Rennanalyse GP Italien 2019
Nach dem Rennen in Monza wurde vor allem über die robuste Verteidigung von Charles Leclerc gegen Lewis Hamilton diskutiert. Wir erklären in der Analyse, warum die FIA-Stewards auf eine Strafe verzichteten.
Verteidigte sich Leclerc mit fairen Mitteln?
Als Lewis Hamilton nach dem Boxenstopp mit Medium-Reifen in der Curva Grande zur Attacke gegen den hart-bereiften Charles Leclerc blies, hielten die Fans den Atem an. Der Mercedes zog außen längsseits zum Ferrari, wurde in der Bremsphase aber robust auf die Randsteine gedrückt. Hamilton konnte durch ein Ausweichmanöver in den Notausgang gerade noch den Unfall vermeiden.
Die Situation ähnelte dem Zweikampf zwischen Valtteri Bottas und Max Verstappen vor einem Jahr ebenfalls in Monza. Damals ließ der Red Bull-Pilot seinem Widersacher am Ende der langen Geraden keinen Platz und kassierte dafür eine Fünf-Sekunden-Strafe. Dieses Mal kam Leclerc mit einer Verwarnung davon, als er bei der Anfahrt zur Roggia-Schikane Hamilton den Weg abschnitt.
Der Weltmeister konnte das Urteil nicht akzeptieren: „Das einzige, was ich will, sind konstante Entscheidungen. Ich weiß auch nicht, warum das Urteil dieses Mal anders ausgefallen ist. Vielleicht sind die Stewards heute mit dem falschen Fuß aufgestanden.“
FIA-Rennleiter Michael Masi hatte jedoch die Erklärung parat: „ Letztes Jahr kam es zur Kollision der beiden Fahrer – dieses Mal nicht. Außerdem hatten wir in Bahrain eine Diskussion mit den Piloten, bei der es darum ging, sie härter kämpfen zu lassen. Und in Spa haben wir entschieden, die schwarz-weiße Flagge für unsportliches Verhalten einzuführen. Dort hat sie Pierre Gasly für ein ähnliches Manöver gesehen.“
Leclerc führte an, dass sich Verstappen in Spielberg im Kampf um den Sieg ebenfalls aggressiv durchgesetzt habe. Damals war er der Leidtragende, der neben die Strecke gedrängt wurde. „Ich habe seitdem meine Einstellung geändert und das hat mir heute dabei geholfen zu gewinnen. Das Manöver war natürlich nah am Limit. Aber mir gefällt es so zu kämpfen.“
Hamilton kündigte an, die Aktion noch einmal im persönlichen Gespräch mit Leclerc zu diskutieren: „Ich will ihn fragen, ob es für ihn auch mit vertauschten Rollen okay gewesen wäre. Wenn dem so ist, werde ich meine Fahrweise künftig daran anpassen.“ Der fünffache Weltmeister fügte an, dass er wohl nicht zurückgesteckt hätte, wäre es für ihn nicht um wichtige Punkte im Kampf um den WM-Titel gegangen: „Dann hätte es gekracht.“
Mercedes-Teamchef Toto Wolff zeigte Verständnis für die Situation der FIA-Kommissare: „Ich habe schon selbst genug Probleme, die ich lösen muss. Ich möchte nicht noch die Probleme von Michael Masi haben. Für mich war das harter Rennsport – vielleicht etwas über dem Limit. Aber was will man machen: Einem Ferrari in Monza eine Fünf-Sekunden-Strafe zu geben, ist keine Option. Da bräuchte man hinterher eine Polizei-Eskorte um die Strecke zu verlassen.“
Warum setzte Ferrari Leclerc auf die harten Reifen?
Leclerc geriet nach seinem Boxenstopp nur unter Druck, weil ihm die Ferrari-Strategen beim Reifenwechsel harte Reifen aufschnallen ließen. Die sind auf der Strecke in Monza mit den wenigen schnellen Kurven aber nur schwer auf Temperatur zu bringen. Entsprechend schnell schloss Hamilton auf, als der Ferrari in Runde 20 die Boxengasse verließ.
