Schweigen zum Formel 2-Unfall

Die Formel 1-Piloten gehen unterschiedlich mit dem tödlichen Unfall von Anthoine Hubert in Spa um. Während die älteren Fahrer den Tatsachen ins Auge blicken, versuchen die jüngeren Kollegen die Gedanken daran durch Schweigen zu verdrängen.
Diese Generation Rennfahrer kennt den Tod auf der Rennstrecke nur als extremen Unglücksfall, der in jedem anderen Lebensbereich auch hätte passieren können. Die Kollision von Jules Bianchi mit einem Traktor bei GP Japan 2014 war so ein Beispiel. So etwas passiert ein Mal alle 100 Jahre. Der fatale Formel 2-Crash von Anthoine Hubert vergangenes Wochenende in Spa hatte eine andere Qualität. Das war ein Rennunfall, wie er sich in jeder Rennserie abspielen kann, wenn nur genügend unglückliche Faktoren zusammenkommen.
Neun der 20 Formel 1-Piloten wurden zum ersten Mal mit einem tödlichen Unfall bei einer Rennveranstaltung konfrontiert. Auch wenn er in der Formel 2 stattfand, war das Ereignis doch sehr nah. Das Rennen fand direkt nach der Qualifikation der Formel 1 statt und viele Fahrer kannten den unglücklichen Anthoine Hubert persönlich.
Die allgemeine Sprachlosigkeit im Fahrerlager hat auch damit zu tun, dass die FIA eine Untersuchung des Unfalls eingeleitet hat und sich viele Fahrer vor vorschnellen Urteilen scheuen. Außerdem ermittelt die belgische Staatsanwaltschaft. Da könnte jedes Wort zu viel auf die Goldwaage gelegt werden.
Trotz Unfall fährt die Angst nicht mit
Sechs Tage nach der Tragödie von Spa versuchen viele junge Fahrer die Ereignisse immer noch zu verdrängen. George Russell verweigert auf die Frage, was die Formel 1 aus dem Unfall lernen kann, die Aussage: „Darüber möchte ich nicht sprechen.“
Andere schweigen ganz. Sie wollen sich die Bilder von Spa nicht mehr ins Gedächtnis rufen. Carlos Sainz ist einer der wenigen Fahrer, der in die Offensive geht: „Bis vor einer Woche haben wir über asphaltierte Auslaufzonen nur in dem Zusammenhang geredet, dass es Probleme mit der Streckenbegrenzung gibt. Plötzlich kommen alle Leute drauf, dass diese Auslaufzonen auch gefährlich sein könnten.“
Der Spanier war froh, dass er am Sonntag ein Rennen fahren konnte. „Sich wieder ins Auto zu setzen war die beste Medizin gegen den Schock, den wir alle am Samstag erlebt haben.“ Die Angst fährt deshalb nicht mit: „An die Gefahren dieses Sports denke ich höchstens bei Regenrennen, wenn du bei 300 km/h mit null Sicht fährst. Da bist du ein bisschen vorsichtiger.“ Charles Leclerc bestätigt: „Sobald ich mich ins Auto setze, ist alles andere ausgeblendet.“
Lando Norris wehrt sich gegen Vorwürfe früherer Rennfahrergenerationen, dass die Computer-Kids von heute in dem Glauben ins Auge steigen, es könne nichts passieren, weil man sich in der virtuellen Welt nach jedem Unfall mit einem Mausklick wieder zurück ins Rennen bringen kann. „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Im Simulator tun Unfälle nicht weh, aber ich bin nicht so blauäugig zu glauben, dass es im wirklichen Leben genauso ist.“
Kontrolle für Ausweichmanöver
Charles Leclerc pflichtet Norris bei: „Ich war mir immer bewusst, dass ich einen gefährlichen Sport betreibe. Wenn du mit hohen Geschwindigkeiten unterwegs bist, ist das automatisch mit Risiken verbunden. Der Tod von Anthoine war ein Schock, aber kein Weckruf in dem Sinne, dass wir vorher nicht gewusst hätten, wie hoch das Risiko ist. Der Sport ist viel sicherer geworden als früher, aber auch wenn lange nichts passiert ist, hat keiner von uns geglaubt, dass es immer so bleiben muss.“
Lewis Hamilton gehört zu der älteren Generation im Feld. Trotzdem sieht er keinen Zusammenhang darin, dass Computerspiele oder Simulatorfahren seinen jungen Kollegen den Respekt vor den Gefahren nehmen könnte: „Der Simulator befreit dich nicht von der Angst. Es hat eher etwas mit dem Alter zu tun. Als junger Mensch denkst du weniger über Risiken nach. Unser Sport wird immer gefährlich bleiben. Das sagt schon die Logik. Wenn du mit über 300 km/h am Limit fährst, ist das Seil sehr dünn. Deshalb muss man sich im Klaren sein, dass Unfälle wie in Spa immer mal wieder passieren können.“
Sebastian Vettel sieht es genauso: „Es ist zum Glück nicht mehr so wie zu Jackie Stewarts Zeiten, wo viel häufiger Fahrer gestorben sind. Doch die Unfälle von Jules Bianchi und Anthoine Hubert haben uns gezeigt, dass es immer noch passieren kann, und dass es immer noch Lehren gibt, die wir aus solchen Unfällen ziehen können.“
Für Sebastian Vettel ist es aber noch zu früh, jetzt schon Schlussfolgerungen aus dem Unfall zu ziehen: „Dafür gibt es jetzt eine detaillierte Untersuchung. Wir haben noch nicht das komplette Bild, was da wirklich passiert ist.“ Nico Hülkenberg macht immerhin den Vorschlag, Ausweichmanöver in asphaltierten Auslaufzonen einer Kontrolle zu unterziehen. „Sie laden dazu ein, weiter mit hohem Tempo zu fahren. Ich finde, dass man das regulieren muss.“