„Wir arbeiten mit drei Teams“

Red Bull will Mercedes die WM-Titel streitig machen. Dafür unternehmen die Ingenieure große Anstrengungen – trotz der Mammutaufgabe 2021. Motorenpartner Honda hat den V6-Turbo stärker und zuverlässiger gemacht. Dazu gibt es einen Party-Modus.
Über den Winter igeln sich die Teams in ihren Fabriken ein. Urlaub gibt es für die Fahrer, nicht aber für die Ingenieure. Die müssen sich – mit Ausnahme der Weihnachtstage – in den Wintermonaten praktisch Tag und Nacht um die neuen Autos kümmern. In die Öffentlichkeit dringt darüber wenig bis gar nichts. Die Nachrichtenlage ist dünn. Mitten in diese Zeit verkündete Red Bull seinen großen Coup: Max Verstappen verlängerte seinen Vertrag bis 2023. Überraschend frühzeitig.
Damit sicherte sich Red Bull langfristig die Dienste des Fahrers, den viele als den Weltmeister der Zukunft sehen. „Das ist beruhigend für uns, sorgt für Stabilität und Motivation in der ganzen Mannschaft. Und der Fahrer kann sich auf das konzentrieren, was er machen soll: Auto fahren“, fasst Sportchef Helmut Marko zusammen. Verstappen ist ein achtmaliger Grand-Prix-Sieger. Das heißt: Red Bull hat einen Siegfahrer mit Weltmeister-Potential im Auto. Sollte es keine Erfolge geben, wird es nicht am Mann im Cockpit liegen.
Immense Weiterentwicklung bei Red Bull
Drei Siege erzielte der 22-Jährige im Vorjahr. In einem Red Bull, der erst gegen Saisonmitte so richtig erstarkte und Mercedes ein ums andere Mal bezwingen konnte. Im Rennen und sogar in der Qualifikation. Doch so ganz bekam der Rennstall aus Milton Keynes seine Probleme nie gelöst. Dem RB15 mangelte es an Konstanz. Das Auto war zum Beispiel zu anfällig auf Wind und Temperaturschwankungen.
Es war das Ziel der Ingenieure, den Nachfolger auf eine stabilere Aerodynamik-Plattform zu stellen. Nase, Leitbleche, Seitenkästen, Motorabdeckung und Heckflügel wurden grundlegend überarbeitet. Große Umbauten gab es vor allem auf der mechanischen Seite. Die Ingenieure investierten viel Zeit und Hirnschmalz in die Geometrie und Anlenkpunkte der Aufhängungen. Marko spricht deshalb nicht von einer gewöhnlichen Evolution, sondern von einer „immensen Weiterentwicklung“.
Dieses Jahr soll es wieder klappen mit dem Großangriff auf den WM-Titel. Seit 2013 lechzt Red Bull nach den großen Pokalen. Damit man um beide Titel, für Fahrer und Team, mitfahren kann, muss nicht nur das Auto besser werden, sondern auch der zweite Mann, Alexander Albon, zulegen.
Hondas stärkerer Party-Modus
Motorenpartner Honda verspricht mehr Leistung und eine bessere Zuverlässigkeit. Marko glaubt, dass Red Bull in der kommenden Saison ohne Startplatzstrafen über die – nach aktuellem Stand – 21 Rennen kommen wird.
Im Vorjahr bezifferten die Ingenieure den Leistungsnachteil gegenüber Ferrari in der Qualifikation auf 15 Kilowatt. Das entspricht 20 PS. Mit Mercedes sah man sich bereits auf Augenhöhe. Das Defizit gegenüber dem Klassenprimus auf der Motorenseite soll 2020 der Vergangenheit angehören. „Wir hoffen, dass wir motorisch gleichziehen“, sagt Marko. Dafür hat Honda investiert. Außerdem glaubt man bei den anderen Top-Teams, dass Ferrari mit der Einführung eines zweiten Sensors, der die Durchflussmenge überwacht, ohnehin geerdet wird.
