Der Kampf um den dritten WM-Platz
In Barcelona war McLaren die vierte Kraft im Feld. Noch ist Racing Point voraus. In der Qualifikation mehr als im Rennen. McLaren will den Rennstall aus Silverstone über die Entwicklung einholen. Es könnte gelingen, da Racing Point mit nur einem Upgrade plant.
Die Schwachstellen sind identifiziert. McLaren ist mit dem MCL35 ein guter Fortschritt gelungen. Doch langsame Kurven und Hitze sind nicht nach dem Geschmack der papayagelben Autos. Deshalb rechnete Teamchef Andreas Seidl mit einem eher schwierigen sechsten Rennwochenende.
Der Circuit de Barcelona-Catalunya hat gleich sechs Kurven, die mit einem Formel 1-Auto als langsam angesehen werden. Das sind die Kurven 5, 10, 12, 13 und die Zielschikane. In diesen Passagen erzielen die Autos Geschwindigkeiten zwischen 80 und 150 km/h. Und genau dort schwächelt der McLaren. Das Territorium des MCL35 sind vielmehr schnelle Kurven. Und davon gibt es in Barcelona eigentlich nur zwei. Bei Renault verhält es sich zum Beispiel umgekehrt: besser in langsamen als in schnellen Ecken.
Temperatur-Problem behoben
McLaren zweifelte sogar daran, beide Autos ins Q3 zu bringen. Doch es funktionierte. Carlos Sainz und Lando Norris parkten in der vierten Startreihe. Auch die Sorgen vor der Hitze und dem Reifenverschleiß verflogen. Der McLaren ging mit den Pirellis schonender um als zuletzt in Silverstone. Das Temperatur-Problem im Auto von Sainz wurde mit einem Motorwechsel behoben. Der alte Renault-Sechszylinder war zu heiß gelaufen. Deshalb musste am Auto mit der Startnummer 55 die Verkleidung mehr geöffnet werden. Das kostet Abtrieb.
Der Austausch wurde deshalb um ein Rennen vorgezogen. Genau wie der Chassiswechsel, der eigentlich für Belgien eingeplant war. Doch McLaren wollte ausschließen, dass die Temperaturunterschiede von bis zu drei Grad zwischen den beiden Autos mit dem Monocoque und den angeschlossenen Kühlern zu tun hat. Man verfuhr nach dem Ausschlussprinzip, bis nur noch der Motor übrigblieb.
Der Unterschied zwischen Sainz und Norris im Rennen ist schnell erklärt. Der eine wurde Sechster, der andere Zehnter. Der Spanier erwischte auf seiner Heimstrecke einen Windschatten auf den ersten 612 Metern, hielt sich auf Platz sieben und rückte später auf, weil Alexander Albon die Reifen zu stark verschliss. "Lando erwischte keinen Windschatten und fiel zurück. Nach dem Start war sein Rennen eigentlich gelaufen", erklärte der Teamchef. Norris fiel in der Startrunde hinter Pierre Gasly im Alpha Tauri und Charles Leclerc im Ferrari zurück.
Racing Point leicht schneller
In Barcelona muss man schon eineinhalb Sekunden schneller sein, um den Vordermann überholen zu können. Ein Ding der Unmöglichkeit im Mittelfeld, vor allem, wenn man ungefähr zur selben Zeit stoppt. "Lando steckte die meiste Zeit im Verkehr. Als er mal freie Fahrt hatte, hat man das Potential gesehen." Sainz hingegen hatte endlich mal ein pannenfreies Rennen – ohne langsamen Boxenstopp. "Dieses Mal waren alle vier Stopps von uns gut", stellte Seidl zufrieden fest. Der Lohn war der sechste Platz. Es hätte sogar mehr sein können. Auf Sergio Perez fehlten nach dessen Zeitstrafe nur 1,5 Sekunden.
2,5 Sekunden verlor Sainz, als er in der 62. Runde von Max Verstappen überrundet wurde. Trotzdem war McLaren mit der Ausbeute von neun WM-Punkten zufrieden. Man zog wieder an Ferrari vorbei, fiel in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft aber hinter Racing Point zurück. Die drei Teams trennen nach sechs Rennen zwei Punkte. Seidl weiß, dass vor allem die pinken Autos momentan einen Tick schneller sind. "Sie hatten hier das dritt-, wir das viertschnellste Auto. Wir müssen ehrlich sein. Wenn Racing Point sein Potential abruft, haben sie das schnellere Paket", urteilt Seidl. "Wir haben aber den zweiten Red Bull, Ferrari, Renault und Alpha Tauri hinter uns gelassen."
