Red Bull-Party in Heimspielberg

Die auto motor und sport Formel 1-Reporter berichten in ihren F1-Tagebüchern von ihren persönlichen Erlebnissen bei den 19 Grand Prix-Rennen der Saison 2014. In Teil 8 blickt Michael Schmidt hinter die Kulissen des GP Österreich.
Formel 1 in Österreich. Nach elf Jahren Pause. Für mich nichts Neues, für Kollege Grüner schon. Ich erzähle ihm von den alten Zeiten. 1979 war ich zum ersten Mal da. Da hieß die Strecke noch Österreichring und war ein echtes Ungetüm von 5,8 Kilometer Länge, sauschnell und brandgefährlich. Martin Brundle hat mir im Vorfeld erzählt: "Das war eine der Strecken, wo du hinterher ein Kreuz gemacht hast. Du warst froh, mit heilen Knochen wieder abreisen zu können."
Österreich-Reise weckt Erinnerungen
1987 fand das letzte Rennen auf der alten Strecke statt. Mit zwei Massenkollisionen beim Start, mit einem abenteuerlichen Wildunfall, bei dem Stefan Johansson im Training ein Reh erlegt, mit einem Sieger Nigel Mansell, der sich auf der Fahrt zum Podium den Kopf an einer Brücke anschlägt.
Wir dachten damals, dass es das letzte Mal sei, dass wir zum Österreichring fahren. Der Abschied hatte etwas Endgültiges. Dem Veranstalter fehlte das Geld für Bernies Antrittsgeld, den Streckenbetreibern die Kohle, ihre wunderbare Strecke zu entschärfen. Dazu kam noch Widerstand aus der Bevölkerung rund um den Kurs.
Umso mehr haben wir uns gewundert, dass es 1997 auf einer neuen Strecke, die nur noch entfernt an die alte erinnerte, ein Comeback gab. Der 4,3 Kilometer lange Kurs riss keinen vom Hocker, der den Österreichring noch kannte. Aber das Layout erlaubte spannende Rennen.
Und was haben wir da alles erlebt? Jacques Villeneuves Premierensieg und die Durchfahrtsstrafe für Michael Schumacher. Die Kollision der McLaren-Boys 1999, die an das Mercedes-Duell von Spa in diesem Jahr erinnerte. Den üblen Crash zwischen Heidfeld und Sato 2002. Zwei Mal Stallregie von Ferrari. 2002 mit Pfiffen und Buhrufen bei der Siegerehrung. Schumis Tankfeuer mit anschließendem Sieg 2003.
Auch nach dem Ende der zweiten Ära 2003 dachten wir alle: Hier kommen wir nie wieder her. Doch dann kam Didi Mateschitz, entdeckte in seiner Heimat eine neue Spielwiese, überzeugte die Zweifler und baute sich in seinem Sandkasten ein Heimrennen. Es war eine Rückkehr mit Pauken und Trompeten. Darauf haben uns die österreichischen Kollegen bereits vorbereitet. "Ihr werdet die Strecke und die direkte Umgebung nicht wiedererkennen", hieß es. Sie hatten Recht.
Ich habe noch die 24 Stunden von Le Mans vom Wochenende davor in den Knochen, als wir am Mittwoch mit unserem Volvo-Testwagen Richtung Steiermark aufbrechen. Pünktlich zur Reise meldet sich eine Erkältung bei mir. Das trübt die Vorfreude auf ein Rennen, das früher einmal der "Ferien-Grand Prix" genannt wurde.
Pressezentrum mit 5-Sterne-Feeling
Schon als wir am Mittwoch dem Red Bull-Ring einen ersten Besuch abstatten, wird uns klar, dass dieser Grand Prix nicht mit normalen Maßstäben zu messen ist. Das Pressezentrum befindet sich im vierten Stock in der neuen Haupttribüne. Mit Blick auf Boxengasse, Zielgerade und 50 Prozent der restlichen Strecke. Drinnen sieht es aus wie im 5-Sterne-Hotel. Aber mit Charme. Es fehlt das Bombastische der neuen Retortenpisten.
