Exklusiver Vergleich mit GPS-Daten
Wie sehr profitieren Mercedes und Ferrari von ihrem starken Motor? Wie viel büßt Red Bull durch das schwächere Renault-Aggregat wirklich ein? Silverstone gibt uns die Antwort. Wir analysieren die GPS-Daten der Quali-Runden von Hamilton, Vettel und Verstappen.
Das Qualifying zum GP England war ein Nervenspiel. Lewis Hamilton und Sebastian Vettel stritten um den besten Startplatz. Mit Kimi Räikkönen als Störenfried. Hamilton entschied das Zeitfahren in 1:25.892 Minuten für sich. Vettel schrammte um 44 Tausendstel an der Pole-Position vorbei.
Sowohl Hamilton als auch Vettel blieben in beiden Q3-Runs auf Softreifen unter der 1:26er Marke. Und wo war Red Bull auf einer Strecke, die dem Team 2009, 2010 und 2012 Siege eingebracht hatte? Max Verstappen verlor auf den 5.891 Metern 0,710 Sekunden und sagte: „Meine Runde war gut. Es gibt nichts auszusetzen. Unser Motor ist zu schwach. Uns fehlen zwischen 70 und 80 PS auf Mercedes und Ferrari.“ Da sprach ein angefressener Pilot.
Red Bulls PS-Defizit
Ganz so viel war es nicht. Aber laut Red Bulls PS-Rechnung betrug der Leistungsunterschied zu Mercedes in der Silverstone-Qualifikation 30 Kilowatt. Das entspricht 40,8 PS. Zu Ferrari sollen es 35 Kilowatt gewesen sein (47,6 PS). Dieser Unterschied hätte auch vor dem Hybridzeitalter geschmerzt. Mit dem Umschwung 2017 auf abtriebsstärkere Autos tut das PS-Defizit noch stärker weh. „In Silverstone zählte früher die Aero“, sagt Daniel Ricciardo. „Heute ist es eine Motorenstrecke.“
Sieben der 18 Kurven werden mit weit mehr als 250 km/h durchfahren. Es gibt im Prinzip nur noch 5 Kurven vom langsameren Schlag: Turn 3, 4, 7, 16 und 17. Würde das gesamte Streckenprofil den letzten 350 Metern gleichen, hätte Red Bull eine Chance gehabt auf die Pole-Position. In diesem Teil ist Verstappen auf seiner letzten Quali-Runde besser als Hamilton und Vettel.
Die GPS-Daten, die auto motor und sport exklusiv zugespielt wurden, zeigen für jeden zurückgelegten Meter auf der Strecke die entsprechende Geschwindigkeit und die bis dahin gefahrene Zeit. Für die jeweils letzten Runden in Q3 von Hamilton (1:25.892 Min.), Vettel (1:25.988 Min.) und Verstappen (1:26.602 Min.). Für Hamilton und Verstappen ist es die schnellste Runde überhaupt in der Qualifikation. Vettel war in seinem ersten Q3-Schuss ein halbes Zehntel schneller gewesen.
Das ändert aber nichts am Ergebnis. Die Datensätze geben Aufschluss über Stärken und Schwächen der Autos und zeichnen ihre DNA. Wie schnell sind sie auf der Gerade? Wie gut auf der Bremse, in der Kurve, beim Beschleunigen? Es spielen aber noch andere Faktoren rein, die ein Auto glänzen lassen oder nicht. Die Wahl des Setups: viel Flügel, wenig Flügel? Bodenfreiheit? Anstellwinkel? Und natürlich zählen der Fahrstil und die persönlichen Vorlieben der jeweiligen Fahrer.
Verlust in schnellen Kurven
Verstappen verliert gegenüber Hamilton und Vettel überwiegend in folgenden Streckenbereichen: zwischen Zielstrich und Turn 3. Zwischen T4 und T6. Zwischen T7 und T10. Zwischen T14 und T15 sowie T15 und T16. Das Muster: Hier zählt vor allem Power. Der Abschnitt bis zum Bremspunkt vor Kurve 3 ist ein reines Vollgasstück. Das Streckenprofil weist mit Abbey und Farm zwar zwei Kurven aus, die in der Telemetrie jedoch Geraden sind. Die Fahrer stehen mit durchgedrücktem Fuß auf dem Gas und peitschen ihre Autos durch die Kurven, die als DRS-Bereich ausgeschrieben sind. Verstappens Top-Speed auf der Zielgerade beträgt 311,1 km/h. Hamilton ist an seinem schnellsten Punkt 3,3 km/h schneller.
Nach 700 zurückgelegten Metern rasen die beiden auf Kurve 3 zu. Jetzt ist die Speed-Differenz auf 6,5 km/h gewachsen. „Das ist der Motorleistung geschuldet. In Highspeed-Kurven verlieren wir noch etwas mehr als auf den Geraden, weil der Luftwiderstand durch das Roll-Verhalten des Autos und der eingeschlagenen Räder steigt“, sagen die Red Bull-Ingenieure. Bis dahin hat Verstappen schon 0,148 Sekunden verloren. Kurve 3 geht ebenso an Hamilton. Am langsamsten Punkt, nach 922 Streckenmetern, ist der Weltmeister 121,1 km/h schnell. Verstappen 117,5 km/h. Die nächste Ecke geht an Red Bull: 90,4 zu 85,8 km/h. Beides kann aber auch mit der Linienwahl zu tun haben.
