Interview mit Robert Kubica
Dass Robert Kubica überhaupt wieder Formel 1-Rennen fährt, grenzt an ein Wunder. Wir haben uns mit dem Polen über dieses Wunder unterhalten, und ihn gefragt, warum es bei Williams nicht so läuft wie erhofft.
Sie haben in Hockenheim nach 3.178 Tagen Pause einen WM-Punkt geholt. Was bedeutet das für Sie?
Kubica: Ich werde nicht zu emotional deswegen. Es wäre mir lieber gewesen, ihn ohne die Strafe eines anderen bekommen zu haben. Es war ein glücklicher Punkt, wenn wir ehrlich sind. Nicht wegen des turbulenten Rennens. Da wird derjenige belohnt, der das Risiko am besten abschätzen kann. Ich bin bewusst sehr konservativ gefahren. Weil ich wusste, dass es sich am Ende auszahlt, wenn du überlebst.
Ich war da im Zwiespalt. Wir fahren am Ende des Feldes. Auf der einen Seite willst du bei der Reifen.ahl riskieren, weil wir nichts zu verlieren haben. Auf der anderen können wir in unserer Lage nicht riskieren, das Auto rauszuwerfen. Wir hatten in den letzten Rennen ein paar Schäden. Wenn das nächste Rennen schon drei Tage später folgt, brauchst du Teile. Ein Unfall hätte uns in eine schwierige Lage gebracht. Ich glaube, der Punkt hilft dem Team mehr als mir. Williams ist durch schwere Zeiten gegangen. Der Punkt zeigt dem Team, dass man niemals aufgeben darf.
Hätten Sie zum gleichen Zeitpunkt auf Slicks gewechselt wie Kvyat und Stroll, wären Sie auch ohne Hilfe anderer in die Punkte gefahren.
Kubica: Das hätte uns sicher nach vorne gespült, aber wären wir dort auch geblieben? Es waren noch zu viele Runden zu fahren. Wir waren mit der Fahrzeugabstimmung in eine Richtung gegangen, die uns bei diesen verrückten Bedingungen nicht gerade geholfen hat. Kvyat und Stroll konnten sich mit ihren Autos besser verteidigen. Stroll hat genau das getan, was wir auch hätten tun können. Wenn es funktioniert, bist du der Held, wenn nicht der Depp. In unserem Fall gleich doppelt. Wir sind bei Williams nicht in der Lage, Risiken einzugehen.
Wie sehen Sie Ihre Saison? Sind Sie unter den Umständen zufrieden?
Kubica: Sie kennen nicht alle Umstände. Das ist schon mal das erste Problem bei einer Bewertung. Es gab nicht viele Augenblicke, in denen ich mich allein auf das Fahren konzentrieren konnte. Deshalb fällt es mir schwer zu sagen: Das hast du richtig, das falsch gemacht. Die Resultate sehen Sie ja selbst. Aber es gibt noch viele andere Probleme, die es schwer machen zu zeigen, was möglich wäre.
Zum Beispiel?
Kubica: Wir wissen nicht immer warum wir langsam sind. Schauen Sie sich die starken Schwankungen zwischen meinem Teamkollege und mir an. Mal bin ich nah dran, dann wieder meilenweit weg. Ich kann Ihnen nicht sagen, woran es liegt. Wenn du dich verbessern willst, musst du erst mal wissen, warum du langsam bist. Sicher gibt es Dinge, die ich besser machen könnte. Genauso sicher gibt es Dinge, die ich richtig gemacht habe, die aber von anderen Faktoren überdeckt wurden. Ich gebe weiterhin alles. Aber manchmal fehlt so viel Rundenzeit, dass du die Welt nicht mehr verstehst. Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist eine komplizierte Saison.
Wie gut ist George Russell? Sehen Sie den jungen Robert Kubica in ihm?
Kubica: Da gibt es einen riesigen Unterschied. Ich bin mit weniger Erfahrung in der Formel 1 angekommen. Die neue Generation ist viel besser ausgebildet als ich es war oder Lewis. Speziell George, der in der Vergangenheit schon mit Mercedes und Force India testen konnte. Zu Saisonbeginn hatte er wahrscheinlich schon mehr Runden in modernen Formel 1-Autos gedreht als ich. George ist unglaublich talentiert. Jeder weiß, wie schnell er ist. Natürlich werde ich mit ihm verglichen. Obwohl das nur schwer zu vergleichen ist. Wir befinden uns in einem komplett anderem Stadium in unserer Karriere. George verdient ein Auto, mit dem er vorne fahren kann. Die Fähigkeiten dazu hat er. Er hat es in der GP3 und der Formel 2 gezeigt. Ich mache mir da keine Sorgen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dann sitzt er in einem konkurrenzfähigen Auto.
Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass Sie je zurückkommen würden mit dieser Behinderung des rechten Armes. Ist es Ihr persönlich größter Sieg, es überhaupt geschafft zu haben?
Kubica: Es war der Grund, warum ich darauf so versessen war, in die Formel 1 zurückzukehren. Ich wollte beweisen, dass es geht. Und es ging. Natürlich stellen jetzt viele Leute die Sinnfrage, weil es nicht so läuft. Es ist ihnen auch schwer zu vermitteln. Viele Leute werden es nicht verstehen, weil sie nie in meiner Lage waren. Ich akzeptiere die Zweifel anderer Leute, aber sie sollten auch meine Entscheidung verstehen. Viele haben mich gewarnt, dass ich nie in der Lage sein würde, in Monte Carlo zu fahren. Und dann war Monte Carlo eines meiner besten Wochenenden. Das gleiche im Regen. Und dann hole ich einen Punkt. Ich habe jetzt eine ganz andere Herausforderung als vor zehn Jahren. Speziell mit dem Auto, das ich jetzt fahre. Jetzt arbeite ich mehr an mir selbst, versuche mich auf einen Stand zu bringen, dass ich mit einem besseren Auto zeigen kann, wozu ich immer noch in der Lage bin.
Wie stark mussten Sie Ihrem Fahrstil anpassen, um trotz der Behinderung schnell zu fahren?
Kubica: Ich fahre nicht unbedingt andere Linien. Die größte Anpassung fand im Kopf statt. Es ist unglaublich, wie sich das Gehirn und der Körper auf neue Bedingungen einstellen. Das war eine der größten Lehren, die ich gezogen habe. Mein linker Arm ist viel schneller, sensibler und präziser als je zuvor und als der linke Arm von 99 Prozent aller Menschen. Ich wusste das nicht einmal.
Man hat mich mehreren Tests unterzogen, und das Resultat war, dass mein linker Arm um 35 Prozent besser funktioniert als der beste Wert, den sie bei gesunden Menschen und Rennfahrern je gesehen haben. Ich habe mich zuerst gefragt, ob das immer schon der Fall war. Sehr unwahrscheinlich. Es ist das Resultat einer Entwicklung. Mein Gehirn und mein Körper mussten die Behinderung meines rechten Armes irgendwie kompensieren. Über die Jahre musste ich meinen Körper neu lernen, um zu begreifen, wie ich mit der Behinderung am besten umgehe.
Wie ging das?
Kubica: Der größte Fortschritt in den Jahren seit dem Unfall war, dass ich gelernt habe, meine Behinderung zu akzeptieren. Am Anfang wollte ich das nicht wahrhaben. Ich wollte wieder so sein wie vorher. Das war eine schwierige Zeit. Dann habe ich begonnen daran zu arbeiten, und habe mit der Zeit einen Weg gefunden, das gleiche zu tun wie vorher, nur auf eine andere Art. Wenn ich es weiterhin wie früher versuchen würde, würde ich scheitern.
Ich habe dann versucht, so natürlich wie möglich zu fahren. Als mir das gelang, war meine Anpassungsphase an das neue Leben geschafft. Deshalb bin ich nach dem Unfall in den Rallyesport. Weil ich da noch unverbraucht war. Das war ein neues Metier für mich. Im Auto habe ich nie an meine Behinderung gedacht. Ich habe quasi das Rallyefahren mit meiner Behinderung gelernt. Das habe ich dann auf andere Rennautos übertragen. Und es ist mir gelungen. Wenn ich heute in einem Formel 1-Auto sitze, denke ich nicht darüber nach, was mein rechter oder linker Arm tun müssen, um mein Defizit auszugleichen. Es ist für mich ein natürlicher Vorgang geworden so zu fahren. Ich habe keine Wahl. Natürlich wäre ich lieber zu 100 Prozent gesund. Das geht aber nicht. Also muss ich versuchen 100 Prozent aus dem rauszuholen, was ich habe.
Die Autos haben sich seit 2010 stark verändert. Die Arbeit auch?
Kubica: Es ist ein bisschen schwierig zu vergleichen, weil ich jetzt für ein anderes Team fahre als damals. Und jedes Team ist verschieden. Die Prioritäten haben sich verschoben. Heute arbeitest du viel mehr mit den Reifen. Die sind extrem sensibel. Also dreht sich in den Besprechungen viel um die Reifen, weil es einen großen Unterschied macht, ob der Reifen im Fenster ist oder nicht. In der Vergangenheit haben wir mehr an der Optimierung der Fahrzeugabstimmung gearbeitet. Über die Reifen haben wir kaum einen Gedanken verschwendet. Heute ist das Reifen.anagement wichtiger als das Setup.
Dieses Interview führte Redakteur Michael Schmidt am 1. August in Budapest.