Probleme nur neben der Strecke

Die Formel 1 lebt. Sie verkauft sich nur schlecht. 87 Überholmanöver in Hockenheim, 56 am Hungaroring. Da applaudierte sogar Bernie Ecclestone. Trotz Kritik an der Energiespar-Formel liefert sie spannende Rennen ab. Das hat auch mit den neuen Regeln zu tun. Wir erklären warum.
Am Donnerstag (31.7.2014) wolltensich in London Bernie Ecclestone, Flavio Briatore, Marco Mattiacci, Christian Horner und Bob Fernley von Force India zu einer Krisensitzung treffen. Auch Toto Wolff sollte eigentlich dabei sein. Doch der Mercedes-Teamchef musste den Termin absagen. Erst müssen die Verletzungen nach dem Fahrradunfall auskuriert werden.
Vier Tage nach einem der besten Grand Prix aller Zeiten wollten die F1-Verantwortlichen etwas reformieren, das höchstens Feintuning braucht. Es besteht höchste Gefahr, dass dabei etwas noch Schlechteres herauskommt. Manchmal reicht ein Satz, um den Zustand einer Sache zu beschreiben: "Das Problem der Formel 1 liegt nicht auf der Strecke, sondern außerhalb." Mit anderen Worten: Die Show ist gut. Das Drumherum stimmt nicht. Zu viele Regeln, zu kompliziert, zu wenig Atmosphäre, zu wenig Gegenwert für den Fan vor Ort für zu viel Geld.
Doch warum ist das so? Weil es so viele Besserwisser gibt, die jedem Trend hinterherlaufen, die es in vorauseilendem Gehorsam jedem Recht machen wollen und ohne nachzudenken in den Chor derer einstimmen, die aus ihrer Kritik ein Anliegen in eigener Sache machen wollen. Und weil eine gefräßige Krake nach immer mehr Geld verlangt, das keiner mehr bezahlen kann.
Warum kritisieren Red Bull und Ferrari die neue Formel 1? Weil sie hinterherfahren. Warum findet Mercedes alles toll? Weil sie neun von elf Rennen gewonnen haben. Warum hätte Red Bull am liebsten offene Regeln und Marussia am liebsten eine Einheitsformel? Wie sollen diese Leute jemals über die Zukunft der Formel 1 entscheiden? Unmöglich. Eigene Interessen verstellen den Blick auf die Realität.
Fünf Knüller in elf Rennen
Wer die aktuelle Formel 1 immer noch langweilig findet, sollte sich einen anderen Sport aussuchen. Mit Bahrain, Montreal, Silverstone, Hockenheim und Budapest hat die neue Effizienz-Formel schon fünf Knüller abgeliefert. Die Grand Prix von Spanien, Monaco und Österreich waren sehr guter Durchschnitt. Australien, Malaysia und China lassen wir als verbesserungswürdig durchgehen. Machen Sie mal den Gegencheck mit den ersten elf Rennen der angeblich so goldenen Zeit. 2000, 2004, 2008 oder 2013.
Im Jahr 2000 wurde in 17 Rennen 137 Mal überholt. Macht im Schnitt 8,1 Überholmanöver pro Rennen. 2014 sind wir nach elf Grand Prix schon bei 479 angelangt. Der Durchschnitt beträgt 43,5 Platzwechsel pro Grand Prix. Wer das nur auf DRS zurückführt, hat nicht genau hingeschaut.
Martin Brundle kennt die alte und die neue Formel 1: "Anfangs war ich gegen DRS. Es wurde den Fahrern zu einfach gemacht. Du hast auf den Knopf gedrückt, und vorbei warst du. Im Zusammenspiel mit den neuen Motoren funktioniert DRS anders. Es hilft dir, auf gleiche Höhe zu kommen, aber abschließen musst du den Überholvorgang selbst. Er ist wieder etwas wert."
Technik-Formel sorgt für gute Formel 1-Show
Tatsächlich liegt das Geheimnis der neuen Formel 1 darin, dass alle Kräfte in Balance sind. Es wäre zu viel der Ehre für die Regelhüter, wenn man behauptet, das war so gewollt. Es ist vermutlich eher zufällig entstanden. Deshalb wäre es fatal, jetzt daran wieder etwas korrigieren zu wollen.
