Untersee-Kreisverkehr ohne Tempolimit

Boris Johnson, Premierminister des Vereinigten Königreichs, träumt davon, die Isle of Man zum Drehkreuz für Großbritanniens Grenzverkehr zu machen.
Der in den USA geborene Alexander Boris de Pfeffel Johnson hat laut der Tageszeitung "The Sunday Times" einen Traum: Wie wäre es mit einer Handvoll unterseeischer Tunnelverbindungen in der Irischen See, die die Staaten des Vereinigten Königreichs vereinen? Liest sich im ersten Augenblick interessant und visionär. Doch neu ist die Idee des Premierministers von einem Irisch-See-Tunnel nicht. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts mehrten sich die Ideen von unterseeischen Tunneln zum Beispiel für Züge zwischen Galloway und Nord-Irland – eine Strecke von immerhin 35 Kilometern.
Was allerdings neu ist an dem Gedankenspiel von Boris Johnson, ist die Tatsache, dass er sich als Mittelpunkt des Tunnelnetzes einen Kreisverkehr (wie zuletzt auf den Färöer Inseln eröffnet) unterhalb der Isle of Man vorstellt. Einer Insel, die mit ihren 572 m² und knapp 85.000 Einwohnern bislang vor allem durch zwei Dinge bekannt wurde: Das Motorradrennen Isle of Man TT und die drei in Douglas (größte Stadt mit 25.000 Einwohnern) geborenen Mitglieder der Musikgruppe Bee Gees: Barry, Robin und Maurice Gibb. Ach ja: und der Tatsache, dass auf vielen Straßen keine Geschwindigkeitsbegrenzung herrscht.
Ohne Tempolimit durch den Kreisverkehr
Letzteres wirft mindestens zwei wichtige Fragen auf: "Ab wo würde das unbegrenzte Fahren gelten?" und "Gilt das auch für Tunnel?" Mit Ausnahme des Kreisverkehrs, in dem im Zweifel die Physik das Tempolimit vorschreibt, könnten sich bei freier Fahrt so die Überfahrten um einige Minuten reduzieren lassen und den Flug- beziehungsweise Fährverkehr nahezu komplett zum Erliegen bringen. Bislang mussten die Manx (so nennen sich die Bewohner der Isle of Man selbst) auf genau diese beiden Verkehrsmittel zurückgreifen, um entweder ins 29 Kilometer entfernte Schottland, England (48 km), Nordirland (52 km), Wales (71 km) oder in die 85 Kilometer entfernte Republik Irland zu reisen.
Dank neuester Tunnelbohrmaschinen sind heutzutage noch nicht einmal die großen Entfernungen oder die tiefe Lage der Tunnel (sie müssten unterhalb des bis zu 300 Meter tief liegenden Meeresbodens verlaufen) die limitierenden Faktoren. Mal abgesehen vom finanziellen Aufwand, der einem Land, das sich gerade mit dem selbstauferlegten Schicksal namens Brexit herumquält und mitten in einer Pandemie steckt, aktuell nicht in den Plan passen dürfte. Der limitierende Faktor könnte bei diesem Projekt viel älteren Ursprungs sein. Denn während des Zweiten Weltkriegs sammelte sich eine gewaltige Munitions-Müllhalde in der Irischen See an. Die Rede ist von 1,5 Millionen Tonnen. Und selbst, wenn die Tunnelröhren unterhalb des Meeresbodens verlaufen würden, könnten auch rund 80 Jahre nach dem Krieg leichteste Erschütterungen für ein gewaltiges Untersee-Feuerwerk sorgen. Keine guten Voraussetzungen, um den Traum eines Premierministers zu verwirklichen.