„DAS“-System im Toto-Wolff-Check
Die Spur-Verstellung des Mercedes am Lenkrad war das Aufreger-Thema der ersten Testwoche. Welchen Vorteil bringt das „ DAS“-System des Weltmeisters? Wir haben die Experten im Fahrerlager befragt und auch mit Toto Wolff darüber geplaudert.
Die Idee wurde vor eineinhalb Jahren geboren. Als die Mercedes-Ingenieure Toto Wolff das neue Spur-Verstellungssystem „ DAS“ präsentierten, da war die erste Reaktion des Teamchefs: „Das funktioniert nie. Du willst als Fahrer neben dem Lenken nicht auch noch ziehen und drücken.“
Als der Prototyp fertig war, bot sich Wolff als Testperson an. Er probierte an einem Prüfstand aus, wie es sich anfühlt, wenn man am Lenkrad nicht nur dreht, sondern es auch noch horizontal verschiebt. „Ich war überrascht, wie einfach es ist. Es ist eine unnatürliche Bewegung, doch der Hub ist nur kurz, und du machst es ja nur auf den Geraden.“
Das gab das grüne Licht für ein System, das derzeit das ganze Fahrerlager beschäftigt. Die einen würden es am liebsten sofort verbieten. Die anderen sind beeindruckt. So auch Racing Point-Technikchef Andy Green: „Es ist eine geniale Idee, weil sie vom Prinzip her so simpel ist. Man muss nur darauf kommen.“
Green teilt die Meinung der FIA, dass es sich um ein Lenksystem handelt und nicht Teil der Aufhängung ist. Red Bull dagegen zweifelt die Legalität der Erfindung an. Technikchef Adrian Newey glaubt nicht umsonst an einen aerodynamischen Vorteil. Nur auf dieser Basis wäre ein Einspruch überhaupt möglich. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto will keine Welle machen: „Wir vertrauen auf das Urteil der FIA.“
Wenn der Primärzweck der Spurverstellung ein Vorteil für die Aerodynamik wäre, müsste der Weltverband das System verbieten oder einschränken. So wie das mit den speziell montierten Druckstreben an der Vorderachse passiert ist, die das Auto beim Einlenken absenken.
Bei dem „DAS“-System von Mercedes geht es aber vordergründig um einen Eingriff in die Mechanik. Es mag bei bestimmten Einstellungen auch aerodynamische Vorteil. bringen, doch die wären ein schöner Nebeneffekt und kein Grund, ausschließlich deshalb so viel Aufwand in diese Technik investieren.
Der Speedgewinn bei Geradeaus-Stellung der Vorderräder im Vergleich zu Radstellung mit Vor- oder Nachspur liegt nach Meinung von Experten bei maximal 1 km/h. Mehr geben der verringerte Rollwiderstand und der reduzierte Luftwiderstand nicht her. „ Normalerweise beträgt die Nachspur vorne sowieso nur drei bis vier Millimeter“, erklärt Green.
Auch ein Sicherheitsrisiko kann Ferrari nicht erkennen. „Wir gehen davon aus, dass Mercedes so ein System nur bauen würde, wenn es sicher ist“, meint Technik-Koordinator Laurent Meckies.
Tatsächlich kann das Lenkrad nicht aus Versehen in eine andere Position geraten. Der Fahrer muss es manuell entriegeln. Am anderen Ende der Reise rastet das Lenkrad automatisch ein. Valtteri Bottas verrät: „Es fühlt sich gar nicht so komisch an. Du bewegst das Lenkrad ja nur, wenn du es willst.“ Das ist schon ein kleiner Hinweis darauf, was hinter der Erfindung steckt.
„DAS“ vielseitig einsetzbar
Nach ein paar Tagen Analyse sehen die Ingenieure der Konkurrenz etwas klarer, wo die Vorteil. des Mercedes-Tricks liegen könnten. Wir haben Andy Green gefragt, der in Bezug auf aktive Spurverstellung vorbelastet ist: „Ich habe 1987 zusammen mit Adrian Reynard für die Formel 3000 ein System entwickelt, mit dem man die Spur an der Hinterachse verstellen konnte.“
Nach Greens Einschätzung liegt der Vorteil des „Dual Axis Steering“ darin, die Reifentemperatur zu kontrollieren: „Es ist ein zusätzliches Werkzeug für ein besseres Reifenmanagement. So wie die Verstellung der Bremsbalance oder der Differentialsperre.“
Das Streckenlayout, die Bedingungen und die verwendeten Reifentypen werden bestimmen, wann und wie die Fahrer das System nutzen. Die Genialität der Spurwinkel-Verstellung liegt darin, dass es so vielseitig einsetzbar ist.
„Du kannst es zum Beispiel zum Aufwärmen der Vorderräder vor einer Qualifikationsrunde nutzen. Dann fährst du einfach auf den Geraden extreme Nachspur und gehst in den Kurven auf das normale Maß zurück, damit du keine fahrdynamischen Nachteile hast“, erklärt Green.
Das ist vor allem auf Rennstrecken ein Gewinn, wo die Vorderreifen nur schwer auf Temperatur kommen. Das gleiche Prinzip ließe sich am Ende einer Safety-Car-Phase anwenden, um bei Freigabe des Rennen sofort wieder Grip zu haben.
Im Rennen kann man bei zu hohen Reifentemperaturen auf den Geraden die Vorderreifen gerade stellen, damit sie schneller abkühlen. Untersteuert das Auto in schnellen Kurven könnte man als Gegenmaßnahme die Vorderräder auf Vorspur stellen.
Viel hängt nach Ansicht von Green davon ab, welche Kurve einer langen Gerade folgt: „Wenn sie schnell ist, musst du dir über Reifentemperaturen keine Gedanken machen. Die Fliehkräfte heizen die Reifen sofort auf. Du kannst also auf der Gerade davor die Räder geradestellen und in Kauf nehmen, dass sie mehr auskühlen als mit Spurwinkel. Folgt ein harter Bremspunkt für eine langsame Kurve, ist es besser, die Reifen auf Temperatur zu halten. Dann wird man eher mit noch mehr Nachspur fahren.“
Nur zwei Einstellungen für das Lenkrad
Das einzige Problem liegt darin, dass es nur zwei Einstellungen gibt. Mehrere Positionen würden die Fahrer zu stark belasten. Mercedes muss vorher entscheiden, welche Verstellung am meisten bringt. „Das wird von Strecke zu Strecke variieren“, glaubt Green. Bottas bestätigt: „Wir müssen das System erst einmal verstehen lernen um herauszufinden, unter welchen Bedingungen wir es auf welche Weise einsetzen.“
In einem Punkt sind sich alle Beteiligten einig: Der Mercedes-Trick ist nicht das Ticket zum WM-Titel, aber es wird im Einzelfall einen Unterschied ausmachen. Hier vielleicht ein oder zwei Zehntel in der Rundenzeit, dort vielleicht drei Runden mehr Reifenleben. Es wird in Monza mehr bringen als in Silverstone.
Eines hat Mercedes mit seinem Coup schon erreicht. Die Konkurrenz ist alarmiert und abgelenkt. Sie muss jetzt Ressourcen abzweigen um herauszufinden, was das System kann und ob es Sinn macht, es zu kopieren. „Das würde mindestens bis Saisonmitte dauern“ , gibt Ferrari-Chef Mattia Binotto zu. Bottas unterstreicht: „Das ist ein langfristiges Projekt. Ich habe zum ersten Mal vor einem Jahr davon erfahren.“