Poker mit schlechten Karten
Toto Wolff und Lewis Hamilton lassen sich mit ihrer Vertragsverlängerung bei Mercedes Zeit. Die beiden sind nicht etwa amtsmüde. Sie pokern um die bestmöglichen Bedingungen. Dummerweise ist das Timing schlecht, meint Michael Schmidt.
Es ist November, Mercedes ist zum siebten Mal Konstrukteurs-Weltmeister, Lewis Hamilton kann seinen siebten Titel schon greifen, und die beiden wichtigsten Angestellten der Meistermannschaft haben noch keinen Vertrag für die kommende Saison. Keine Panik, wehrt Teamchef Toto Wolff ab, er und Lewis Hamilton werden sich zusammensetzen, wenn auch der Fahrer-Titel unter Dach und Fach ist. So weit, so gut.
Doch Wolff und Hamilton sagten noch mehr nach dem Sieg beim Grand Prix der Emilia-Romagna in Imola. Wolff sprach von der Suche nach einem Nachfolger, nicht für gleich, aber so in zwei, drei Jahren könne das schon ein Thema werden, weil der Stress irgendwann seinen Tribut fordere. Und dann müsse man schauen, in welcher Rolle er bei Mercedes weitermacht. Als Aufsichtsrat wie einst Niki Lauda oder als Berater daheim von der Couch. Sicher ist nur, dass er weiter Anteile an diesem Team halten werde.
Keine Zeit für mehr Geld
Hamilton würde gerne weiterfahren, beteuert er auf eine Art und Weise, als müsste er darum bitten. Es sei aber nichts im Leben garantiert, nicht einmal, dass er nächstes Jahr noch Formel 1-Fahrer ist, wirft er in die Runde. Schließlich gebe es auch noch ein anderes Leben und andere Interessen, und vielleicht wache er eines Morgens mit dem Gefühl auf, dass er etwas anderes tun müsse. So wie einst Niki Lauda 1979 in Montreal.
Äußerungen dieser Art sorgen in der heutigen Medienlandschaft schnell für unreflektierte Schlagzeilen, und das Internet multipliziert solche Aufgeregtheiten auch noch. Da steht dann Hamilton schon kurz vor dem Rücktritt. Viele haben schon wieder vergessen, dass uns Hamilton vor einem Jahr erzählt hat, dass er am liebsten noch fünf Jahre fahren würde und sich auf die neuen Autos ab 2022 freut, weil er da zusammen mit Mercedes noch einmal etwas aufbauen könnte. Vielleicht hat er es ja auch selbst vergessen.
Tatsache ist, dass beide noch keinen Vertrag haben, auch wenn der Stift zur Unterschrift schon bereit liegt. Tatsache ist auch, dass Mercedes keine Alternativen hat. Und Tatsache ist, dass keine Firma in diesen Zeiten mehr mit ihrem Geld um sich werfen kann. Wer jetzt einen guten Preis erzielen will, hat vom Timing her Pech gehabt. Hamilton hat mit seiner Verzögerungstaktik gehofft, dass die Corona-Krise bis zum Jahresende verschwinden werde, doch jetzt ist sie mit einer zweiten Welle zurückgeschwappt. Dumm gelaufen.
Das Beispiel Ayrton Senna
Es geht gar nicht darum, ob sich Mercedes einen Hamilton leisten kann. Der 93-fache GP-Sieger ist sein Geld wert. Es geht um das Signal, das Mercedes aussendet, wenn man seinem Starpiloten weiter 40 Millionen Dollar oder noch mehr zahlt. In einer Zeit, wo alle zurückstecken müssen, ist es unklug, mehr zu fordern. Dass Wolff und Hamilton so kurz vor Torschluss so offensiv Zweifel streuen, ist ganz offensichtlich ein letztes Ass, das sie aus dem Ärmel schütteln wollen. Hier soll noch einmal der Druck auf die Entscheidungsträger erhöht werden.
Hamilton verkauft sich gerne als großer Senna-Fan. Sein Vorbild stand 1993 vor dem gleichen Problem. Eine Finanzkrise drückte die Preise. Ayrton Senna diktierte mir damals in den Block: "Ich akzeptiere, dass ich wegen der Umstände etwas kürzer treten muss. Aber Ron [Dennis] will mein Gehalt auf ein Viertel kürzen. Da mache ich nicht mit."
Ayrton Senna war bereit, sich von 20 auf 16 Millionen Dollar runterhandeln zu lasen. Dennis bot fünf Millionen. Da sagte ihm Senna, dass er nur von Rennen zu Rennen fährt, eine Million pro Grand Prix. Er zog das Spiel eiskalt durch, reiste erst an, als das Geld auch auf der Bank war. Dennis zahlte zähneknirschend alle 16 Grand Prix. Aber auch Senna sprang über seinen eigenen Schatten.