Taktikcheck GP Österreich 2019
Bis zur 42. Runde hat keiner mit einem Sieg von Max Verstappen gerechnet. Erst dann begann die eigentliche Aufholjagd. Der Schlüssel zum Sieg lag in den ersten 12 Runden nach dem Boxenstopp. In dieser Phase schonte Verstappen perfekt seine Reifen.
Auch Einstopp-Rennen können spannend sein. Wer es bis jetzt nicht geglaubt hat, sollte sich den GP Österreich ein zweites Mal anschauen. Das Rennen auf dem Red Bull.Ring lebte von drei großen Aufholjagden und 43 Überholmanövern. Eines besser als das andere. Nur ganz selten hatte man den Eindruck, DRS habe es dem Verfolger zu einfach gemacht.
Der neunte Saisonlauf war ein Rennen in zwei Teilen. Bis zu den Boxenstopps passierte nicht viel. Danach ist das Rennen erwacht. So wie Max Verstappens Red Bull. Obwohl mit Ausnahme von zwei Fahrern alle nur ein Mal ihre Box aufsuchten, waren die 20 Fahrer mit fünf unterschiedlichen Taktiken unterwegs.
Die Reifenfolge medium-hart war die populärste Strategie. Zwölf Fahrer vertrauten auf sie, unter anderem der Sieger. Aber auch Ferraris Kombination Soft-hart führte zum Erfolg. Lando Norris schwamm mit Soft-medium gegen Strom auf Platz 6. Sebastian Vettel wurde aus der Not heraus mit zwei Stopps und der Reihenfolge Soft-hart-soft Vierter.
Die Kritik an Ferraris Reifenwahl für den Start erwies sich am Ende als haltlos. Charles Leclerc hielt auf den Soft-Reifen locker bis Runde 22 durch. Da hatten bereits die ersten Fahrer auf den Medium-Reifen gestoppt. Die starke Form der weichsten Gummimischung verwunderte die Mercedes-Techniker: „Es war am Sonntag um sechs Grad heißer als am Freitag. Damit wird der Soft-Reifen normalerweise langsamer. Das war aber nicht der Fall. Ferrari hat keinen Preis für seine Reifenwahl bezahlt.“
Langsamfahren entschied das Rennen
Max Verstappen sah lange nicht wie ein Sieger aus. Schon gar nicht, als er beim Start auf Platz 7 zurückfiel, weil die Elektronik die Kupplung trennte. Und auch später musste man noch zwei Mal zweifeln, als der Holländer Power-Verlust monierte und ihn das Team bat, einen Reset zu machen und in andere Motorprogramme zu wechseln.
Erst in der 9. Runde hatte sich der Holländer von Lando Norris und Kimi Räikkönen freigeschwommen. Da betrug sein Rückstand auf Spitzenreiter Charles Leclerc bereits 14,5 Sekunden. Bis Leclerc an die Boxen abbog, holte Verstappen nur eine Sekunde auf. Auch nach Verstappens Reifenwechsel schrumpfte die Lücke zunächst nur marginal. Obwohl Verstappens Reifen neun Runden weniger auf der Lauffläche hatten als die seiner Gegner.
Verstappen ging mit einem Rückstand von 12,9 Sekunden in den zweiten Stint. Zwölf Runden später betrug die Differenz immer noch 10,5 Sekunden. Zu dem Zeitpunkt hatte Leclerc noch Valtteri Bottas und Sebastian Vettel als Puffer dazwischen. Doch exakt in diesen zwölf Runden entschied sich das Rennen.
Verstappen streichelte den Reifensatz so wirkungsvoll, dass er für die letzten 28 Runden den Turbo einschalten konnte. Leclerc, Bottas und Vettel fuhren mit dem Rücken zur Wand. Alle bekamen Probleme mit den Hinterreifen. Alle bezahlten für frühere Boxenstopps und aggressive Runden zu Beginn ihrer Stints.