Am Abend fahren wir in unser Hotel. Tatsächlich: Jedes zweite Haus in der Gegend ist herausgeputzt, der Garten renoviert. Dietrich Mateschitz hat der Region zehn Millionen Euro spendiert, um sich herauszuputzen. Viele haben zugegriffen und ihr Anwesen auf Vordermann gebracht. Natürlich gab es auch ein paar Idioten, die einfach das Geld genommen haben ohne es seinem Zweck zuzuführen. Die gibt es scheinbar überall.
Ein Poster am Straßenrand fällt ebenfalls ins Auge. Mercedes will seinem Erzrivalen Red Bull das Heimspiel vermiesen und schaltet auf Plakaten eine Werbung unter dem Slogan "Heimspielberg". In Anlehnung an die Gemeinde Spielberg, die offiziell als Gastgeber gilt.
Volvo beweist Rallye-Qualitäten
Ich hatte Kollege Grüner schon darauf vorbereitet. Unser Hotel liegt zwar nur 27 Kilometer von der Strecke entfernt, doch der Weg dorthin ist das Ziel. Und der ist selbst auf dem Navigationssystem nur im größten Zoom-Modus zu erkennen. Zuerst führt eine alte, kurvenreiche Bundesheer-Straße auf einen Pass. Es herrscht praktisch kein Verkehr. Hier darf der Volvo zeigen, was er kann.
Abenteuerlich wird es ganz oben, wo die Teerstraße in einen Schotterweg mündet, der mit 15 Prozent Gefälle in der Direttissima den Berg wieder herunter geht. Je näher wir in dem dunklen Wald unserem Zielort St. Wolfgang kommen, umso schmaler wird die Straße. Wenn hier ein Traktor entgegenkommt, hat einer ein Problem. Wahrscheinlich wir.
Auf einer Lichtung erwartet uns unser Hotel. Der Wirt der Pension Seetalblick empfängt uns standesgemäß mit Schnaps. Ich kenne ihn noch aus der alten Zeit. Und die ist dort oben stehen geblieben. Es gibt an den vier Abenden viele gute und schlechte Gründe für eine Runde Schnaps. Auch das war früher so. Ganz nebenbei läuft die Fußball-WM. Am Mittwochabend fliegt Spanien raus. Am nächsten Tag ist England fällig.
Der Name St. Wolfgang ist übrigens trügerisch. Fredi, unser Wirt, erzählt mir, dass er übers Jahr viele Gäste bekommt, die nach St. Wolfgang am Wolfgangsee wollen. Das ist der Fluch der Internet-Buchung. Man kommt überall hin, aber man weiß nicht, ob man dann dort auch ankommt, wo man eigentlich hin wollte. Die Gäste sind erst enttäuscht, dass der See fehlt, lassen sich dann aber von der schönen Kulisse der Steirischen Bergwelt besänftigen.
Verkehrschaos rund um die Strecke
Ab Donnerstag wartet die Arbeit. Wir wurden gewarnt, dass es massive Staus auf der einzigen Zufahrtstraße geben könnte. Deshalb sind wir früh aufgebrochen. Zum Glück. Unser Fotograf Daniel Reinhard erreicht Zeltweg aus der Schweiz kommend um die Mittagszeit. Er braucht drei Stunden für die letzten 500 Meter.
Am Donnerstag bricht die Karawane der Camper über die Rennstrecke herein. Bis die von der Zufahrtstraße auf die Campingplätze abgeleitet sind, vergehen Ewigkeiten. Wir bekommen abends einen Eindruck von dem Chaos, das seit der Mittagszeit rund um Zeltweg tobt. Eigentlich wollen wir nur ins drei Kilometer entfernte Rattenberg fahren, um uns mit unserem Kollegen Roger Benoit zu treffen, doch der erste Kilometer verläuft zäh.
Kollege Grüner verhandelt mit einem Polizisten, um eine Abkürzung für eine Alternativstrecke nutzen zu können. Die Obrigkeit zeigt wenig Verständnis für alternative Vorschläge. Sie kapiert auch nicht, dass wir nicht zu den Campern gehören und einfach nur weg wollen.
Irgendwann schaffen wir den Abzweig zum alten Flughafen, wo 1964 der erste GP Österreich lief. Wir erreichen Rattenberg mit 30 Minuten Verspätung über kilometerlange Umwege. Dort buchen wir gleich einen Platz mit Blick auf den TV-Schirm für Samstag. An dem Tag spielt Deutschland gegen Ghana, und Fußball ist dem Kollegen Grüner heilig. Besonders wenn Deutschland spielt.
