Ferrari im Dauerlauf näher dran
Die Rennsimulationen sind die harte Währung bei den Testfahrten. Aus ihnen lassen sich mehr herauslesen als aus den schnellsten Runden. In diesem Jahr erschwerte allerdings das Wetter die Analyse.
Wer bei den Testfahrten etwas verschleiern will, der hat viele Möglichkeiten. Tankinhalt, Motor-Modus, Reifenwahl, absichtlich Gas rausnehmen. Bei einer Rennsimulation wird das schon schwieriger. Die Benzinmenge, die man braucht, um über 60 Runden zu kommen, ist bekannt. Damit lassen sich auch alle Runden dazwischen gut berechnen.
Wer zwischen den einzelnen Stints nicht für mehrere Minuten in der Garage verschwindet, sondern einen ganz normalen Boxenstopp abwickelt, kann über den Faktor Benzingewicht nicht bluffen. Die Reifen sind auch für alle sichtbar. Hier spielen viele Teams insofern Verstecken, indem sie in ihrem virtuellen Rennen drei Mal mit dem C2-Reifen fahren. Das wäre in Wirklichkeit nicht möglich.
Der Motor-Modus ist das beste Werkzeug, die wahre Stärke bei einem Longrun zu maskieren. Die Mercedes-Ingenieure behaupten: „Da liegen sechs bis neun Zehntel pro Runde drin, je nachdem wie weit man runterdreht.“
Von den Mercedes-Teams weiß man, dass sie an den letzten beiden Testtagen mit gebremstem Schaum gefahren sind. Allerdings nicht freiwillig. Mercedes wurde mehrfach durch Probleme mit dem Öldruck aufgeschreckt. Das Problem war vor Ort nicht zu lösen. Es soll aber bis zum Saisonauftakt in Melbourne im Griff sein.
Der Tag bestimmt die Rundenzeit
Der größte Unsicherheitsfaktor bei der Analyse der Longruns waren das Wetter und der Grip auf der Strecke. Der Unterschied zwischen dem besten und schlechtesten Tag betrug 1,3 Sekunden pro Runde. Lewis Hamilton fuhr seinen Longrun am zweiten Testtag. Sein Dauerlauf war mit Abstand der beste von allen Teilnehmern. Es war aber auch mit Abstand der beste Tag, an dem überhaupt ein Rennen simuliert wurde.
Hamiltons Durchschnittszeit über 62 gezeitete Runden lag bei 1.21,073 Minuten. Valtteri Bottas spulte eine seiner Rennsimulationen am fünften Tag ab. Wegen starkem Wind herrschten da die schlechtesten Bedingungen der zwei Wochen in Barcelona. Bottas kam über 60 Runden nur auf einen Durchschnittswert von 1.24,167 Minuten.
Wir haben insgesamt 13 Rennsimulationen untersucht und dabei den Durchschnitt für die einzelnen Stints untersucht. Um eine Reihenfolge zu erstellen haben wir am Ende die Gesamtzeit durch die Anzahl der Runden geteilt. Nicht alle Longruns waren gleich lang. Alle teilten sich aber ihr Probe-Rennen in jeweils drei Abschnitte ein. Sebastian Vettel, Max Verstappen und George Russell verschwanden zwischendurch jeweils ein Mal für längere Zeit in der Garage. Rote Flaggen hatten ihre Simulation unterbrochen.
Ob dabei in der Garage wieder aufgetankt wurde, um Nebel zu streuen, entzieht sich unserer Kenntnis. Bei Verstappen und Vettel passt die Verbesserung im folgenden Stint ins Bild. Russell dagegen konnte sich nicht um die Zeit steigern, um die er mit abnehmendem Gewicht hätte schneller sein müssen. Hier könnte vor dem zweiten Stint nachgetankt worden sein.
Lewis Hamilton war der einzige Fahrer, der schon an Tag 2 die Karten aufgedeckt hat. Max Verstappen und Daniel Ricciardo erwischten an Tag 3 die zweitbesten Bedingungen. Die meisten spulten am letzten Testtag eine Renndistanz ab und sind deshalb ganz gut miteinander vergleichbar.
Valtteri Bottas, Sebastian Vettel und Antonio Giovinazzi wurden an Tag 5 vom Winde verweht. Deshalb schneidet Vettel im Vergleich zu Teamkollege Charles Leclerc deutlich schlechter ab. Während Leclerc seine 61 Runden mit einem Schnitt von 1.21,827 Minuten abspulte, war Vettel mit einem Mittel von 1.23,090 Minuten um 1,2 Sekunden pro Runde langsamer.
