Vettels große Aufholjagd in Hockenheim
Auf die Pleite vom Samstag folgte die große Aufholjagd am Sonntag. Sebastian Vettel brauste in Hockenheim vom letzten Startplatz auf den zweiten Rang. Mit Geschick, Glück, den richtigen Entscheidungen und einer bärenstarken Schlussphase.
Sebastian Vettel kennt das Gefühl, auf dem Podium zu stehen. Er stand vor dem GP Deutschland bereits 115 Mal darauf. Trotzdem war das Podest am Rennsonntag ein besonderes für den Lokalhelden. Ein immens wichtiges nach den Rückschlägen der letzten Wochen. Vettel hatte es sich über 64 Runden in Hockenheim hart erarbeitet. In einem Chaos-Rennen, wie es die Formel 1 schon lange nicht mehr gesehen hat.
Der Heppenheimer startete nach der Qualifikationspleite, als ein kaputter Ladeluftkühler seinen Ferrari lahmgelegt hatte, vom letzten Startplatz. Da ist nicht unbedingt davon auszugehen, am Rennsonntag Champagner zu verspritzen. Doch in diesem Hockenheim-Rennen war nichts normal.
Ohne Vertrauen in die Intermediates
An einem gewöhnlichen Rennsonntag wäre Vettel maximal auf dem fünften oder sechsten Platz eingelaufen. Der viermalige Weltmeister brauchte die Unterstützung des Wetters, um eine große Aufholjagd hinzulegen. Passendere Verhältnisse hätte sich der 32-Jährige nicht wünschen können. Es war mal nass, mal trocken auf der 4,574 Kilometer langen Bahn. „Ich war aufgeregt, als ich das Wetter sah. Ich wusste, bei diesen Verhältnissen kann alles passieren. Dass es so chaotisch wird, habe ich mir aber nicht ausgemalt“, sagte Vettel.
Es passte nicht alles zusammen. Und trotzdem brauste Vettel vom Südpol des Klassements bis fast ganz nach oben an den Nordpol. Sein Ferrari strauchelte auf den Intermediate-Reifen, war dafür aber umso besser auf den Trockenreifen. Gleich in der Startrunde kassierte Vettel sechs Rivalen. Dann wechselte er als erster Pilot von Regenreifen auf die Intermediates. Es war die richtige Entscheidung.
Nach acht Runden kreiste der 52-fache GP-Sieger bereits auf dem siebten Rang. Doch dann geriet die Aufholjagd ins Stocken. Vettel pendelte im weiteren Rennverlauf zwischen Rang sieben und elf – je nach Boxenstopp. An seinem alten Teamkollegen Kimi Räikkönen kam der Ferrari.Pilot nicht vorbei. Im Gegenteil. Der Finne enteilte ihm im Alfa-Sauber sogar. „Ich habe mit den Intermediates gekämpft. Sie haben schnell ziemlich stark abgebaut. Ich hatte einfach kein Vertrauen in diese Reifen“, erklärte Vettel.
Auf Slicks zum Leben erweckt
Es sah ganz danach aus, als ob der Lokalheld zwar punkten könne, aber nicht bis aufs Podest vordringen. Doch das Rennen drehte sich, schlug mal in die eine Richtung aus, dann wieder in die andere. Und im letzten Rennviertel kam es zu Ferrari. Kam es zu Vettel. Der Fahrer lobte seine Mannschaft. „Es waren viele Entscheidungen zu treffen. Wir haben ständig am Boxenfunk miteinander gesprochen. Meistens lagen wir richtig. Natürlich hatten wir auch Glück mit den Safety Cars. Sie haben uns im Rennen gehalten, und uns zum Schluss in Position gebracht.“
In der 47. Runde wechselte Ferrari das fünfte und letzte Mal die Reifen. Man legte die Intermediates ab und steckte Pirellis weiche Slickreifen auf den SF90. Ab diesem Moment zündete die rote Rakete. „Plötzlich kam das Auto zum Leben. Ich fühlte mich richtig wohl.“ Zum Zeitpunkt des vorletzten Safety Cars lag Vettel allerdings nur auf dem neunten Rang. Ab der 47. Runde begann die große Aufholjagd.
Bis ins Ziel schnappte er sich Pierre Gasly im Red Bull, Kevin Magnussen im Haas, Alexander Albon im Toro Rosso, Carlos Sainz im McLaren. Sowie Lance Stroll im Racing Point in der drittletzten Runde. Und Daniil Kvyat im vorletzten Umlauf. Dazu profitierte Vettel vom Unfall von Mercedes-Pilot Valtteri Bottas. Lewis Hamilton hatte sich schon vorher mit Fahrfehlern hinter den Heppenheimer gekegelt.
Die Fans auf den Tribünen jubelten bei jedem Überholmanöver. „ Ich konnte sie nicht hören. Dafür sind die Motorengeräusche im Cockpit zu laut. Aber ich konnte sie sehen“, erzählte der Zweitplatzierte. Nur Red Bulls Max Verstappen war an diesem Tag nicht mehr einzuholen. „Ich bin trotzdem überglücklich.“
Vettel nutzte den Moment, um sein in dieser Saison gebeuteltes Team aufzubauen. „Wir sind zur Halbzeit sicher nicht da, wo wir sein wollen“, sagt der WM-Vierte. „Wir haben einige Fehler gemacht. Aber ich glaube an dieses Team, glaube an unsere Stärke.“ Und der viermalige Weltmeister streute seinem Heimrennen Rosen. „Strecken wie Deutschland aus dem Kalender zu nehmen, ist falsch. Wir müssen dorthin gehen, wo die Leidenschaft für den Sport am größten ist. Nicht, wo am meisten Geld zu verdienen ist.“ Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit der letzte Grand Prix für längere Zeit am Hockenheimring gewesen sein. Es war ein Rennen, das Geschichte geschrieben hat. Die Fans werden sich noch 50 Jahre daran erinnern.