Teams machen Gegenvorschlag
Die Uhr tickt. Ende Oktober muss das Reglement für 2021 stehen. Im Moment stehen sich die FIA, Liberty und der Großteil der Teams unversöhnlich gegenüber. Doch jetzt kommt in letzter Minute Bewegung in die Sache.
Seit zwei Jahren arbeiten die FIA und Liberty am Reglement für 2021. Als das Projekt im Juni den Teams vorgestellt wurde, gab es einen kollektiven Aufschrei. Zu wenig technische Freiheiten, zu viel Einheitsbrei, im Speed zu langsam, im Design zu langweilig.
CFD-Simulationen ergaben, dass die Autos sechs Sekunden langsamer sein würden. Und dass die Autos im Verkehr schon nach den ersten Entwicklungsschritten wieder sehr sensibel auf Turbulenzen im Verkehr reagieren werden. Statt 50 Prozent Abtriebsverlust eine Wagenlänge hinter einem anderen Auto sollten es nur 10 Prozent sein.
Die FIA ließ sich breitschlagen, die Frist bis zum 31. Oktober zu verlängern. Dann muss das Reglement stehen. Die Teams wollen mit der Entwicklung der 2021 Auto beginnen. Die Zeit von Juni bis jetzt wurde schlecht genutzt. Die Kritiker sagten den Experten der FIA nur, was ihnen nicht gefällt, hatten selbst aber keinen Gegenvorschlag zu bieten.
Die einzige Idee: Alles so zu lassen, wie es ist. Weil die Rennen seit dem GP Österreich allesamt unterhaltsam und spannend waren. McLaren-Chef Zak Brown warnt: „Das stimmt für die Spitzengruppe und das Mittelfeld. Leider liegt zwischen den beiden eine Sekunde. Es wäre wichtig diese Lücke zu schließen.“
Kollege Frédéric Vasseur fürchtet: „Wenn das ursprünglich geplante Reglement weiter verwässert wird, gelingt das nie.“ Der Alfa-Romeo-Teamchef ist enttäuscht, dass sich die FIA bei der Standardisierung von Teilen und Kostenreduzierungsmaßnahmen viele Ideen auf Druck der großen Teams bereits wieder zurückgenommen hat. Zuerst das Einheitsgetriebe, zuletzt die Einheitsbremsen. Oder das Verbot von Heizdecken.
„Ich hätte mir zehn Millionen sparen und dieses Geld in die Aerodynamik stecken können. Nur so holen wir auf die großen Teams auf“, rechnet Vasseur vor. Formel-1-Sportdirektor Ross Brawn beruhigt: „Wir werden die Bremsen zwar wieder freigeben, aber in einem so engen Rahmen, dass es auf jeden Fall billiger wird.“
Teams schlagen in letzter Minute Alarm./strong>
Die FIA und Liberty behaupten, dass der Zusammenschluss der Teams nur über eine Budgetdeckelung und ein restriktives Technik-Reglement möglich ist. Eigentlich würde der Kostendeckel reichen, doch der ist mit 175 Millionen Dollar und vielen Ausnahmen viel zu hoch angesetzt. Die Top-Teams ließen sich nicht weiter runterhandeln. Mercedes-Teamchef Toto Wolff widerspricht: „Man darf sich von der Zahl 175 Millionen nicht täuschen lassen. Es gibt keinen Inflationszuschlag. In drei Jahren sind die 175 nur noch 160 Millionen wert.“
Doch die Drahtzieher wollen nicht drei Jahre warten. Sie wollen sofort fairere Bedingungen. Deshalb haben sie beim Technik-Reglement die Stellschrauben so fest angezogen, dass man auch mit viel Geld nur kleine Vorteile erzielen kann.
Das Auto ist in rund 50 sogenannte Legalitätsboxen eingeteilt. Nur in diesen Bereichen haben die Ingenieure Bewegungsfreiheit. Die Techniker schlugen natürlich sofort Alarm. Und brachten ihre Teamchefs teilweise dazu, nun gegen die Regeln mobil zu machen, obwohl sie ursprünglich dafür waren. Red Bull ist so ein Fall. Teamchef Christian Horner spottet: „Das ist die GP1.“
Da spricht die Stimme seines Stardesigners Adrian Newey. Dessen Ansatz zur Lösung des Problems ist der eines Ingenieurs: „Macht die Reifen besser. Baut die Strecken um.“ Ross Brawn wundert sich: „Wir haben den Ingenieuren in den letzten zwei Jahren jede Entwicklungsstufe des 2021er Autos im Detail präsentiert. Warum schlagen sie erst jetzt Alarm.“
Viele glauben, das war Kalkül. Damit sich am Ende gar nichts ändert. Seit Juni haben sich FIA, Liberty, Teamchefs und separat auch noch Technikchefs und Sportdirektoren drei Mal getroffen. Es wurde viel geredet, aber wenig beschlossen.
Angleichung durch Stabilität?