Verstappen kam mit Abstand am besten aus den Kurven, er konnte seinen Gegnern in den Turbulenzen gut folgen, und im Renntrim stimmte auch der Top-Speed im Vergleich zur Konkurrenz. Die musste Leistung runterregeln. Mercedes massiv, Ferrari moderat. Red Bull hatte nur zu Beginn des Rennens im Pulk ein paar Sorgen mit hohen Temperaturen. Im zweiten Stint fuhr Verstappen meistens alleine. Wenn er auf andere auflief, trat er schnell die Flucht nach vorne an. Das hielt den Motor im grünen Bereich.
Mercedes drohte Gefahr von Vettel
Der Plan von Mercedes, Bottas schon in Runde 21 von Medium auf harte Reifen umzustellen, lag auf der Hand. Mercedes kämpfte mit zwei Autos gegen Spitzenreiter Leclerc. Man wollte den Mann an der Spitze aus der Reserve locken und einen Undercut versuchen.
Die Idee dahinter: Wenn sich Leclerc in die Boxen locken lässt, dann profitiert Hamilton, der in der ersten Rennhälfte mit der Verstappen-Taktik gefahren war: Reifen schonen, abwarten. Kaum war die Bahn frei, zog Hamilton das Tempo an. Von 1.09,694 Minuten auf 1.08,842 Minuten. Doch Hamilton. Mercedes-Motor hielt das Tempo nur zwei Runden durch. Dann ging der Alarm los. Hamilton musste wieder vom Gas.
Mercedes sah auch in Sebastian Vettel eine Gefahr. Der hatte sich trotz seines neunten Startplatzes überraschend früh auf Rang 4 vorgekämpft und lag in Runde 20 nur noch 4,2 Sekunden hinter Bottas und 2,7 Sekunden hinter Hamilton. „Wenn Vettel den Undercut zuerst versucht hätte, hätten wir nur mit einem Auto schnell reagieren können. Deshalb haben wir zur Sicherheit unser besser platziertes Auto zuerst reingeholt, ohne zu wissen, dass Ferrari seinen Stopp mit Vettel in der gleichen Runde geplant hatte. Hätten wir gar nichts gemacht, hätte Seb beide unsere Fahrer überholen können.“
Vettels zweiter Stopp war kalkuliertes Risiko
Es kam nicht dazu. Eine Fehlkommunikation zwischen Boxenmauer und Garage führte dazu, dass Vettels Reifen zu spät bereitgestellt wurden. Das kostete 3,5 Sekunden und in der Endabrechnung den dritten Platz. Ferrari muss sich die Frage gefallen lassen, warum Leclerc bereits eine Runde nach Bottas an die Boxen gerufen wurde.
Der Monegasse hätte auch noch länger fahren können, doch Ferrari wollte sich mit dem frühen Stopp gegen einen Undercut absichern. Was aber nicht allzu dringend war. Leclerc führte schon mit 4,6 Sekunden. Ferrari musste damit rechnen, dass Hamilton und Verstappen länger draußen bleiben würden, was ihnen am Ende einen Reifen-Vorteil verschaffen würde. Jede Runde, die Leclerc länger wartet, wäre ein Geschenk gewesen.
Die Mercedes-Strategen bestätigen, dass Hamilton einen möglichst kurzen Stint auf den harten Reifen fahren sollte, um im Finale gut gerüstet zu. „Wir wollten, dass er wegen der Kühlprobleme die meiste Zeit in sauberer Luft fährt. Valtteri lag gerade so in seinem Boxenstopp-Fenster, Vettel war noch draußen. Hätten wir auf Leclerc geantwortet, wäre Lewis direkt hinter Valtteri gefallen. Das konnten wir uns nicht leisten. Die Motoren liefen schon so viel zu heiß. Die Temperaturen und die Höhenlage waren für uns überlebbar, aber das ging nur möglichst ohne Verkehr und möglichst langsam.“
Spätestens da war klar, dass Mercedes an diesem Tag kein Kandidat für den Sieg war. Die Autos verloren wegen der stark geöffneten Verkleidung nicht nur Abtrieb. Auch die Motoren mussten vorsichtig betrieben werden. Die Fahrer gingen bis zu 400 Meter vor den Kurven vom Gas.
