Neue Nase und neuer Teamchef

Die auto motor und sport Formel 1-Reporter berichten in ihren F1-Tagebüchern von ihren persönlichen Erlebnissen bei den 19 Grand Prix-Rennen der Saison 2014. Im vierten Teil berichtet Tobias Grüner vom GP China.
14 Tage nach Bahrain steht der Grand Prix von China auf dem Programm. Ich gebe zu: beide werden wohl nie zu meinen Lieblingsrennen gehören. Es fehlen einfach Tradition und Atmosphäre. Und dann ist da ja auch noch die Sache mit den Menschenrechten und der Pressefreiheit. Die Twitter-Sperre lässt sich immerhin relativ einfach mit einem VPN-Tunnel umgehen. Zum Glück haben die Zensoren noch kein Gegenmittel dafür gefunden.
Ich wundere mich immer wieder, warum es so viele Menschen nach China zieht. Auch unser Lufthansa-A380 nach Shanghai ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Gemütlich ist der 11-Stunden-Economy-Flug für einen 1,85-Meter-Menschen nicht gerade. Der Service der deutschen Premium-Airline lässt genau wie der Fußraum zu wünschen übrig. Von wegen glamouröses Formel 1-Journalisten-Leben.
Smog-Alarm in Shanghai
Bei der Ankunft präsentiert sich Shanghai passend zu meiner Stimmung in einem tristen Grau. Die Metropole erstickt im Smog. Dieses Mal vermischt sich die Staub- und Dreckglocke über der Stadt auch noch mit Regenwolken. Hätte ich gewusst, dass ich das gesamte Wochenende nicht ein einziges Mal Sonnenlicht sehen werde, ich wäre sofort wieder umgekehrt.
Dass hier viel zu viele Menschen auf viel zu wenig Platz leben, erkennt man auch am Verkehr. Ständig entstehen Staus aus dem Nichts. Mangels Hotels in Streckennähe müssen wir jeden Tag eine Dreiviertelstunde für den Weg zum Shanghai International Circuit einplanen. Als es am Rennsonntag mit dem Shuttle über die Autobahn geht, fahren wir plötzlich durch ein Meer an Papierfetzen. Während ich das ungewöhnliche Schauspiel fotografiere, bleibt unser Chauffeur regungslos auf dem Gas. Offenbar hat er schon deutlich verrücktere Sachen im chinesischen Straßenverkehr gesehen.
Für das europäische Auge ebenfalls ungewöhnlich sind die vielen Megabaustellen in Sichtweite der Autobahnen. Es ist wirklich verrückt, in welcher Geschwindigkeit riesige Gebäudekomplexe aus dem Boden gestampft werden. Um die tausenden Arbeiter unterzubringen, sind rund um die Baustellen mehrgeschossige Containerdörfer errichtet worden. Während Deutschland Jahrzehnte an Hauptstadt-Flughäfen oder Elbphilharmonien rumbastelt, wird in China geklotzt und nicht gekleckert.
Umwege im China.Fahrerlager
Der Shanghai International Circuit ist auch so ein Mega-Bauwerk, das 2004 auf der grünen Wiese – oder besser gesagt auf einem gottverlassenen Sumpfland – errichtet wurde. Als ich 2009 das erste Mal zur Formel 1 nach China reiste, war rund um die Strecke noch alles Brache. 5 Jahre später sind vom 30 Meter hohen Pressezentrum überall Hochhäuser und Wohnsiedlungen um den Kurs zu erkennen.
In dem riesigen Fahrerlager hinter der Boxengasse könnten auch Jumbo-Jets landen. Die Wege sind elendig lang. Wenn man rechtzeitig zu Pressekonferenzen kommen will, muss man Verzögerungen durch die Fahrstuhlfahrt einplanen. Die Brücken über die Teichlandschaft zu den einzelnen Teampavillons sind labyrinthartig angelegt. So findet man an den ersten Tagen nicht immer gleich die richtigen Gebäude. Oft geht man ungewollte Umwege.
Kann Mattiacci auch Formel 1?