Die Kritiker warnten vor den Folgen. Sie fürchten, dass jetzt die DNA der Formel 1 verraten wird und man am Ende auch noch die Ziele verfehlt. Das Überholen würde nicht einfacher werden, und das Feld würde auch nicht näher zusammenrücken. Toto Wolff ist der Meinung: „Die Technik gleicht sich immer dann an, wenn man ein Reglement möglichst lange stabil lässt.“
Er führt dabei die Motoren als Beispiel an. Doch da spielen vier Global Player mit vergleichbar großen Kriegskassen und entsprechend Knowhow mit. Es wird vermutet, dass Honda jährlich eine Viertelmilliarde Euro investiert, um die Lücke zu Ferrari, Mercedes und Renault zu schließen.
Bei den Teams sind die Unterschiede größer. Privat geführte Rennställe wie Haas, Alfa Romeo, Racing Point oder Williams werden nie das Geld, die Menschen und die Werkzeuge haben, den Rückstand aufzuholen, der sie von der Spitze trennt. Selbst ein Podiumsplatz ist auf ewig außer Reichweite.
Aus dieser Aussichtslosigkeit heraus entsteht Frust. Die Besitzer von Haas und dem Alfa-Team stellen sich bereits jetzt die Sinnfrage. Warum sollen sie weiter Geld investieren in einen Sport, der sie hängen lässt? Dazu gibt es weitere Sorgen. Williams fährt finanziell in schwerer See. Auch Renault könnte 2021 auf der Kippe stehen.
Ersatz ist keiner in Sicht. Zwar wurden in den englischen Medien in den vergangenen Wochen immer mal wieder ein paar Gerüchte über interessierte Neueinsteiger gestreut, doch etwas Konkretes war offenbar nicht dabei. Die F1-Bosse waren offenbar so genervt von den Gerüchten, dass sie am Donnerstag (3.10.2019) in einer Pressemitteilung erklärten, dass es noch keine ernsthaften Diskussionen mit möglichen Neueinsteigern gegeben habe.
Teams mit verschiedenen Agendas
Als wäre es nicht schon kompliziert genug, wurden in den letzten Wochen noch weitere Nebenkriegsschauplätze eröffnet, die einzig und allein den Zweck hatten zu zeigen, wie planlos das neue Formel-1-Management agiert.
Über das Qualifikationsrennen kann man sprechen, wenn das große Thema eingetütet ist. So aber hat man alles versucht, auch noch die Fahrer gegen die Pläne für 2021 aufzubringen. Prinzipiell stehen sie auf der Seite der Reformer.
Bei einer Präsentation in Sotschi erklärten die Fahrer den Formel-1-Chefs Chase Carey ihre Wünsche für 2021: Bessere Reifen, weniger sensible Aerodynamik, ein ausgeglicheneres Feld. Ihre Sorge, dass die 2021er Autos zu langsam werden, versuchte Brawn zu dämpfen: „Es werden nicht sechs sondern drei Sekunden.“
In dieser aufgeheizten Stimmung haben die drei Top-Teams am Russland-Wochenende an ihre Mitstreiter einen Fragenkatalog geschickt. Ziel der Aktion ist herauszufinden, wer in welcher Frage wo steht. Bei den Aerodynamikregeln, den Standardteilen, den vorgeschrieben Komponenten, den Formatänderungen.
Ursprünglich stand es 5:5. Renault, McLaren, Williams, Toro Rosso und Alfa Romeo waren für die neuen Regeln. Mercedes, Ferrari und Red Bull lehnen sie ab. Racing Point-Besitzer Lawrence Stroll folgt blind allem, was Mercedes sagt. Auch wenn es gegen die Interessen des eigenen Rennstalls geht.
Haas muss tun, was Ferrari will. Die Amerikaner hängen zu 70 Prozent am Tropf von Ferrari. Toro Rosso kann nicht frei entscheiden. Die Politik wird für beide Red Bull-Teams in Salzburg gemacht. Alfa Romeo steht in der Mitte. Ursprünglich war man für die Restriktionen. Doch mit den ganzen Aufweichungen weiß man nicht mehr, was man glauben soll.
Bernies Tipp an seine Nachfolger
Außerdem wurde jetzt endlich an einem Gegenvorschlag gearbeitet, der den Technikern mehr Freiheiten gibt und die Ziele der FIA nicht aus den Augen verliert. „Wir können im Bereich Nase, Flügel, Seitenkästen, Tunnel unter dem Auto und Diffusor offener werden und trotzdem noch wie geplant die Turbulenzen hinter dem Auto nach oben umleiten“, beharrt Christian Horner.
Ross Brawn erwidert: „Wenn gute Ideen kommen, sind wir jederzeit bereit darüber zu diskutieren.“ Daraufhin spottet Vasseur: „Wenn nur einer die Hand hebt und ja zu etwas sagt, ist mindestens einer dagegen. Aus Prinzip, weil es ja ein Nachteil für ihn sein könnte.“
Das Problem ist die Zeit. Die letzte große Strategiesitzung findet nach dem GP Japan statt. Zwei Wochen später muss alles in ein Reglement gegossen sein. Und dann wird es spannend. Wer unterschreibt den neuen Formel 1-Vertrag, wer nicht?
Wie viel Zeit kann sich Liberty mit den Unterschriften lassen? Bleibt alles beim Alten, wenn es zu lange dauert? Der frühere Formel 1-Chef Bernie Ecclestone gibt seinen Nachfolgern einen Tipp: „Zieht Ferrari und vielleicht noch Red Bull auf eure Seite. Dann unterschreiben die andern ganz von alleine.“