Rückrüsten nach FIA-Kontrolle
Die FIA hat eine sechszeilige Mail mit brisantem Inhalt verschickt. Darin steht, dass man nach der Untersuchung des 2019er Ferrari-Motors eine Einigung mit der Scuderia erzielt habe, über die aber Stillschweigen vereinbart wurde. Was steckt dahinter?
Zehn Minuten vor dem Ende der Testfahrten in Barcelona schlug die Bombe ein. Die Pressemitteilung der FIA war nur sechs Zeilen lang. Es sagte scheinbar nichts und doch alles. Zwischen den Zeilen. Hier ist der genaue Wortlaut:
„Die FIA kündigt an, dass sie nach einer gründlichen technischen Untersuchung ihre Analyse über den Betrieb der Ferrari-Antriebseinheit abgeschlossen hat und mit dem Team zu einer Einigung gekommen ist. Über Einzelheiten dieses Abkommens wurde zwischen den beiden Parteien Stillschweigen vereinbart.“
„Die FIA und Ferrari haben sich darüber hinaus auf eine Zahl von technischen Verpflichtungen verständigt, die das Überwachen aller Antriebseinheiten in der Formel 1 verbessern. Ferrari hat sich außerdem dazu bereiterklärt, die FIA in ihren regulatorischen Pflichten und der Forschung von nachhaltigen Kraftstoffen zur Reduzierung von CO2-Emissionen zu unterstützen.“
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung kurz vor Torschluss der Testfahrten sagte bereits viel aus. Er war bewusst so spät gewählt. So war sichergestellt, dass man die betroffenen Parteien und Dritte nicht mehr dazu im Fahrerlager befragen konnte. Die Formel-1-Gemeinde trifft sich erst in zwei Wochen am anderen Ende der Welt in Melbourne wieder. Wenn überhaupt. Bis dahin wird das Corona-Virus die Schlagzeilen schreiben und die Angelegenheit zwischen FIA und Ferrari in der Hintergrund rücken.
Die wahre Geschichte wäre für die Formel 1 vermutlich kein Ruhmesblatt. Deshalb werden wir sie nie in ihren Einzelheiten erfahren. Warum also hat sich die FIA überhaupt noch einmal zu dem Fall geäußert? Vermutlich auf Druck der Konkurrenz. Mercedes und Red Bull wussten, dass der Weltverband Ferrari mit dem Motor an der Angel hatte. Das konnte man nicht mehr unter den Teppich kehren.
Rechtsstreit wäre zu riskant
Man kann vieles hineininterpretieren in den ersten Satz des Statements. Höflich ausgedrückt haben die FIA-Prüfer ganz offensichtlich Unregelmäßigkeiten beim Betrieb des Ferrari-Motors von 2019 festgestellt. Schärfere Zungen würden von Betrügereien sprechen.
Ob die FIA in der Lage ist, das juristisch belastbar in allen Einzelheiten nachzuweisen, steht auf einem anderen Blatt. Ferrari hätte bei einer drastischen Strafe mit Sicherheit Einspruch eingelegt. Ein Rechtsstreit hätte auf jeden Fall viel schmutzige Wäsche gewaschen und unter Umständen nicht das gewünschte Ergebnis gebracht.
So war es einfacher unter der Hand zu einer Vereinbarung zu kommen, die folgendermaßen lauten könnte: Ihr seid mit dem Motor zu weit gegangen. Das wird ab sofort nicht mehr geduldet. Außerdem zahlt ihr eine Strafe dafür. Natürlich nicht direkt, denn das wäre zu offensichtlich gewesen. Ferrari finanziert die von der FIA angestoßene Forschung CO2-neutraler Kraftstoffe. Da kann schnell mal eine zweistellige Millionensumme zusammenkommen.
Ferrari stand seit dem GP USA quasi offiziell unter dem Verdacht, mit dem Motor getrickst zu haben. Die FIA schickte in kurzer Folge mehrere technische Direktiven heraus, die das verhindern sollten, was die Konkurrenten Ferrari vorwarfen. Einspritzen von mehr Kraftstoff als erlaubt durch Manipulieren des Messsignals für die Durchflussmengenmessung. Neue Bestimmungen für den Ölverbrauch. Schärfere Überprüfungen der Elastizität der Benzinleitungen. Einführung eines zweiten Sensors, auf den die Teams keinen Zugriff haben.
Als bei Charles Leclercs Ferrari beim Saisonfinale in Abu Dhabi vor dem Start des Rennens plötzlich eine Diskrepanz zwischen der im Datenblatt angegebenen und im Tank befindlichen Benzin auftrat, da war offenbar das Maß voll.
Neuer Motor mit weniger Leistung
Gerüchteweise ist zu hören, dass die FIA-Prüfer danach ein ganzes Auto mit Motor von Ferrari konfiszierten, um über den Winter in Ruhe alles zu prüfen. Und dabei soll entdeckt worden sein, wie Ferrari die Leistung des Motors in bestimmten Phasen gesteigert hat. Offenbar mit nicht ganz regelkonformen Methoden.
Damit stand die FIA unter Zugzwang. Sie konnte den Fall nicht mehr totschweigen. Sie wollte ihn offenbar in der Öffentlichkeit nicht im Detail breit treten, weil das dem Sport wahrscheinlich mehr geschadet als genutzt hätte. Die Verdachtsmomente waren aber offenbar so schwerwiegend, dass Ferrari den Sanktionen zustimmen musste. Den Gegnern sind sie natürlich viel zu milde.
Doch Ferrari bezahlt die Zeche in diesem Jahr möglicherweise auf der Rennstrecke. In Maranello musste über den Winter ein komplett neuer Motor gebaut werden. Sogar der Turbolader und das Energierückgewinnungssystem waren davon betroffen. Dieser neue Motor hat Messungen zufolge deutlich weniger Leistung als der alte und ist mit ein Grund für den enttäuschenden Top-Speed auf den Geraden.
Ferrari begründet die PS-Diät mit der Sorge um die Zuverlässigkeit. Man könne frühestens mit der zweiten Spezifikation reagieren. Die kommt normalerweise erst nach dem siebten Rennen. Da kann die WM für die Italiener längst verloren sein.