Schmidts F1-Blog zu Vettel vs. Leclerc
Ferrari erlebte in Interlagos den größten anzunehmenden Unfall. Doppelausfall durch Kollision der eigenen Fahrer. Die einzige Möglichkeit so ein Szenario zu verhindern, wäre Stallregie. Aber das wollen wir auch nicht, meint Michael Schmidt.
Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen. Mit diesem Sprichwort ließe sich die Situation bei Ferrari am besten beschreiben. Ein Team sieht immer dann besonders dumm aus, wenn die Piloten sich gegenseitig ins Auto fahren. Die Kollision zwischen Sebastian Vettel und Charles Leclerc war nicht die erste dieser Art, und sie wird nicht die letzte sein. Mercedes hat das ein paar Mal mit Lewis Hamilton und Nico Rosberg erlebt.
Ich glaube, dass die Aufregung um den teaminternen Crash größer war als sie es verdient hat. Es war nicht die klassische Kollision, wo der eine dem anderen die Tür zuschmeißt oder irgendein Wahnsinnsmanöver startet, das nie gutgehen kann. Es war ein minimaler Streifschuss auf der Gerade mit großen Folgen.
Ferrari hätte so etwas nur verhindern können, wenn sie den Piloten von vornherein verboten hätten, gegeneinander zu fahren. Doch was hätte es erst für ein Geschrei gegeben, wenn die Renningenieure die Fahrer angewiesen hätten: „Hold position!“
Zweikampf unter unglücklichen Umständen
Die Ausgangssituation war schon deshalb so heikel, weil Sebastian Vettel zum Zeitpunkt der Kollision in Runde 66 mit gebrauchten Soft-Reifen unterwegs war, die schon 17 Rennrunden abgespult hatten. Leclercs Soft-Gummis waren neu, und sie waren erst zwölf Runden am Auto. Mehr Grip bedeutet späteres Bremsen.
Das Unheil begann damit, dass sich der vierfache Weltmeister beim Re-Start von Alexander Albon austricksen ließ und in der Folge nicht mehr an dem Red Bull vorbeikam. So fiel er in die Hände von Leclerc. Die Schuldfrage ist in diesem Fall schwer zu deuten. Die Sportkommissare kamen zu dem Schluss, dass beide gleich viel Schuld auf sich geladen hatten. Beide hätten den Zusammenstoß verhindern oder mildern können.
So sehe ich es auch. Leclercs Fehler war es, die Außenspur freizugeben. So konnte Vettel den Schwung aus Kurve 3 und den DRS-Effekt voll mitnehmen, was dazu führte, dass der Ferrari mit der Startnummer 5 rasend schnell am Schwesterauto vorbeiflog. So schnell, dass Vettel offensichtlich glaubte, er wäre schon ganz vorbei. Der Zusammenstoß zwischen rechtem Vorderrad und linkem Hinterrad zeigt, wer zu dem Zeitpunkt die Nase vorne hatte.
Vettels Spurwechsel hatte aber noch einen anderen Grund. Er wusste, dass Leclerc wegen der besseren Reifen vermutlich etwas später bremsen würde. Also musste er ihn auf eine Spur drängen, die weniger Grip bot. So weit nach innen wie möglich.
Es war ja auch kein abrupter Spurwechsel, sondern eher ein Wandern nach links. Ein relativ normaler Vorgang, der niemanden aufgeregt hätte, wären es nicht Teamkollegen gewesen. Leclerc hat es zuvor mit Lando Norris und Valtteri Bottas ähnlich gemacht. Hätte er die Außenspur zubetoniert, hätte er Vettel nach innen abgedrängt, was ihm dann die Möglichkeit gegeben hätte, Vettel die Spur zum Bremsen aufzuzwingen.
Das Pech für die Ferrari-Piloten war, dass sich die Räder versetzt getroffen haben. Leclercs rechtes Vorderrad lag beim Kontakt eine Spur vor Vettels linkem Hinterrad. Weil Vettel in Relation zum anderen Ferrari in der Vorwärtsbewegung war, wirkte die Kraft nicht wie bei einem Mauerkuss im 90 Grad-Winkel zum Auto, sondern parallel dazu.
Karbonaufhängungen sind für diese Art von Zusammenstößen nicht gebaut. Wären die Räder auf gleicher Höhe gelegen, wäre nichts passiert. Es war aus meiner Sicht ein normaler Zweikampf unter extrem unglücklichen Umständen. Wir können Ferrari deshalb nur bitten, ihre Fahrer weiter ohne große Fesseln fahren zu lassen. Dass der interne Friede jetzt noch ein bisschen mehr gestört ist, damit muss das Team leben. Mercedes hat das mit Hamilton und Rosberg vier Jahre lang ausgehalten.