Um Red Bulls Mission zu unterstützen, hat Honda am Party-Modus für die Qualifikation gearbeitet. „Wir sollten einen Qualifying-Modus haben, der als solcher auch spürbar wird.“ Und mit diesem Leistungsplus für die eine schnelle Runde soll Verstappen mehr Pole-Positions erzielen als die zwei im Vorjahr.
RB16 früh dran
Diese Überpünktlichkeit kannte man von Red Bull in den letzten Jahren nicht. Eigentlich ist das Team um Stardesigner Adrian Newey dafür bekannt, das neue Auto erst auf den letzten Drücker zusammenzusetzen, um jede Stunde in die Entwicklung zu stecken. Dieses Mal verschickte Red Bull eine Woche vor dem Teststart die ersten Studiobilder. Und der RB16 spulte auf einem verkürzten Kurs in Silverstone bereits seine ersten 100 Kilometer ab.
Mit dieser Basis startet Red Bull in die ersten drei Tage der ersten Testwoche. In Woche zwei sollen bereits die ersten Upgrades kommen. Bis zum Saisonstart in Melbourne soll der RB16 nichts mehr mit dem Testauto zu tun haben. „Die Lackierung bleibt gleich“, scherzt Marko. Das ist gleichzeitig eine Kampfansage an die Konkurrenz.
Red Bull hat sich bei der Entwicklung auch die Konkurrenzprodukte angeschaut. Und gewisse Teile abgeschaut und für sich adaptiert. Zum Beispiel die löchrige Nase, die Force India 2015 zuerst hatte. Red Bull behalf sich 2019 mit einem zentralen Schnorchel und führt die Idee in dieser Saison mit weiteren Kanälen ins Extreme. Ziel ist es, dem Auftriebseffekt des genormten Frontmittelteils entgegenzuwirken und möglichst viel Luft unter das Auto zu bekommen, um den Diffusor zu füttern. „Die Nase ist neben dem Frontflügel der wichtigste Teil des Autos“, sagt Marko. Sie bestimmen, wie der Luftstrom ums Auto nach hinten gelenkt wird.
Der Kapuzenflügel unter der Nase war eine Idee von Mercedes. Die Zacken auf dem Unterboden und die doppelte Heckflügelstütze kommen von Ferrari. „Teilweise wird das Wort Kopie verwendet“, sagt Marko mit einem süffisanten Lächeln, um direkt auf die Vorwürfe einzugehen. „Warum soll man nicht etwas verwenden und verbessern, was sich bei anderen bewährt hat?“
Parallelentwicklung 2020 und 2021
Die große Attacke ist vorbereitet. Jetzt muss der RB16 auf der Strecke liefern. Parallel bereitet sich Red Bull auf die Regelrevolution 2021 vor. Dafür wurde das Budget erhöht. „Die Anhebung hält sich im Rahmen. Wir sind sehr gut von der Strukturordnung eingeteilt. Wenn das Budget Cap nicht gekommen wäre, hätten wir sicher anders budgetiert. Dadurch, dass es kommt, haut man jetzt alles rein, was man hat“, erklärt Marko. Ab 2021 dürfen die Formel-1-Teams nicht mehr unbegrenzt Geld ausgeben. Die Obergrenze beträgt 175 Millionen US-Dollar. Mit Ausnahmen werden die Top-Teams trotzdem auf über 200 Millionen kommen, was dennoch ein großer Einschnitt für sie ist.
Red Bull hat für die kurz- und langfristigen Aufgaben drei Arbeitsgruppen aufgesetzt. „Wir arbeiten mit drei Teams. Eins kümmert sich um das aktuelle Auto, das andere um 2021. Das dritte widmet sich den 18-Zoll-Reifen.“ Weil Pirelli 2021 auf 18-Zoll-Reifen umstellt, müssen alle Teams in diesem Jahr mit Spezialautos individuell für den italienischen Reifenlieferanten testen.