Rosberg-Drama aus der Vogelperspektive

Die auto motor und sport Formel 1-Reporter berichten in ihren F1-Tagebüchern von ihren persönlichen Erlebnissen bei den 19 Grand Prix-Rennen der Saison 2014. In Teil 14 blickt Tobias Grüner hinter die Kulissen vom GP Singapur.
Mit der Reise nach Singapur beginnt auch für uns Journalisten der Endspurt der Saison. Es stehen noch 6 anstrengende Übersee-Rennen auf dem Programm. Die verrückteste Reise des Jahres gibt es gleich zu Beginn. Der ungewöhnliche Zeitplan des Nachtrennens zwingt nicht nur die Fahrer dazu, auf europäischer Zeit zu bleiben, sondern alle, die im Fahrerlager arbeiten.
Singapur-Hotels rufen extreme Preise auf
Die Hotels haben sich mittlerweile daran gewöhnt, dass die Zimmerreinigung erst am Nachmittag möglich ist. Die "Do-not-Disturb"-Schilder am Türknauf werden bis weit in den Tag herein respektiert. Ich kann hier gar nicht sagen, wie oft ich in der Vergangenheit trotz zusätzlicher Hinweisschilder an der Tür schon nach wenigen Stunden Schlaf vormittags aus dem Bett geklopft wurde. Nicht in diesem Jahr.
Singapur ist aber nicht nur von den Arbeitszeiten oder den Temperaturen ungewöhnlich. Singapur ist auch teuer. Besonders am Rennwochenende. Für unser Hotel in Streckennähe wird eine vierstellige Summe aufgerufen - für 5 Übernachtungen ohne Frühstück. Wenn der Grand Prix zu Gast ist, schießen wie überall auf der Welt die Preise in die Höhe. In Singapur ist es allerdings besonders extrem.
Weicht man auf entlegenere Stadtteile aus, spart man vielleicht ein paar Euro, dafür muss man sich mit unfähigen Taxifahrern rumschlagen - meist Gastarbeiter, die keine Ahnung haben, wo es langgeht. In der Vergangenheit wurde ich sogar schon unhöflich aus dem Auto geschmissen, weil die Chauffeure einfach nicht zur Strecke fahren wollten. Rund um den Kurs sind viele Straßen gesperrt. Der Verkehr ist entsprechend chaotisch. Da wird lieber auf eine Fuhre verzichtet.
Wetter beweist erneut schlechtes Timing./strong>
In diesem Jahr können wir von unserem Hotel zum Fahrerlager laufen. Obwohl es nur 20 Minuten Fußmarsch sind, kommt man wegen der Sauna-Temperaturen stets komplett durchgeschwitzt am Eingang unter dem Riesenrad an. Bummeln darf man nicht. Mittlerweile wissen alle Journalisten, dass die Sperrstunde der Teams um 15 Uhr beendet ist. Kommt man um 15.01 Uhr, darf man sich hinten in die Schlange der vielen Mechaniker anstellen. Kommt man um 14.59 Uhr, kann man gemütlich an allen vorbeilaufen.
Das Wetter ist in Singapur jedes Jahr eine Wundertüte. Auch bei der 7. Ausgabe beweisen die tropischen Schauer schlechtes Timing. Gerne würden wir erfahren, wie es aussieht, wenn die Gischt der Autos im Flutlicht glitzert. Dieses Jahr hätte es beinahe geklappt. Nur 5 Minuten nach dem Qualifying öffnet der Himmel seine Schleusen. Als Alonso seine Presserunde um Mitternacht gibt, geht die Welt unter. Da hilft auch kein Regenschirm mehr. Ich bin einmal komplett geduscht. Leider ist der Arbeitstag noch längst nicht beendet.
Das Pressezentrum in Singapur ist bis auf die Hardcore-Klimaanlage eines der besten im ganzen Jahr. Journalisten bekommen gratis Eis und Sandwiches. Dazu jede Menge kühle Getränke. Die Internetverbindung ist stabil und komplett gratis. Das Wichtigste ist aber die große Fensterfront zur Boxengasse. Hier können wir den Teams bei den Boxenstopps über die Schultern schauen.
