Brauchen mehr Ideen wie „DAS“
Mercedes hat mit seinem Lenkrad-Trick zur manuellen Verstellung der Spur an der Vorderachse für ordentlich Wirbel gesorgt. Chefdesigner John Owen erklärt, wie die Ingenieure auf die Idee gekommen sind und wie sie sich gegen ein Verbot schützen.
Die Formel-1-Geschichte ist voll von innovativen Ideen. Doch heutzutage sind clevere Tricks, die es in den Fokus der breiten Öffentlichkeit schaffen, eher eine Seltenheit. Umso größer war die Aufmerksamkeit, die Mercedes beim ersten Einsatz des "DAS"-Systems ("Dual Axis Steering") bei den Testfahrten in Barcelona auf sich zog.
Dass die Fahrer das Lenkrad plötzlich nach vorne und nach hinten schieben konnten, erkannten auch technisch nicht so versierte Fans. Und weil man so etwas vorher noch nie gesehen hatte, war die Aufregung groß. Selbst Boulevard-Medien wie die "Bild"-Zeitung interessierten sich plötzlich für Technik-Details.
Nach der ersten Überraschung stellte sich natürlich sofort die Frage nach der Legalität. Von der Konkurrenz wurde die neue Idee direkt unter Beschuss genommen. Vor allem aus dem Red-Bull-Lager wurden einige Salven abgefeuert. Und ohne die Absage des Australien-Grand-Prix wäre es bei einem "DAS"-Einsatz wohl schon beim ersten Rennen zum Protest gekommen.
Mercedes versetzt sich in die Gegner rein
Doch Mercedes sieht sich für einen juristischen Streit gut gerüstet. Man habe schon bei der Entwicklung die Argumente der Konkurrenz im Auge gehabt, verrät Chefdesigner John Owen./span>. Der Ingenieur erklärt, wie akribisch die Ingenieure im Reglement nach Schlupflöchern suchen und wie man diese dann ausnutzen kann.
"Man muss sich genau durchlesen, was im Text geschrieben steht", so Owen. "Man darf nicht einfach eine Annahme treffen, was wohl gemeint ist. Vor allem bei jungen Kollegen ist es schön zu sehen, wie sie mit Neugier und einer Art Naivität an das Reglement herangehen. Sie interpretieren die Worte manchmal auf eine Weise, an die man vorher nicht gedacht hatte."
Laut Owen werden aber nicht alle Lücken im Reglement auch von den Ingenieuren ausgenutzt: "Wenn wir etwas finden, dann müssen wir entscheiden, wie wir damit umgehen: Manchmal können wir für uns selbst einen Nutzen ziehen, in anderen Fällen müssen wir die Verantwortlichen informieren, um einen Missbrauch zu verhindern."
"DAS"-System für 2021 schon verboten
Beim "DAS"-System entschied sich Mercedes für beide Lösungen. Auf der einen Seite entwickelte man die Technik, um für sich selbst einen Vorteil daraus zu ziehen. Gleichzeitig informierte das Team auch die FIA, um sich bei den Regelhütern abzusichern. Allerdings war mit diesem Schritt auch klar, dass der Weltverband das Schlupfloch in den 2021er Regeln direkt wieder schließen wird.
Owen erklärt, wie die Ingenieure überhaupt auf den neuen Technik-Trick gekommen sind: "Innovationen sind nicht immer etwas ganz Neues. Sie entstehen auch manchmal aus bekannten Ideen, die dann neu zusammengesetzt werden. Das "DAS"-System ist aus etwas entstanden, das wir vor ein paar Jahren mal ausprobiert haben. Es hatte zwar ganz gut funktioniert, aber wir versprachen uns damals eigentlich etwas mehr davon."
Laut Owen reifte die "DAS"-Idee dann am Ende aus einer konkreten Problemstellung am Auto. "Man schaut, wie eine Lösung aussehen könnte und was die Regeln dazu sagen. In diesem Fall sprachen die Regeln nicht dagegen. Das hat uns erst einmal selbst überrascht. Wir haben uns dann gefragt, welche Argumente die Gegenseite vorbringen könnte, um es zu verbieten. Und dann entwickelt man ein System in einer Art, dass es nicht verhindert werden kann."
Techniker analysieren Vor- und Nachteile
Der Ingenieur zeigte sich amüsiert von den Reaktionen, die auf den ersten "DAS"-Test folgten: "Zuerst waren alle der Meinung, dass es nicht regelkonform sein kann. Doch je intensiver sich die Leute damit auseinandergesetzt haben, desto mehr kamen sie zu der Erkenntnis, dass es doch den Regeln entspricht."
Noch immer ist nicht ganz klar, welche Vorteile sich aus der aktiven Spurverstellung ergeben. Einige Experten glauben, dass sich dadurch der Reibwiderstand auf den langen Geraden verringern lässt, wodurch der Top-Speed steigt. Andere vermuten wiederum, dass die Fahrer mit der Spurverstellung die Reifentemperaturen besser kontrollieren können.
Für Chefdesigner Owen standen in der Entwicklungsphase aber nicht nur die Vorteile, sondern vor allem die Nachteile im Fokus: "Wir stellen uns bei so etwas immer die Frage, was passiert, wenn es nicht funktioniert oder welche anderen Bereiche davon betroffen sind. Wenn es keine erkennbaren Nachteile gibt, ist die Lage klar. In anderen Fällen muss man abwägen, ob es das Risiko wert ist und wie man die Nachteile beseitigt."
Unterschiede liegen im Detail
Auf die Forderung einiger Fans, das Reglement einfach komplett zu öffnen, hat der Brite eine klare Antwort: "Wenn es keine Regeln gäbe, wären die Autos unfahrbar. Wir könnten Autos bauen, bei denen die Piloten im Cockpit ohnmächtig würden."
Owen wehrt sich auch gegen die Behauptung, dass die strikten Regeln dazu führen, dass sich die Autos nicht mehr voneinander unterscheiden. "Es stimmt, dass es früher Autos mit sechs Rädern gab, oder dass Luft per Ventilator abgesaugt wurde. Aber auch heute unterscheiden sich die Autos noch voneinander. Das passiert aber in einem Maßstab, den man nicht so einfach erkennen kann, zum Beispiel unter der Haube oder in den Details der Oberflächen."
Umso größer fiel der Hype um das "DAS"-System aus: "Da kann jeder erkennen, dass das Lenkrad plötzlich nicht mehr so bedient wird, wie man es gewohnt ist. Diese Innovationen, die man mit einem Blick erkennen kann und über die die Leute reden können, fehlen heutzutage leider etwas", bedauert Owen.
Der oberste Designer im Weltmeisterteam hofft, dass seinen Kollegen die Ideen auch in Zukunft nicht ausgehen werden: "Es gibt am 2020er Mercedes jede Menge innovative Elemente, aber über die wollen wir natürlich nicht sprechen, weil sie uns einen Vorteil verschaffen. Wir haben aber am "DAS"-System gesehen, wie wichtig es ist, dass es mehr davon gibt. Es bringt dem ganzen Sport Aufmerksamkeit."