Hamilton fiel als potenzieller Sieganwärter sowieso flach, weil er sich auf einem Randstein in Kurve 10 einen Frontflügel-Flap angeknackst hatte. Der Flügeltausch kostete 8 Sekunden extra. Mercedes ließ sich mit Hamilton. Stopp ein bisschen zu viel Zeit. Der Flügelschaden kostete zuerst vier, dann sechs und schließlich acht Zehntel pro Runde. Als Hamilton in Runde 30 wieder auf die Bahn kam, war er abgeschlagen Fünfter.
Während vorne Verstappen einen Gegner nach dem anderen aufschnupfte und eine Rekordrunde nach der anderen drehte, spielte das Duell zwischen Vettel und Hamilton nur eine Nebenrolle. Kaum hatte Verstappen den Ferrari mit der Startnummer 5 abgefertigt, holte Ferrari Vettel an die Box. Trotz 13,1 Sekunden Vorsprung auf Hamilton. Vettels Reifen hatten von der Aufholjagd schon zu sehr gelitten.
Er hätte wahrscheinlich auch mit seinen alten Reifen Hamilton auf Distanz gehalten, doch Ferrari wollte mehr. Platz 3 und die schnellste Runde. Beides funktionierte nicht. Vettel durfte den Soft-Reifen bei einer Restdistanz über 21 Runden nicht zu viel zumuten. So ging der Extra-Punkt an Verstappen. Vettel schaffte zwar wie erwartet noch Hamilton, doch für Bottas reichte es nicht mehr ganz. Auf den Finnen fehlten 0,650 Sekunden.
Vorteil des späten Boxenstopps
Die dritte Aufholjagd im Feld ging fast unter. Carlos Sainz startete von ganz hinten. Im ersten Teil des Rennens fiel der Spanier kaum auf. Mühsam arbeitete er sich an Robert Kubica, Romain Grosjean, Kevin Magnussen und Daniel Ricciardo vorbei auf Platz 12. „Ich habe ganz bewusst die Reifen geschont, um möglichst lang in freier Luft zu fahren und den zweiten Stint auf den harten Reifen so kurz wie möglich zu halten“, berichtet Sainz.
Nach seinem Stopp in der 41. Runde fiel der McLaren-Pilot von Platz 6 auf Rang 14 zurück. Antonio Giovinazzi auf Platz 10 lag da noch 7,9 Sekunden weit weg. Dann ging es Schlag auf Schlag. Sainz überholte mit Rundenzeiten, die nur noch Verstappen unterbieten konnte, innerhalb neun Runden fünf Konkurrenten: Lance Stroll (Runde 45), Nico Hülkenberg (Runde 47), Sergio Perez (Runde 49), Antonio Giovinazzi (Runde 51), Kimi Räikkönen (Runde 53). Erst in Runde 63 war die Sainz-Show beendet. Der Spanier musste den Angriff auf Pierre Gasly wegen eines Frontflügel-Schadens abblasen.
Der späte Boxenstopp war keine schlechte Strategie. Weil man lange ohne Verkehr in frischer Luft fahren konnte. Daniel Ricciardo schnitt dadurch besser ab, als man es von seinem Gesamtspeed über das Wochenende hinweg erwarten sollte. Der Australier wechselte in der 46. Runde von Medium auf Soft. Danach ging die Post ab. Ricciardo fuhr die viertschnellste Rennrunde und kämpfte mit seinem Reifenvorteil im Finale noch Stroll und Hülkenberg nieder. Für die WM-Punkte war es zu spät. Es reichte nur noch zu Platz 12.