Kritik an der Formel 1
Le Mans, IndyCar, Formel E - jede Rennserie bekommt aktuell gute Kritiken. Nur die Formel 1 holt sich alle 14 Tage Ohrfeigen ab. Teilweise für die gleichen Themen. Wie passt das zusammen?
Nie waren sich Le Mans und die Formel 1 näher. Weil mit Nico Hülkenberg ein Formel 1-Fahrer den Langstrecken-Klassiker gewann. Das lud zu einem Vergleich der beiden Rennserien ein. Den die WEC locker für sich entschied. Nach Le Mans pilgerten 263.000 Zuschauer. Zum Red Bull-Ring kamen nur 55.000 Besucher. Die Formel 1 erntete wieder einmal nur Kritik für die Mercedes.Dominanz, für zu wenig Action auf der Rennstrecke und zu komplizierte Technik, zu leise Motoren.
Zugegeben, Le Mans hatte es etwas besser. Porsche und Audi lieferten sich einen mitreißenden Kampf. Nach neun Rennstunden lagen die ersten 4 Autos innerhalb von 9,2 Sekunden. Doch hinter den beiden deutschen Herstellern war tote Hose. Toyota fuhr chancenlos hinterher. Nissan blamierte sich nach Kräften. Die beiden privaten LMP1-Autos von Rebellion und ByKolles sind von der Spitze so weit weg wie Manor von Mercedes.
In Le Mans wird die Hybrid-Technologie gefeiert. In der Formel 1 wird sie verteufelt. Kein Mensch regt sich darüber auf, wenn André Lotterer, Mark Webber, Alexander Wurz und Co vor den Bremspunkten "Lift and coast" betreiben. In der Formel 1 ist das der Untergang des Abendlandes.
Der Audi R18 e-tron mit seinem Flüsterton ist in der WEC ein Star. Und der Porsche 919 Hybrid kommt auch nicht auf die Lautstärke eines Formel 1-Motors. Dort ist das Thema Lärm immer noch ein Thema, das die Fans umtreibt. Und angeblich von der Rennstrecke vertreibt.
Formel 1 kritisiert sich selbst
Aber auch in anderen Vergleichen schneidet die Königsklasse schlecht ab. Das Formel E-Finale in London wurde in den sozialen Netzwerken als toller Motorsport gepriesen. Wir haben die am Fernsehschirm sichtbaren Überholmanöver gezählt. Es war eine Handvoll. Sicher nicht mehr als bei den letzten beiden Grand Prix in Kanada und Österreich. Was in der Formel 1 DRS ist, heißt in der Formel E "Fan-Boost". Und wird von den Fans fast kritiklos akzeptiert.
Der Speed der Batterie-Renner ist im Vergleich zur Formel 1 unterirdisch. Die Autos wirken nur schnell, weil sie auf engen Strecken zwischen Mauern und FIA-Zäunen fahren. Ließe man sie auf eine normale Rennstrecke, würden sie verhungern.
Wenn sich die Formel 1-Rennstrecken schon kaum noch unterscheiden, was soll man da über die Formel E-Strecken sagen? Gerade, Schikane, 90 Grad-Kurve, Gerade. Und der Sound? Ein kaum wahrnehmbares Pfeifen. Wo bleibt der Aufschrei?
Die Formel E-Verfechter werfen ein, dass die Meisterschaft bis zum Finale offen war und nur durch einen Punkt entschieden wurde. Das hatten wir in der Formel 1 zuletzt 2010 und 2012. Serien der Dominanz gab es in der Geschichte des GP-Sports immer wieder. Die längste dauerte von 2000 bis 2004. Man vergisst das leicht, weil die Vergangenheit immer besser war als die Zukunft.
Felipe Massa erinnert sich an die Saison 1988, als er im Alter von sieben Jahren Ayrton Sennas Siegesfahrten am Fernsehschirm verfolgte: "Senna und Prost haben alles gewonnen. Und sie lagen manchmal eine ganze Runde vor dem Feld. Heute finden wir das im Rückblick alles toll."
Fazit: Nicht das, was auf der Rennstrecke passiert, bildet die Meinung, sondern wie es einem verkauft wird. Und da schneidet die Formel 1 erbärmlich ab. Sie tut alles, dass man sie schlechtreden muss. Zu hohe Preise, leere Fahrerlager, mundtote Fahrer, zu viel Perfektion. Das ist langweilig.
Unter schlechter Vermarktung leidet auch die IndyCar-Serie. Nicht, dass man sie schlecht reden würde. Sie wird nur nicht wahrgenommen. Tatsächlich bieten die IndyCars mittlerweile den besten Rennsport. Ein relativ ausgeglichenes Feld, Überholmanöver zuhauf, ein buntes Fahrerfeld mit einer gesunden Mischung aus Jung und Alt.