Esteban Ocon war am vierten Tag auch nicht viel besser dran. Der Franzose verlor auf Stallrivale Daniel Ricciardo sieben Zehntel pro Umlauf. Kaum anzunehmen, dass das in Ernstfall auch so wäre.
Red Bull geht in Deckung
Allen Tricksereien zum Trotz: Mercedes gab auch im Longrun den Ton an. Hamilton mag am besten Tag unterwegs gewesen sein, und er war in dem frühen Stadium der Testfahrten auch noch mit normaler Motorleistung unterwegs. Dioch das alles erklärt nur einen Teil des Vorsprungs zur Konkurrenz. Red Bull fuhr am dritten Tag noch nicht mit dem Aerodynamik-Paket, das erst für die zweite Woche fertig wurde. Da muss man laut Red Bull drei Zehntel pro Runde abziehen.
Ferrari hat laut Teamchef Mattia Binotto weitgehend gezeigt, was möglich war. In den ersten beiden Stints hinkte Lerclerc dem Mercedes durchschnittlich um sieben Zehntel hinterher. Im letzten waren es nur zwei Zehntel. Allerdings war der um neun Runden kürzer als der des Mercedes-Piloten. Im Vergleich zu Verstappen war Leclerc in den ersten beiden Abschnitten einen Hauch langsamer, im letzten klar schneller.
Red Bull wagte sich mit dem neuen Aero-Paket in der zweiten Woche nicht mehr aus der Deckung. Max Verstappen fuhr meistens härtere Reifen als die Konkurrenz, er brach schnelle Runden ab und er spulte auch keine echte Renndistanz mehr ab. Deshalb bleibt Red Bull eine „Wundertüte“, wie sich Vettel ausdrückt.
Der Ferrari ist vielleicht nicht ganz so schlecht, wie er gemacht wird. Zumindest auf den Strecken, wo alle mit maximalem Abtrieb fahren müssen. Dann spielt der gestiegene Luftwiderstand eine geringere Rolle. Mercedes liegt mit seiner Einschätzung von sechs Zehntel Rückstand für Ferrari wahrscheinlich nah bei der Wahrheit.
Im Mittelfeld geht es wie erwartet unglaublich eng zu. Nach den Longruns liegt McLaren knapp vor Renault und Racing Point. Im Mittel der 60 Runden kam Carlos Sainz auf 1.22,666 Minuten, Daniel Ricciardo auf 1.22,678 Minuten und Sergio Perez auf 1.22,791 Minuten pro Runde. Selbst Romain Grosjean liegt mit einem Durchschnittswert von 1.22,934 Minuten noch in Reichweite.
Das große Fragezeichen ist hier der Racing Point von Perez. Der Mexikaner war bei seinem Longrun am letzten Tag auf Anraten von Mercedes wie auch Russell im Williams mit stark gedrosselter Leistung unterwegs. Was Racing Point ganz gelegen kam. Bloß kein weiteres Aufsehen erregen. Nach den starken Einzelrunden der Mercedes-Kopie hatten Konkurrenz-Teams bei der FIA schon angefragt, ob da alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
Enges Rennen im Mittelfeld
Interessanterweise sind Sainz und Ricciardo im ersten Stint die identische Durchschnittszeit gefahren: 1.23,940 Minuten. Der eine über 18, der andere über 21 Runden. Da waren Perez und Grosjean schneller.
Renault-Technikchef Marcin Budkowski liefert die Erklärung für den bescheidenen Auftakt von Ricciardos Rennsimulation: „Daniel hat ein bisschen zu sehr auf die Reifen geachtet, und er war wohl noch etwas eingerostet. Ab dem zweiten Stint ist er explodiert.“ Da war der Australier ein Zehntel schneller als Sainz und vier Zehntel als Perez. Nur Grosjean legte den Mittel-Stint schneller zurück. Am Ende hatte Sainz leicht die Nase vor Ricciardo. Perez fällt leicht, Grosjean stark ab.
Alpha Tauri legte einen für die Verhältnisse eher schwachen Longrun hin. Mit einem Gesamtschnitt von 1.23,517 Minuten lag Daniil Kvyat nur 0,144 Sekunden vor Williams-Pilot Russell. Williams demonstriert auch hier, dass man zum Feld aufgeschlossen hat. Im letzten Stint konnte Russell den Alpha Tauri bei fast gleich langer Laufzeit sogar schlagen.
Am schlechtesten von allen Teams schneidet Alfa Romeo ab. Doch Antonio Giovinazzi hatte Pech mit dem Timing. Er war zur gleichen Zeit unterwegs wie Vettel. Rückstand auf den Werks-Ferrari: im Schnitt 1,1 Sekunden. Nicht überragend, aber auch noch kein Beinbruch.