als Produktions-Direktor für den ganzen Prozessablauf – von der Logistik bis zum Qualitätsmanagement – verantwortlich ist, erwartet allerdings nicht, dass sich die Einführung der neuen Budgetgrenze schon merklich auf die 2021er Autos auswirkt. "Die Übernahme vieler alter Teile verfälscht das Bild. Erst die Entwicklung und der Bau der komplett neuen 2022er Modelle stellt für alle Teams einen echten Test dar."
Wie vom Reglement vorgesehen hat auch McLaren Anfang des Monats mit den Windkanaltests für die große Technik-Revolution begonnen. Thynne: "Es geht darum, möglichst schnell herauszufinden, was funktioniert und was nicht. Wenn wir uns dann später an den Bau der Autos machen, muss alles im ersten Versuch passen. Auch hier loten wir die Grenzen des Machbaren voll aus. Wenn mal was nicht klappt, kann man natürlich immer zurückrüsten. Aber für den Weg an die Spitze des Feldes müssen wir nach den Sternen greifen."
Neue Strukturen wegen Corona
Bei den langfristigen Planungen hatte man allerdings nicht die Folgen der Corona-Pandemie eingerechnet, von denen auch eine Formel-1-Fabrik nicht verschont bleibt. Besonders deutlich sind die Auswirkungen in der Produktionsabteilung zu spüren. Während die meisten Ingenieure des Designteams aktuell von zuhause arbeiten, lässt sich die Teileproduktion nicht einfach ins Home Office verlegen.
"Wir haben die Arbeit im McLaren Technology Center in einen Schichtbetrieb aufgeteilt, so dass bei einem Covid-19-Ausbruch nicht das ganze Produktionsteam außer Gefecht ist", erklärt Thynne. Persönliche Kontakte müssen auf ein Minimum reduziert werden, was nach kreativen Lösungen verlangt: "Wenn neue Teile im Produktionsablauf zum Beispiel von einer Abteilung in die nächste verschoben werden, kommen sie zunächst in neugeschaffene Bereiche zur Zwischenlagerung. Aus denen werden sie dann abgeholt. So lassen sich zwischenmenschlichen Kontakte vermeiden."
Die Sicherheitsprotokolle müssen strikt eingehalten werden. Zudem werden alle Arbeiter in der Fabrik regelmäßig auf das Virus getestet. Am besten ist es natürlich, die Arbeit gleich von zuhause zu erledigen. Aber auch das hat seine Tücken, wie Thynne erklärt: "Es ist natürlich nicht das gleiche, wie wenn man im gleichen Raum sitzt. Bei virtuellen Konferenzen ist es wichtig, dass alle Teilnehmer aktiv mitmachen und sich beteiligen. Die Kamera muss deshalb angeschaltet sein. Da interessiert es uns auch nicht, ob der Schlafanzug noch angezogen ist oder die Frisur richtig sitzt. Das ist völlig egal."
Offenheit im Home-Office
Dass der Output in der aktuellen Phase etwas leidet, wird einberechnet: "Es geht vor allem darum, in diesen verrückten Zeiten offen und ehrlich zu sein. Wenn man zwischendurch mal an die Tür muss, um eine Lieferung anzunehmen, ist das in Ordnung. Wenn das Unterrichten der Kinder zuhause einem Albtraum gleicht und man die Arbeit nicht direkt erledigen kann, dann ist das auch okay. Das ist einfach die Realität momentan. Die Leute dürfen einfach kein Problem damit haben, offen darüber zu reden, mit welchen Problemen sie gerade kämpfen und wie sich das auf die Arbeit auswirkt."
Auch der Kontakt mit der FIA lief in den letzten Wochen und Monaten weitesgehend kontaktlos ab. Normalerweise schauen die Vertreter der Überwachungsbehörde in den Wintermonaten regelmäßig in den Fabriken der Teams vorbei, um die Crashtests abzunehmen. "Stattdessen haben wir nun eine Standleitung und Kameras zur Überwachung eingerichtet", erklärt Thynne. "So konnten sie alle Instrumente sehen und jeden unserer Schritte im Prozess verfolgen."