Technik-Probleme bei Rosberg
In diesem Jahr wird das schon im ersten Training interessant. Nico Rosberg verliert in seiner Installationsrunde das Innenleben seines Außenspiegels. Vor der Garage wird kurzerhand ein neues Spiegelglas eingesetzt und schon kann es weitergehen.
Am Rennsonntag ist die Reparatur nicht ganz so schnell beendet. Schon bei meinem üblichen Gang durch die Boxengasse eine halbe Stunde vor dem Rennen - kurz bevor die Autos auf die Strecke dürfen - fällt mir die ungewöhnliche Hektik in der Mercedes-Garage auf. Rosberg fährt mehrere Installationsrunden. Dabei wird immer wieder das Lenkrad gewechselt.
In der Startaufstellung geht das Drama weiter. Die Mechaniker untersuchen die Steckverbindungen, können aber den Fehler offenbar nicht finden. Als es in die Einführungsrunde geht, bleibt der Silberpfeil stehen. Auch im Pressezentrum ist die Unruhe zu spüren. Immerhin hatte Rosberg die WM bis zu diesem Rennen mit 22 Punkten relativ komfortabel angeführt.
Nach dem Start aus der Boxengasse kommt der Mercedes mit der Startnummer 6 wortwörtlich nicht in die Gänge. Das Auto reagiert nicht mehr auf die Befehle des Fahrers. Zur 13. Runde wird Rosberg zum Lenkradtausch an die Box gerufen. Um mir den besten Platz über der Mercedes-Garage zu sichern, habe ich mich schon vor dem Funkspruch mit meiner Kamera platziert. Die Service-Aktion am Silberpfeil nützt allerdings nichts. Mit dem neuen Lenkrad lässt sich gar kein Gang mehr einlegen.
Perfekter Blick auf das Rosberg-Drama
Rosberg fuchtelt panisch an allen möglichen Knöpfen, Schaltern und Wippen herum. Doch die Ganganzeige auf dem in der Nacht gut ablesbaren Display bleibt auf "N" stehen. 2 Meter über dem Helm des Piloten habe ich den perfekten Blick auf das Drama. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird der Mercedes schließlich rückwärts in die Garage geschoben. Der frustrierte Pilot verfolgt den Rest des Rennens von der Boxenmauer aus.
Viele englische Kollegen (und auch Fans) sprechen nach der Kollision von Belgien von ausgleichender Gerechtigkeit. Zudem habe Hamilton in der Saison ja auch schon viele Punkte durch Technik-Probleme liegengelassen. Im Mercedes-Lager ist die Stimmung trotz des Siegs des Briten getrübt. So wollte man die WM nicht entscheiden.
Bei der Wartung der Lenksäule hatten die Techniker eine Kontrollsubstanz vergessen zu entfernen. Diese hat dann das Kabel angegriffen. Ausgerechnet zum Rennen kam es zum Kurzschluss. Der Fehler ist dem Team offenbar so peinlich, dass die Ursache erst am folgenden Freitagabend bekanntgegeben wird, obwohl die Ingenieure den Grund schon 3 Tage zuvor gefunden hatten. Ungeliebte Meldungen werden gerne auf Freitagabend verschoben. Die PR-Abteilungen wissen, dass zu diesem Zeitpunkt der Woche nicht so viele Leser im Internet unterwegs sind, dass viele Journalisten schon Feierabend gemacht haben und die Pläne der Wochenend-Zeitungen bereits voll sind.
Bis auf den Rosberg-Ausfall ist das Rennen relativ unspektakulär. Die Geschichten sind schnell im Kasten. "Schon" um 4.30 Uhr in der Früh kommen wir von der Strecke weg. Die Restaurants haben natürlich schon alle geschlossen. Nur der McDonalds hat noch geöffnet. Statt Big Mac und Pommes gibt es aber nur das abgespeckte Frühstücksprogramm. Als ich ins Bett komme, geht die Sonne über Singapur gerade auf. Unten auf der Straße sehe ich, wie die Banden bereits demontiert werden. Zum Schlafen bleiben nur 2 Stunden. Mein Flieger in die Heimat geht bereits um 12 Uhr Mittags.
In unserer Bildergalerie nehmen wir Sie mit hinter die Kulissen des GP Singapur.