Mercedes und Ferrari betreiben Schönwetterpolitik
Warum also schneidet die Königsklasse so schlecht ab? Es gibt eine einfache und eine komplizierte Antwort. Die einfache: Weil uns Bernie Ecclestone und Red Bull seit eineinhalb Jahren erklären, wie schlecht das Produkt ist. Weil durch den Streit zwischen den armen und reichen Teams, zwischen den Siegern und den Verlierern immer wieder subjektive Kritik der Beteiligten an der Serie kommuniziert wird. Und weil es keine starke Hand mehr gibt, die das Missverhältnis endlich beendet. Irgendetwas bleibt da immer in den Köpfen der Fans hängen. Ist einmal etwas schlecht, macht es umso mehr Spaß draufzuhauen.
Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, die Formel 1 hätte keine Kritik verdient. Die Königsklasse hat ein Strukturproblem, und das muss man ihr so oft unter die Nase reiben, bis es alle kapieren. Im Augenblick gibt es nur zwei Teams, die mit der Formel 1 zufrieden sind. Mercedes, weil sie gewinnen. Und Ferrari, weil sie glauben, sie könnten Mercedes bald einholen.
Alle anderen nörgeln an der Situation herum. Die einen mehr, die anderen weniger. Mercedes und Ferrari merken langsam, dass die Kritiker ihnen das Geschäft kaputtmachen. Deshalb haben sie sich zu einer Allianz zusammengeschlossen, die nun krampfhaft positive Nachrichten sucht. Schönwetterpolitik könnte man sagen.
Mercedes redet die Gegner stark. Aus Angst, die eigene Dominanz könnte ihnen auf den Kopf fallen. Die Chefs Toto Wolff und Niki Lauda können sich vorstellen, ihre Motoren ab 2017 für 10 Millionen Euro anzubieten. Nur um die Gegner im Geschäft zu halten.
Ferrari gibt sich generös und bietet Red Bull die eigene Antriebsquelle an. Weil der ehemalige Mitstreiter ins Lager der Habenichtse überzulaufen droht und den einzigen Ausweg aus der sportlich ausweglosen Lage in einem Neubeginn sucht.
Niedrigere Eintrittspreise gar nicht möglich?
Jetzt kommt die komplizierte Antwort: Die Formel 1 befindet sich auf dem absteigenden Ast, weil die Beteiligten ihr Grundproblem nicht verstehen. Der Sport ist ohne Not zu teuer. Für die Zuschauer und die Beteiligten. Wer 500 Euro für ein Ticket bezahlt, will die beste Show der Welt sehen. Wer zwei Stunden am Sonntagnachmittag opfert, will nicht vorher wissen, dass Mercedes gewinnt. Oder bestenfalls noch Ferrari mit ganz viel Glück.
Die Teams fordern niedrigere Eintrittspreise. Mit Verlaub: Das ist so naiv wie von einem Verdurstenden zu verlangen, nicht zu trinken. Die Eintrittspreise sind so hoch, weil die Veranstalter geschröpft werden und sich refinanzieren müssen. Die Veranstalter werden so geschröpft, weil die Rechteinhaber so schnell wie möglich Geld sehen wollen. Die Rechteinhaber brauchen die schnelle Rendite, weil sie ihr Geschäft mehrfach beliehen haben.
Die großen Teams wiederum brauchen die hohen Einnahmen und die ungerechte Verteilung, um ihren ruinösen Wettbewerb in ihrem exklusiven Club weiter zu betreiben. Sie wollen mit ihrem Kundenauto-Modell nicht die Formel 1 retten, sondern auf diesem Umweg an das Geld der kleinen Teams, um sich noch weiter vom lästigen Mittelstand absetzen zu können.
Wenn Fiat-Chef Sergio Marchionne sagt, dass er sich mit Bernie Ecclestone um eine bessere Zukunft der Formel 1 kümmern wolle, ist das der blanke Hohn. Das ist ungefähr so, als wollten die griechischen Reeder das Problem Griechenlands lösen. Sie sind Teil des Problems.
Solange das Geschäft so unausgewogen ist, solange alle ab Platz drei die Hoffnungslosigkeit umtreibt, und solange die Teams nicht kapieren, dass der Sport vor den Eigeninteressen kommt, wird immer wieder interne Kritik aufflackern. Und die befeuert die Außendarstellung, die in der Wahrnehmung gipfelt: Alles ist schlecht.
Da hat die WEC den Formel 1-Teams etwas voraus. Dort haben die Hersteller ohne Druck von der FIA entschieden, in einem Stufenplan die Kosten zu senken. Weil sie sonst irgendwann dort landen, wo die Formel 1 schon ist. Je perfekter Audi, Porsche und Toyota werden, umso schwieriger wird es sein, neue Teilnehmer anzulocken. Weil es zu viel Geld und Zeit kosten würde, um auf dieses Niveau zu kommen. Und weil das Verlieren dann umso mehr schmerzt.