Technik-Show statt Racing
Der Saisonauftakt in Australien hat einmal mehr gezeigt, dass die aktuellen Formel 1-Autos nicht geeignet sind, um damit Rennen zu fahren. Wir erklären, wo die Probleme liegen und was die Verantwortlichen bei den IndyCars abschauen können.
Der technische Overkill wird zum Fluch für die Formel 1. Der GP Australien war ein Paradebeispiel dafür. Wieso, werden sie fragen. Es war doch ein Computerfehler, der den Saisonauftakt der Formel 1 halbwegs unterhaltsam gemacht hat und einen unerwarteten Sieger produzierte. Falsch. Der Algorithmus im Strategieprogramm von Mercedes war richtig. Es war der Mensch, der den Fehler produziert hat. Das Programm wurde mit den falschen Parametern gefüttert.
Davon einmal abgesehen, verlief das Rennen in Melbourne so wie im letzten Jahr. Gerade einmal fünf Überholmanöver auf eine Distanz von 307,5 Kilometern. Alle 18 Minuten hat ein Auto ein anderes auf der Strecke überholt. Trotz einer zusätzlichen DRS-Zone. Der IndyCar Saisonauftakt in St.Petersburg zählte 283 echte Überholmanöver. Das ist vielleicht ein bisschen zu inflationär, aber immerhin besser als fünf. IndyCar hat in diesem Jahr den Abtrieb der Autos um 20 Prozent reduziert. In der Formel 1 ist der Anpressdruck über den Winter um weitere fünf Prozent gestiegen. 2016 mit den schmaleren Auto wurden in Melbourne noch 37 Überholmanöver gezählt. Das hat natürlich nichts mit der Breite der Autos zu tun. Ein IndyCar ist 1,99 Meter breit, also auf Formel 1.Niveau. Aber es hat wesentlich simplere aerodynamische Formen. Doch dazu später.
Autos werden im Rennen geschont
Bei der aktuellen Formel 1 ist nicht nur die Aerodynamik schuld, dass man damit kaum noch guten Rennsport bieten kann. Die Geraden müssen schon mindestens einen Kilometer lang sein, eine langsame Kurve davor, eine dahinter, und dazwischen der Großteil zur DRS-Zone deklariert, damit ein Überholmanöver möglich wird. Strecken wie Bahrain, Baku oder Montreal. Doch man kann nicht jede Strecke so bauen, dass Überholen möglich ist. Dann schauen sie am Ende alle gleich aus. Die Autos müssen sich ändern, nicht die Rennstrecken.
Es spricht für sich, dass eine VSC-Phase das größte Highlight des GP Australien war. Das ist schon einmal ein Armutszeugnis, weil die virtuelle Neutralisation wie DRS ein künstliches Element ist, das dem Normalzuschauer erst einmal erklärt werden muss. Das VSC-Signal konnte aber auch erst zum Spannungsbringer werden, weil Lewis Hamilton, Sebastian Vettel und Co. in Technikmonstern sitzen, die eigentlich keine Rennautos mehr sind. In einem normalen Rennauto hätte Hamilton bei der Überlegenheit des Mercedes schon vor dem ersten Boxenstopp einen genügend großen Vorsprung herausgefahren, so dass Ferrari nie die Chance gehabt hätte, Hamilton mit einem Undercut aus der Reserve zu locken. Weil der Rückstand von Kimi Räikkönen dann schon viel zu groß geworden wäre. Und selbst wenn. Dann hätte Hamilton zwischen Runde 19 und 25 die Lücke zu Vettel genügend schließen können, um nach Vettels Boxenstopp wieder in Führung zu gehen.
Warum er es nicht getan hat? Weil das mit diesen Rennautos nicht ratsam ist. Die Techniker an den Kommandoständen müssen nicht nur den GP Australien im Blick haben. Ein Motor, der sieben GP-Wochenenden halten muss, eine Batterie, ein halbes Jahr im Auto bleiben sollte, ein Getriebe, dass frühestens nach sechs Rennen getauscht werden kann, verlangen nach Management. Wann immer es das Rennen erlaubt, werden diese Komponenten geschont. Hamilton hat selbst gesagt, dass er locker hätte schneller fahren können. Er durfte nicht. Stattdessen bekam er eine so genannte „target lap time“. An diese Zielvorgabe muss sich der Fahrer halten. Es interessiert nicht, wie schnell er wirklich fahren könnte.
Dazu kommen noch andere Überlegungen, die den Piloten das Tempo vorschreiben. Der Spritverbrauch. Der Ladezyklus der Batterien. Die Kühlung von Motor, Batterie und Elektronikboxen. Die nach wie vor zu temperaturempfindlichen Reifen. Die Bremsen, deren Kühlöffnungen der Aerodynamik auf ein Minimum beschränkt sind. Neuerdings auch noch der Ölverbrauch, der 0,6 Liter auf 100 Kilometer übersteigen darf. Das alles führt dazu, dass die Fahrer von der Box ferngelenkt werden müssen.
Es wäre interessant, was passieren würde, wenn man mal unangemeldet die Telemetrie und den Funk abschaltet. Wetten, dass sich das Rennen dann deutlich verbessern würde. Weil dann die Fehlerquote steigt. Williams-Technikchef Paddy Lowe gibt zu: „Das Grundübel ist die Antriebseinheit. Nicht nur, dass sie selbst zu kompliziert ist. Sie zwingt uns auch dazu, höchst komplexe Autos auf.“ Ein Beispiel: In den Autos ist eine zweistellige Zahl an Kühlern verbaut, um alle Systeme im Temperaturfenster zu halten.
