Pikes Peak
Was sind schon Seeadler, Berglöwen oder Klapperschlangen?
Vor 20 Jahren schickte eine Firma aus Ingolstadt die
wildesten
Tiere nach Colorado, die es im Jahr 1987 gab - Walter Röhrl
und den Audi Quattro S1.
Keine Ahnung, wer da kommt. Irgend so’n Typ aus Europa, der dort angeblich eine große Nummer sein soll. Weil diese Leute alle so unaussprechliche Namen haben, hat sich der Streckensprecher einen Spickzettel mit selbst entwickelter Lautschrift machen lassen. "Roarl", hat er da notiert. Diesen Audi Quattro kennt man ja schon aus den letzten Jahren. Vor zwei Jahren knackte doch tatsächlich diese Französin Mouton damit den Streckenrekord, im vergangenen war Bobby Unser noch mal schneller - den kennt man ja wenigstens. Zu 13 Siegen bei 32 Versuchen ist der 52-jährige Amerikaner schon den Pikes Peak hinaufgestürmt. Der wäre einfach irgendeiner von 54 Berg.n, die im US-Bundesstaat Colorado durch die 14.000-Fuß-Decke brechen, würde dort nicht die zweitälteste Motorsport-Veranstaltung der USA stattfinden. Ein Forschungsreisender namens Zebulon Pike hatte den 4.302 Meter hohen Kegel entdeckt und seinen Namen hinterlassen, obwohl er ihn nie bestieg.
Einzige Attraktion am Pikes Peak: Das Rennen zu den Wolken Wer sich einen Elefanten als Haustier hält, der baut auch eine Straße auf einen Berg. Ein Exzentriker, dem im benachbarten Colorado Springs die halbe Stadt gehörte, ließ 1901 eine breite Schotterpiste nach oben walzen. Die höchste Zahnradbahn der Welt wurde gebaut und auch ein Skigebiet eröffnet, das dummerweise mangels Schnee wieder geschlossen werden musste. Um der Straße überhaupt einen Sinn zu geben, wird dort seit 1916 im Juli das "Rennen zu den Wolken" ausgetragen. Die Amis toben seit Jahr und Tag mit umgebauten Stockcars und wild gewordenen, offenen Einsitzern den Berg hoch, bis ihn Audi 1983 entdeckt und zur Demonstrationsfahrt für permanenten Allradantrieb benutzt. Die Anreise eines zweimaligen Rallye-Weltmeisters, der ein paar Jungs in Cowboyhüten mit ihren Bastelbuden verdrischt, wäre ja nicht weiter bemerkenswert gewesen, wenn es da nicht noch Peugeot gegeben hätte. Neue Aufgabe für die brutalen Gruppe-B-Renner Die Franzosen und die Bayern, mit ihren Wahnsinns-Gruppe-B-Geräten nach schweren Unfällen 1986 aus der Rallye-Weltmeisterschaft verbannt, saßen im Jahr danach auf haufenweise toller Technik und einer Menge Zeit. Peugeot hatte aus lauter Langeweile mal eben im Vorbeigehen die Dakar gewonnen. Walter Röhrl quälte sich bei Audi im gleichen Januar bei der Rallye Monte Carlo mit seinem 200er-Dickschiff und 230 Pony- Stärken den 1600 Meter hohen Col de Turini hinauf - um festzustellen, dass die Lancia schon ein Lichtjahr eher dagewesen waren. In der Sportabteilung in Ingolstadt wurde schon am Leichentuch für die Rallyeaktivitäten genäht, da zog man für das Bergrennen am Pikes Peak noch einmal ein fettes weißes Kaninchen aus dem Hut. Der in der Rallye-WM wegen seines Frontmotors und kurzen Radstandes wenig erfolgreiche Quattro S1 hatte schon immer ordentlich Bumms. Nun aber flanschten die Ingenieure einen Turbolader mit noch einmal etwa 15 Prozent mehr Luftdurchsatz an den Krümmer. 620 PS leistete der 2,1-Liter-Fünfzylinder auf dem Prüfstand - das stärkste Rallye-Auto, das die Welt je gesehen hatte. Um der dünnen Luft zu trotzen (Start auf 2.866 Metern, Ziel auf 4.302 Metern Höhe) lag der Ladedruck bei bis zu drei bar. Gegen das miese Ansprechverhalten dieser XXL-Turbine hatte Audi ein Umluftsystem entwickelt, das bei geschlossener Drosselklappe die Ansaugluft über einen Bypass in den Abgastrakt leitete. Mit zusätzlich eingespritztem Benzin entzündete sich das Gemisch im Krümmer und hielt so den Lader auch im Schiebebetrieb auf Touren. Geheimnis des Erfolgs: Viel Power und Abtrieb, wenig Gewicht In der dünnen Höhenluft hätte das Ungeheuer vor Kraft kaum laufen können, also trug das Flossenmonster noch einen zusätzlichen Frontflügel im Schneepflug-Design, während das Heckleitwerk von Zwei- auf Dreimann-Sofa-Breite ausgebaut wurde, um den nötigen Abtrieb zu liefern. Mit herkömmlicher Schotterware hätte der Quattro keine Chance gehabt, Michelin lieferte extra breite Asphaltreifen, in die ein Schotterprofil eingeschnitzt war. Wer bergauf will, braucht nicht nur Kraft und Traktion, sondern auch noch möglichst wenig Gewicht. 1.000 Kilo brachte der S1 auf die Waage. Mangels Lichtmaschine und einer winzigen Silbernitrat-Batterie konnte der Fahrer nicht einmal selbst starten. Statt des schweren Doppelkupplungsgetriebes von Porsche steckte eine gewöhnliche Sechsgangschaltbox hinter dem Motor. Der Überollkäfig war erleichtert, die Querlenker hatten gerade einen Millimeter Wandstärke, an den Radträgern steckten die kleinsten Bremsen, die sich im Teileregal gefunden hatten. Mit diesem Geschoss trat der einsame Audi gegen den Peugeot 205 Turbo 16 an, immerhin der zweimalige Marken-Weltmeister. Seit der Dakar konnten sich die Mannen von Jean Todt voll darauf konzentrieren, Audi die Suppe am Berg ordentlich zu versalzen.