Laut Ferrari-Teamchef Mattia Binotto war es aber die richtige Entscheidung: „Wir wollten das Rennen gewinnen und brauchten Reifen, die auch im Schlussspurt noch durchhalten. Das hat funktioniert. Die Pace war bis zum Ende gut. Als Mercedes auf die Medium-Reifen ging, wussten wir, dass es direkt nach dem Stopp schwierig wird. Es war eine mutige Entscheidung. Sie war am Ende aber der Schlüssel zum Sieg.“
Mercedes konnte die Taktik der Konkurrenz nicht ganz nachvollziehen. Neben dem angesprochenen Aufwärmproblem war der Medium-Reifen am Silberpfeil konstant zwei Zehntel schneller. Eigentlich hatte man erwartet, dass Bottas mit den sieben Runden frischeren Reifen am Ende einen Angriff starten kann. „Der Ferrari war unglaublich schnell auf der Geraden“, klagte der Finne. „Und immer wenn ich mal nah dran war, habe ich in den Turbulenzen Untersteuern bekommen.“
Leclerc hatte bei seiner Verteidigung auch technische Unterstützung. Die neueste Entwicklungsstufe des Ferrari-Motors verschaffte ihm einen Top-Speed-Vorteil. Und in brenzligen Situationen konnte der Monegasse stets noch ein paar Kohlen nachlegen: „Immer wenn Lewis im DRS-Bereich lag, habe ich mit einem schärferen Motor-Modus reagiert“, grinste der Sieger.
Warum kassierten Vettel und Stroll unterschiedliche Strafen?
Bei Ferrari lagen Freud und Leid beim Heimspiel nah beieinander. Während Leclerc auf dem spektakulären Monza.Podium von der obersten Stufe jubelte, verpasste Sebastian Vettel komplett die Punkte. Entscheidend dafür war die siebte Runde, als das Auto mit der Startnummer fünf plötzlich in der Ascari-Schikane in der Wiese parkte. „Ich habe einfach das Heck verloren. Ich war überrascht, wie schnell es herumgekommen war und konnte es nicht mehr einfangen“ , analysierte der Pilot die Szene nüchtern.
Der Dreher war aber nur der Anfang allen Übels. Beim Versuch wieder auf die Strecke zu fahren touchierte Vettel den Racing Point von Lance Stroll, wodurch auch noch sein Frontflügel zu Bruch ging. Und dann setzte es von den FIA-Kommissaren auch noch eine 10-Sekunden Stop-&-Go-Strafe obendrauf, die Vettel am Ende ganz aus den Punkten warf. Stroll seinerseits zwang bei seiner Rückkehr auf die Strecke den Toro Rosso von Pierre Gasly zum Ausweichmanöver durchs Kiesbett. Hier beließen es die Stewards aber bei einer normalen Durchfahrtstrafe ohne Standzeit.
Rennleiter Masi erklärte die Urteilsfindung: „Bei Sebastian setzte sich die Strafe aus zwei Teilen zusammen: Einmal für die gefährliche Rückkehr auf die Strecke und dann noch für die Kollision. Bei der Szene mit Stroll und Gasly handelte es sich nur um die gefährliche Rückkehr auf die Strecke. Deshalb fiel die Strafe etwas milder aus.“ Beide Piloten fügten als Entschuldigung an, dass sie durch die hohen seitlichen Cockpitwände die heranfahrenden Autos nicht sehen konnten. Für Masi gilt diese Ausrede nicht. „Wenn es Zweifel gibt, müssen sie einfach mehr aufpassen.“
Warum startete Kimi Räikkönen auf den falschen Reifen?
Auch Kimi Räikkönen beschäftigte in Monza die Stewards. Der Finne kassierte wie Vettel eine Zehn-Sekunden Stop-&-Go-Strafe. Hier lag der Fall aber einfach. Alfa Romeo hatte nicht bedacht, dass der Iceman am Q3 teilgenommen hatte und den Regeln entsprechend auf seinen gebrauchten Reifen aus dem Q2 starten musste. Der Motorwechsel und der daraus resultierende Boxengassen-Start änderten daran nichts.
Alfa-Teammanager Beat Zehnder, der sich normalerweise in Regelfragen auskennt wie kein Zweiter im Fahrerlager, suchte nicht lange nach Ausreden: „In der internen Besprechung haben wir über den Motorenwechsel und den Start aus der Boxengasse diskutiert. Als Faktor wurde auch angemerkt, dass wir damit frische Reifen aufziehen können. Ich habe in dem Moment einfach nicht geschaltet. Das ist mein erster größerer Fehler in 25 Jahren bei Sauber.“ Zehnders Pilot wird es verkraften können. Ohne die Strafe wäre Räikkönen auch nur auf Platz 13 außerhalb der Punkte gelandet.
In der Galerie zeigen wir Ihnen noch einmal die Bilder des Rennens.