Vollgas zwischen T7 & T10
Es folgt die Wellington-Gerade als nächste DRS-Zone. Verstappen hält in der Beschleunigungsphase den Geschwindigkeitsvorsprung. Nach 1.100 Metern hat sein Red Bull 131,3 km/h drauf und der Mercedes von Hamilton 126,8 km/h. 100 Meter später steht es 214,6 zu 214,2 km/h. Dann zieht der Mercedes W09 den RB14 weiter ab. Speed-Delta bei Streckenpunkt 1.600 Meter: 303,0 zu 295,8 km/h pro Silberpfeil. Allein auf diesen 400 Metern büßt Verstappen eine Zehntelsekunde ein. „Wir kommen gut aus der Kurve, werden aber ab dem Punkt gefressen, ab dem Traktion in den Hintergrund rückt, und ausschließlich Leistung zählt“, erklären Red Bulls Ingenieure.
Ihre Mercedes- und Ferrari-Pendants verweisen auf die Anstellung des RB14: Wer hinten mit mehr Bodenfreiheit fährt, bezahlt zwangsläufig auf den Geraden. Die Antwort der Red Bull-Techniker: „ Force India fährt auch mit einem großen Anstellwinkel. Trotzdem sind sie schnell auf der Gerade, weil sie eben einen Mercedes-Motor fahren. Es stimmt, dass ein höherer Anstellwinkel mehr Luftwiderstand produziert. Aber es ist der effektivere Weg, Anpressdruck zu erzeugen. Wir kompensieren es mehr als jeder andere über den Heckflügel. Unseren Berechnungen zufolge fuhren wir in Silverstone mit einem ähnlichen Luftwiderstand wie Ferrari und mit weniger als Mercedes.“ Da prallen unterschiedliche Ansätze aufeinander.
Das etwa 1.400 Meter lange Stück zwischen T7 und T10 inklusive Copse Corner wird mit Vollgas durchfahren. Da steigt Verstappens Rückstand um weitere 3 Zehntel an. Auf der Hangar Straight verlaufen die Graphen ähnlich. Verstappen fährt Kurve 13 deutlich schneller mit 223,3 km/h (Hamilton: 216,5 km/h, Vettel: 216,3 km/h) wird in der Beschleunigungsphase allerdings zügig eingeholt und übertrumpft.
Ferrari mit mehr Leistung
Verstappen ist in fünf von 18 Kurven schneller als Hamilton (T4, T7, T13, T15, T17). In den Kurven 6, 11, 14, 16 und 18 herrscht praktisch Gleichstand. In den Kurven 1, 2, 5, 8, 9, 10, wo Volllast angesagt ist, biegt der Silberpfeil das dunkelblaue Auto. Der Ferrari verliert in den langsamen Ecken, gewinnt aber beim Rausbeschleunigen. Beispiel Kurve 4: Da ist Vettel mit 82,2 km/h der langsamste, ist bis Kurve 5 aber der schnellste des Trios. Die Pole verliert der Heppenheimer schon auf den ersten 1.200 Metern bis vor Kurve fünf. Da hat ihm Hamilton bereits 0,111 Sekunden abgenommen.
Am Ende der Wellington-Gerade und auf der Hangar Straight glänzt der SF71H mit den höchsten Geschwindigkeiten. Das unterstützt Red Bulls Theorie der kleineren Flügel gegenüber Mercedes. Vielleicht, weil Ferrari auf der Mercedes-Hausstrecke nicht damit gerechnet hatte, auf die Pole fahren zu können. Zumal sich Vettel mit einem lädierten Nacken plagte. Stattdessen hatte Ferrari vielleicht dahin gearbeitet, ein besseres Überholpaket für das Rennen zu schnüren. Oder es lag an der Motorleistung. Oder an beidem.
Den Mercedes-Ingenieuren fiel auf, dass Ferrari am Ende der Geraden mehr elektrische Leistung abrufen kann. Hamilton erreicht seine Höchstgeschwindigkeit von 320,8 km/h auf der Hangar Straight bei Streckenpunkt 4.719 Meter. Da ist Vettel laut Datensatz 321,9 km/h schnell. Auf den folgenden 200 Metern baut der Mercedes leicht an Geschwindigkeit ab und fällt auf 319 km/h. Der Ferrari sattelt im Gegensatz dazu weiter auf, erreicht bei Kilometer 4.845 rund 325,2 km/h und ist bis 4.929 Meter über 320 km/h flott.
In den schnellen Kurven ist Ferrari bei der Musik. Interessant ist hier besonders, dass Vettel ins Highspeed-Geschlängel von Maggots-Becketts-Chapel mehr Speed hinein nimmt. In Kurve 11 zum Beispiel ist er 4 km/h schneller als Hamilton und Verstappen. In Kurve 12 ist es ausgeglichen, Kurve 13 geht an Hamilton.
Aber wie oben schon mal erwähnt. Das kann auch immer mit der Linienwahl zusammenhängen, wer wie schnell in die Kurve sticht und wie die Geschwindigkeit am Scheitelpunkt und Ausgang aussieht. Zum Beispiel Stowe. Vettel fährt schneller in Kurve 15, verliert in der Kurvenmitte, gewinnt aber auf dem kurzen Sprint zu Kurve 16. Weil er vermutlich sein Auto am Kurvenausgang besser platziert hat und der Ferrari-Motor den SF71H herauszieht.
Um es zusammenzufassen: Durch die geringere Motorleistung war Red Bull in Silverstone tatsächlich chancenlos. Vom Erfolg hängen aber viele Faktoren ab. Beispiel Ungarn-Quali: In Budapest hätte Red Bull im Regen mit seinem guten Chassis eigentlich glänzen müssen. Doch weder Verstappen noch Ricciardo konnten die Reifen anzünden. Ohne Temperaturen in den Gummis rutschten sie über die Bahn. Und steckten gegen Mercedes und Ferrari die nächste Pleite ein.