Mit Ferrari lieferte sich McLaren einen heißen Kampf. In der Qualifikation war man ein halbes Zehntel schneller. Doch der SF1000 ist im Renntrimm besser als im Zeittraining. Da hemmt der Motor mehr als über die Distanz. Ferrari sah sich bis zum Blackout einer Steuerbox mit Charles Leclerc, der eine Einstoppstrategie verfolgte, auf dem Weg zu Platz vier. Also vor McLaren und sogar vor Racing Point. Wenn das rote Auto etwas wirklich gut kann, dann offenbar die Reifen zu streicheln. Sebastian Vettel ließ von Startplatz elf immerhin den McLaren von Norris hinter sich. Es war das Ergebnis einer Einstoppstrategie mit 36 Runden auf der weichen Mischung.
Renault war in Barcelona ein Zehntel zu langsam. Schon verschwanden die gelbschwarzen Autos auf den Startpositionen 13 und 15. Das war der Todesstoß für das Rennen. Das Mittelfeld ist so dicht zusammen, dass Millisekunden entscheiden.
Updates pro McLaren?
Selbst Racing Point ist nicht außer Reichweite. In der Qualifikation waren die pinken Autos eine halbe Sekunde schneller als McLaren. Doch hätte Sainz seine Q2-Zeit im dritten Quali-Teil reproduziert, es wären nur noch drei Zehntelsekunden gewesen. Da fuhr der Spanier eine Rundenzeit von 1:16.876 Minuten. Im Rennen sah Sainz die Zielflagge nur 4,3 Sekunden hinter Lance Stroll. Bis zum ersten Boxenstopp lag er sechs Sekunden zurück. In den folgenden 43 Runden herrschte zwischen dem Kanadier und dem Spanier praktisch Gleichstand. Ein direktes Duell verlor McLaren auf der Strecke. In Runde 30 ging Perez mit dem Vorteil frischer Reifen an Sainz vorbei. Nur mit einem Reifendelta kann man in Barcelona ähnlich schnelle Autos überholen.
Auf die Distanz war McLaren fast so schnell wie Racing Point. Die Strategie war vermutlich etwas besser. Zweimal Softreifen und hinten heraus der Medium. Die mittelharte Mischung war im letzten Rennteil besser als der weiche Reifen, der bis dahin die schnellere Option gewesen war. Was vermutlich mit fallenden Streckentemperaturen zusammenhing. Mercedes stellte es beim Vergleich zwischen Lewis Hamilton, der das Rennen auf dem Medium beendete, und Valtteri Bottas, der bis drei Runden vor Schluss den Soft fuhr, fest.
"Für uns war Soft-Soft-Medium die beste Lösung", erklärt Seidl. "Wir wollten über die Reifen einen Unterschied zur Konkurrenz herstellen, um wenigstens eine kleine Überholchance zu haben." Der McLaren MCL35 war in Barcelona ein ausgeglichenes Auto. Oder anders: ein effizientes. Sehr gut bei der Höchstgeschwindigkeit, beständig über die Sektoren. Im ersten Sektor ein halbes Zehntel hinter Racing Point, im zweiten Abschnitt zwei Zehntel, hinten heraus eines. Daran erkennt man: Im direkten Vergleich fehlt ein wenig Abtrieb.
Den will McLaren mit weiteren Updates dazugewinnen. Es ist der Plan, den MCL35 kontinuierlich über das Jahr weiterzuentwickeln. Racing Point dagegen plant nur mit einem Upgrade. Das ist der Corona-Krise und den Regeländerungen für 2021 mit einem neuen Unterboden geschuldet. Der Rennstall aus Silverstone stürzt sich früh im Windkanal auf die neue Aufgabe. Deshalb rechnet Teamchef Otmar Szafnauer damit, dass Racing Point früher oder später überholt werden wird. "Unser einziges Upgrade ist wahrscheinlich für Monza fertig. Wenn die anderen ständig weiterentwickeln, werden sie immer näherkommen und auf manchen Strecken schneller sein. Damit werden wir leben müssen. Wir schauen schon stark auf 2021. Das ist ein Gegengeschäft, mit dem wir leben müssen."