Die Bergung der Titänak

Bei der Rallye Mexiko versenkte Ott Tänak seinen Ford Fiesta in einem Stausee. Kein Grund aufzugeben, fand sein M-Sport-Team, barg das Auto und machte es wieder flott.
Der Schreck saß noch Stunden später in den Knochen: "Ich war erstaunt, wie schnell das Wasser stieg", sprach Kapitän Ott Tänak in die Mikrofone. Eine in einem Schlagloch beschädigte Radaufhängung ließ das Ruder nur unwillig reagieren. In einer Linkskurve der Prüfung "Los Mexicanos" lauerte an der Backbordseite der Straße ein Riff – im Rallyesport ein völlig alltäglicher Vorgang.
Ford Fiesta sinkt wie die Titanic
Doch der Kommandeur des unter estnischer Flagge segelnden Ford Fiesta WRC setzte den Kurs einen Tick zu weit links. Das Vorderrad lief auf Grund und versetzte den Bug nach Steuerbord, wo eine stark abfallende Böschung lauerte und an deren Fuß ein See. Kieloben stürzte das Auto in die Fluten, drehte sich wieder auf die richtige Seite und begann wie einst die Titanic mit dem Bug voran schnell zu sinken.
Für Rallyefahrer ist der Abgang in ein Gewässer der absolute Albtraum. Erst im vergangenen November starb beim Asien-Pazifik-Lauf in China ein Fahrer aus Taiwan, der kopfüber in einem Teich in seinen Gurten festhing. Sein Beifahrer konnte den Bewusstlosen nicht befreien. Wie auch bei Tänaks Abgang in Mexiko waren in Longjou keine Rettungstaucher vor Ort.
Auch Kapitän Tänak geriet kurz in Panik: "Mein Helm hing bei der Flucht ins Freie noch am Kabel der Gegensprechanlage fest", sagte der Este. Dabei hatte er beim Aufschlag blitzschnell das Gurtschloss geöffnet und gelangte nach vier Sekunden schon ins Freie. Der wahre Held war der Navigator. Raigo Mölder fischte geistesgegenwärtig noch seinen Aufschrieb aus dem Auto, bevor er sich ins Freie und ans Ufer rettete.
Teamchef Wilson erst besorgt, dann humorvoll
In der Ford.Kommandozentrale herrschte blankes Entsetzen. Das Auto war vom Radar verschwunden, nachfolgende Teilnehmer konnten nichts berichten, wo die Besatzung abgeblieben war. Erst nach einer Viertelstunde erhielt Teamchef Malcolm Wilson Gewissheit, dass ein Teil seiner Flotte gesunken, aber die Besatzung unversehrt war. "Ich bin erst einmal sehr froh, dass beide wohlauf sind", sagte der Engländer und gab gleich darauf eine Kostprobe britischen Humors:
Zur Frage, wie unwiederbringlich das havarierte Wrack wohl sei, konterte der Ordensträger des britischen Empires: "Es kann nicht so schlimm sein, es ist ja nur Süßwasser." "Das war kein schöner Moment. Ein Gefühl totaler Leere. Das Beste wäre, sich gleich wieder ins Auto zu setzen", befand Tänak.
Mancher hielt die Ankündigung für einen Scherz, aber die große Seefahrernation Britannien war wild entschlossen, die "Titänak" flugs zu heben und wieder flott zu machen. Es dauerte zehn Stunden, bis der zweite Durchgang der Prüfung "Los Mexicanos" absolviert war, Taucher das Wrack in sechs Metern Tiefe im Stausee geortet hatten und ein Truck mit Seilwinde das unfreiwillige U-Boot wieder ans Tageslicht beförderte.
Ford Fiesta RS WRC kernsaniert
Zurück im Service-Park stürzte sich das Restaurierungskommando auf den Ford. Die Mechaniker wechselten in einer Nachtschicht den kompletten Antriebsstrang, Getriebe, Auspuff, Turbolader und Kühlsystem. Die Sitze wurden getrocknet, der Motor trockengelegt, dazu Tank und Benzinleitungen getauscht, sowie der gesamte Kabelbaum neu verlegt. Die mitabgesoffenen Smart-Phones der Besatzung legte der Koch des Teams in Reis ein, weil die Hülsenfrüchte sehr gut Wasser ziehen. Die Mechaniker des VW-Teams mochten abends gar nicht ins Hotel, sie schauten bei der Kernsanierung gebannt zu.
Tänak und Mölder blieben während der Restaurierung dabei und halfen sogar mit, das Auto frisch zu bekleben. Zehn Minuten vor Ablauf der dreistündigen Reparaturfrist stand der Fiesta mit der Kennung PX61AYK wieder im Parc Fermé, als wäre nichts geschehen.
Aber Chassis-Nummer 29 blieb beim 30. WM-Einsatz ein Unglücksschiff. Als Tänak und Mölder am Morgen den Motor starten wollten, sprang der Kahn nicht mehr an. Und so hagelte es auch auf der zweiten Etappe reichlich Strafminuten. Die Mechaniker fanden das Übel schließlich in einem defekten Sensor.
Eine Art Happy End gab es am Ende trotzdem. Am finalen Sonntag fuhr der Fiesta wieder. Nicht mit an Bord war auf der letzten Etappe Tänaks Glücksbringer: Wie gewohnt hatte er an der Handbremse ein Plüschtier befestigt – eine kleine Ente. "Sie war nass und schmutzig, das mögen Damen ja nicht so sehr", begründete Tänak die Freistellung seines Talismans. Der M-Sport-Pilot beendete die Rallye Mexiko als 22. mit 1:54 Stunden Rückstand. "Verrückt, dass meine Jungs das geschafft haben. Ich bin stolz auf dieses Team", sagte der sonst eher kühle Balte sichtlich bewegt. Und dabei war er nicht einmal Letzter. Ganz vorn war das estische Duo am Ende in Sachen PR. Unter tosendem Jubel enterten Tänak und Mölder die Zielrampe - mit Taucherbrillen und Schnorchel.