Die wichtigste Pressekonferenz des Wochenendes findet in der Ferrari-Hütte statt. Nach dem Rauswurf von Stefano Domenicali stellt sich der neue Teamchef vor. Am Freitag kommt Marco Mattiacci erstmals ins Fahrerlager. Weil der Italiener trotz des trüben Wetters seine dunkle Sonnenbrille nicht absetzt, wird unter den Journalisten bereits getuschelt. Mattiacci erklärt dazu, dass er direkt aus den USA angereist sei und im Flugzeug nicht viel Schlaf bekommen hatte.Gerne würde ich ihm sagen, dass er mal Lufthansa-Economy fliegen solle.
Die Journalisten empfangen den neuen Capo mit einer Portion Skepsis. Keiner kennt ihn. Alle haben nur von seinen Manager-Qualitäten gehört. Die Verkaufszahlen der Ferrari-Straßenrenner in den USA haben sich unter seiner Führung beeindruckend entwickelt. Aber kann der Mann auch Formel 1? In seiner Pressekonferenz nimmt Mattiacci den Journalisten erst einmal den Wind aus den Segeln: "Sie verstehen von Motorsport sicher alle mehr als ich", gibt der neue Mann an der Spitze des Rennstalls zu Protokoll. Das kommt natürlich gut an.
Vom Traffic auf unserer Webseite her gesehen war der Machtwechsel bei Ferrari aber nicht die wichtigste Meldung des Wochenendes. Unsere Leser zeigten sich mehr an der neuen Mercedes-Nase interessiert. Kein Wunder: Wir hatten schon in Australien erste Informationen bekommen, dass die Silberfront umgebaut werden soll und das Update immer wieder angekündigt. Doch dann fiel das Bauteil immer wieder durch den obligatiorischen FIA-Crashtest.
Neue Mercedes-Nase zeigt sich spontan
Am Donnerstag erklärt uns ein Mercedes-Ingenieur stolz, dass die Nase nun endlich zum Einsatz kommen solle. Mit dem Informationsvorsprung versuchen wir natürlich direkt das erste Bild zu ergattern. Mercedes-Pressechef Bradley Lord verspricht, dass wir eine Fotogelegenheit bekommen werden. Dann ist von ihm aber nichts mehr zu sehen und zu hören. Ich sitze gerade an einer anderen Story, als mich unser Technik-Experte Giorgio Piola im Pressesaal fragt, ob ich die neue Nase schon gesehen hätte? Sie befinde sich übrigens jetzt an dem Auto, das gerade zur technischen Abnahme geschoben wird.
Am liebsten hätte ich mich wie ein Basejumper aus dem 9. Stockwerk in die Boxengasse fallen lassen. Zum Glück schaffe ich es auch über den Fahrstuhl noch rechtzeitig nach unten. Die Eile ist gar nicht nötig. Nach dem Scrutineering stellen die Mercedes-Mechaniker die neue Nase praktischerweise vor der Garage auf ein Gerüst - direkt neben die alte Version. So haben wir die Fotos zwar nicht exklusiv, aber wenigstens lässt sich dadurch genau analysieren, wie sich die beiden Versionen voneinander unterscheiden.
Ob mit neuer oder alter Nase spielte für den Ausgang des Rennens am Ende allerdings keine Rolle. Mercedes dominiert wie schon bei den ersten 3 Rennen. Am Sonntag wird der nächste silberne Doppelsieg gefeiert - in der Reihenfolge Hamilton vor Rosberg. Bei Ferrari scheint die Anwesenheit von Mattiacci direkt positive Auswirkungen zu haben. Fernando Alonso fährt zum ersten Mal dieses Jahr aufs Podium und widmet den Erfolg Stefano Domenicali. Es sollte allerdings nur ein Strohfeuer bleiben. Im weiteren Verlauf der Saison kommt nur noch ein weiterer Pokal dazu.
Da das Rennen eine Stunde später als in Europa gestartet wird, kommen wir erst kurz vor Mitternacht aus dem Pressezentrum. Alle Restaurants in der Nähe unseres Hotels haben zu später Stunde schon längst geschlossen. Nur die Küche in der Piano-Bar bietet noch warmes Essen. Mangels Auswahl beenden wir das Wochenende mit Burgern und Pommes. Dazu ein kühles Bier. Auf dem Rückflug am Montag sehe ich über den Wolken erstmals nach 6 Tagen die Sonne wieder und plötzlich sind mir beengte Platzverhältnisse und schlechter Service völlig egal.
In unserer Bildergalerie nehmen wir Sie mit hinter die Kulissen des GP China.