Performance der Autos leidet im Verkehr
Kommen wir zum GP Australien zurück. Die Konstellation für den Re-Start nach der Safety-Car-Phase war nahezu perfekt. Vorne kämpften Sebastian Vettel und Lewis Hamilton um den Sieg. Dahinter Kimi Räikkönen und Daniel Ricciardo um den letzten Podiumsplatz. Und weiter zurück musste sich Fernando Alonso gegen Max Verstappen, Nico Hülkenberg und Valtteri Bottas im Kampf um Platz 5 wehren. Die Verfolger saßen jeweils im schnelleren Auto. Und sie hatten DRS.
Doch obwohl noch 26 Runden Zeit waren, änderte sich nichts mehr an der Reihenfolge. Die Hoffnung, es könnte sich etwas ändern, war nach den ersten vergeblichen Attacken des Hintermannes schnell verpufft. Es stellten sich die üblichen Beschwerden ein, die diese hochgezüchteten Fahrmaschinen im Rad-an-Radkampf so mit sich bringen.
Im Windschatten gerät das folgende Auto schnell in den roten Bereich. Mit den Bremsen, der Antriebseinheit, den Reifen. Es ist ein Teufelskreis. Das Auto beginnt zu rutschen, die Reifen werden noch heißer, und das Auto rutscht noch mehr. „Du spürst die ersten Anzeichen von schlechter Luft bereits, wenn du drei Sekunden aufgeschlossen hast. Ab einer Sekunde wird das Hinterherfahren richtig schlimm. So kommst du gar nicht in eine Position, aus der du angreifen kannst. Es war noch schlimmer als im letzten Jahr“, berichtete Bottas.
Das hat nicht nur mit dem Abtrieb zu tun. Die aerodynamischen Formen wurden über den Winter noch einmal komplizierter. Es kommen immer neue Vortex-Generatoren hinzu, die Turbulenzen zur Abwehr anderer Turbulenzen generieren. Wenn dieses empfindliche System gestört wird, wird aus einem schnellen Auto ein langsames.
Man muss kein Aerodynamiker sein, um das zu kapieren. Schauen Sie sich das komplexe Geflecht an Leitblechen zwischen Vorderrädern und Seitenkästen einmal an! Das funktioniert nur bei einer ungestörten Anströmung wie im Windkanal. Dazu kommt: Schlechte Luft vom Frontflügel und der Vorderachse wird links und rechts nach außen abgelenkt. Sie trifft sich hinter dem Auto wieder, fatalerweise auf Höhe des Frontflügels des hinterherfahrenden Autos. Um in Melbourne zu überholen, hätte es ein Zeitdelta von 1,8 Sekunden gebraucht. 2017 lag der Unterschied noch bei 1,6 Sekunden.
F1-Autos für Qualifying optimiert
Die Regelreform 2017 hin zu mehr Freiheiten für die Aerodynamik war im Sinne guten Rennsports ein Eigentor. Die unbeschränkten Möglichkeiten der Simulation befeuern das Problem. Weil sie den Ingenieuren zeigen, in welcher Konfiguration das Auto am schnellsten ist. Kein Mensch baut ein Auto, das gut im Verkehr ist. Alle stricken ihr Auto am Limit, damit es die bestmögliche Rundenzeit erzielt. Wenn es allein auf der Strecke fährt. Das aber geht sich am Ende nur für das Team aus, dessen Autos vorne fahren. Gerade dieser Minimalismus hat fatale Nebenwirkungen, die Zweikämpfe auf der Strecke im Keim ersticken. Die Kühlschächte für die Bremsen sind nur noch sekundär zur Kühlung da. Sie sind ein gewichtiges aerodynamisches Instrument. Gut für eine Runde bei freier Fahrt. Ein Overkill, wenn man einem anderen Auto länger als drei Runden folgen muss.
Noch empfindlicher sind die Hybridantriebe. Ihre sechs Komponenten gieren nach Luft. Wenn die ausbleibt, geht nichts mehr. Im besten Fall drohen Langzeitschäden. Bottas saß im Verfolgerpulk im schnellsten Auto, hatte aber nicht den Hauch einer Chance, den Renault von Nico Hülkenberg zu überholen. Der Finne gab zu: „Wir haben die Kühlung falsch berechnet. Der Antrieb lief schon nach kurzer Zeit im Windschatten zu heiß.“ Der Fahrer hatte zwei Optionen: Die Motorleistung zurückzuschrauben oder den Fuß vom Gas zu nehmen. So überholt man keine Autos. „Mit Hinblick auf das Überholen war das Überhitzen schlimmer als der Verlust an Abtrieb“, räumte Bottas ein.
Die aktuellen Formel 1.Renner sind die schnellsten Autos aller Zeit, aber sie sind zu einfach zu fahren. Kein einziges der fünf Überholmanöver entstand als Folge eines Fahrfehlers des Vordermanns. Lance Stroll wurde zwei Mal überholt, weil er versehentlich im falschen Motorprogramm war. Wie aufregend.
Die IndyCars wurden nach der Abtriebsreduzierung zu grimmigen Heckschleudern. Das provozierte nicht nur direkt viele Positionswechsel durch Fehler, sondern sorgte auch je nach Fahrweise für große Unterschiede beim Zustand der Hinterreifen. Wer es übertrieb, hatte hinten gar keinen Grip mehr.
Und da gibt es keine Funksprüche, die dem Fahrer die Temperaturen der Hinterreifen vorbeten und ihm sagen, wie er zu fahren hat. Das muss er schon selber spüren. In der Formel 1 führt der Perfektionismus dazu, dass der erste Angriff funktionieren muss. Danach passiert nichts mehr. Das schlimme ist, dass der Zuschauer die Aussichtslosigkeit spürt. Und das wird ihn früher oder später dazu animieren, den Fernseher abzuschalten.