DRS, wenig Abtrieb, heikle Reifen, ERS statt KERS und das Spritlimit schaffen im Rennen Unterschiede, die in Summe zum Überholen einladen. Das Duell zwischen Fernando Alonso und Daniel Ricciardo in Hockenheim hat gezeigt: Wer überholt wurde, ist nicht verloren. Er hat die Chance, in der nächsten Kurve zurück zu fighten.
Die Gründe liegen auf der Hand. Wenig Abtrieb in Verbindung mit harten Reifen erhöht die Fehlerquote. Deshalb haben wir in diesem Jahr viel mehr Unfälle und Ausrutscher. Der Hintermann kann von Fehlern profitieren. Also Zustände wie vor 30 Jahren.
Die Fahrer würden zwar lieber wie auf Schienen fahren und in jeder Runde absolut Vollgas, doch das darf in diesem Zusammenhang keinen interessieren. Wenn alle auf Schienen fahren, überholt auch keiner. Dann hilft es der Show auch nichts, wenn die entsprechende Kurve 20 km/h schneller geht. Wer mehr Speed will, muss das Gewichtslimit senken. Die 50 Extra-Kilo sind in diesem Jahr der größte Killer.
ERS funktioniert anders als KERS. In den letzten Jahren war die extra Power berechenbar. 6,7 Sekunden pro Runde. Sie wurde im Zweikampf dort genutzt, wo überholt werden kann. In den meisten Fällen vom Angreifer und vom Verteidiger. Also Gleichstand. ERS erlaubt ein breiteres Spektrum. Je nach Ladezustand der Batterie kann man an mehreren Stellen boosten, muss dann aber an genauso vielen Stellen wieder büßen.
Es ist schwer auszurechnen, wer gerade wie viel Elektrosaft in der Hinterhand hat, und wo der andere gerade verwundbar ist. Das hängt auch davon ab, wie gut die MGU-H mitarbeitet und mit welcher Strategie sie betrieben wird.
Am Hungaroring war es wichtig in Sektor 2 das Turboloch zu füllen. Wer da trotzdem etwas für die Batterie abknapsen konnte, hatte auf der zweiten Hälfte der Zielgeraden Reserven, die Power der heißen Elektromaschine nicht nur zum Laden der Batterie zu verwenden, sondern direkt in die MGU-K einzuspeisen. Das sind die Extra-PS, die es quasi obendrauf umsonst gibt.
Spritsparen kein Problem des Reglements
Auch das Spritlimit hat seine guten Seiten. In zwei Jahren wird keiner mehr davon reden. Wenn Red Bull und Ferrari sich jetzt beschweren, dass ihre Fahrer in Hockenheim bis zu 300 Meter vor den Kurven vom Gas gehen mussten, um Benzin zu sparen, dann sei ihnen gesagt: Williams betrieb dort kein einziges Mal "lift and coast". Was nicht nur am Mercedes-Motor liegt. Force India hat uns verraten, dass man trotz Mercedes-Power im Heck beim GP Deutschland sechs Prozent Benzin sparen musste.
Es liegt also auch am Auto. Effizienz wird belohnt. Die Autos müssen wenig Lufwiderstand aufweisen. Das spart Sprit und ist gut für die Top-Speeds. Williams schafft es, auch noch gut um die Kurven zu fahren. Wenn Ferrari und Red Bull mit dieser Anpassung nicht klarkommen, ist das kein Problem des Reglements, sondern ein Problem von Ferrari und Red Bull.
Das Verbrauchslimit eröffnet den Regelhütern sogar eine einmalige Chance. Sie könnten endlich von ihren viel zu komplizierten Aerodynamikregeln abrücken. Es würde ausreichen, dass das Auto in eine Kiste passen muss und die Unterseite des Fahrzeugs definiert wird. Zum Beispiel flacher Unterboden zwischen den Achsen, sonst keine Fläche unter dem Auto höher als 30 Zentimeter über Grund. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, einen Heckflügel mit zehn Elementen zu bauen. Das wäre viel zu ineffizient.
Die Drahtzieher der Formel 1 sollten deshalb erst einmal analysieren, warum ein gutes Produkt immer nur schlecht geredet wird. Deshalb kann der Aufruf an die Reformer in London nur lauten. Erst überlegen, dann handeln. In der Formel 1 ging es bislang meistens anders herum.