Am Freitagmorgen bietet sich rund um die Strecke eine einmalige Kulisse. Zelte und Wohnwagen, so weit das Auge reicht. Es ist wie Rennsport aus einer längst vergessenen Zeit. Oder wie in Le Mans die Woche davor. Die Fans machen Party Tag und Nacht. Red Bull hat den Nerv der Zuschauer getroffen. Man spürt es: Über diesem Comeback liegt die Aura des Besonderen. Das ist Rennsport zum Anfassen.
Österreichs Rennlegenden geben Gas
Dazu zählt auch der Auftritt von Österreichs PS-Legenden in ihren alten Fahrzeugen. Ich laufe am Freitagabend den Hügel hinauf zum Stellplatz der Oldtimer. Kaum zu glauben: Auch um 19 Uhr abends warten dort noch lange Schlangen, um die B.R.M., Lotus, Ferrari, Surtees, Benetton, Wolf und Sauber der Vergangenheit zu bestaunen.
Einen Tag später treffen sich Lauda, Marko, Berger, Wendlinger, Wurz und Co zur Generalprobe. Sebastian Vettel schaut vorbei und überredet Helmut Marko dazu, den B.R.M. P180 für ein paar Runden fahren zu dürfen. Die Fans sind begeistert. Wir auch. Fotograf Reinhard würde am liebsten nur noch die alten Autos ablichten. Mit den neuen steht er auf Kriegsfuß. Wir nicht.
Es ist ein hektisches Wochenende mit vielen brisanten Geschichten. Red Bull denkt über den Bau eines eigenen Motors nach. Die FIA will nicht mehr jeden Sünder sofort bestrafen. Am Freitag veranstalten Mercedes und Ferrari einen Test mit Titanklötzen unter dem Auto. Die Funken sollen wieder sprühen. Die Formel 1-Kommission hat entschieden, dass nichts entschieden wird. Das verkürzte GP-Wochenende ist vom Tisch. Alle atmen auf. Und fragen sich: Warum um Gottes willen etwas ändern, wenn Autorennen so gut sein können, wie in Österreich vorgeführt.
Felipe Massa stellt seinen Williams auf den besten Startplatz, und neben ihm nimmt sein Teamkollege Valtteri Bottas Aufstellung. Mercedes hat jetzt nicht nur das erste Rennen, sondern auch das erste Training verloren. Alle atmen auf. Diese Saison ist auch für Überraschungen gut. Alle gönnen Williams die erste Startreihe. Das Team genießt im Fahrerlager uneingeschränkte Sympathien. Ganz anders als zum Beispiel McLaren.
Fußball-Fieber im Fahrerlager
Am Samstagabend drängt Kollege Grüner zur pünktlichen Abreise. Deutschland spielt. Beim Perschler in Rattenberg ist die Bude voll. Grüner erträgt nur eine Halbzeit beim Public Viewing im Restaurant, dann zieht er es vor mit Kollege Benoit das Spiel in Ruhe im Hotelzimmer anzuschauen. Ich halte an meinem Platz fest. Mir ist es auch ziemlich egal, dass die Partie nur unentschieden ausgeht. Ich schaue Fußball des Fußball wegen, nicht um Deutschland gewinnen zu sehen.
Nach dem Spiel geht es im Rekordtempo auf unseren Berg. Dort läuft schon das Abendspiel. Im Hotel wohnt auch eine Gruppe Fans aus Wien. Bei Bier und Schnaps wird eifrig diskutiert, ob die Formel 1 zu leise und zu langweilig ist. Wir einigen uns auf die Formel: Zu leise ja, zu langweilig nein. Das Fachgespräch zieht sich bis zwei Uhr morgens hin. Dementsprechend kurz ist die Nacht.
Obwohl wir früh auf den Beinen sind und eine Ausweichroute nehmen, stehen wir Sonntagmorgen eine halbe Stunde im Stau. Es hätte uns schlimmer treffen können. Das Rennen endet wieder mit einem Mercedes-Doppelsieg, aber wir müssen wenigstens bis zur 40. Runde warten, bis das klar wird. Auf der nächtlichen Heimfahrt sind wir uns einig: Der GP Österreich war die Reise wert.
In unserer Bildergalerie nehmen wir Sie mit hinter die Kulissen des GP Österreich.