Das Geheimnis der Aufwärmrunde
Drei Trainingssitzungen lang bestätigte Red Bull seine Favoritenrolle, und Mercedes verstand die Welt nicht mehr. Dann fuhren Valtteri Bottas und Lewis Hamilton wie aus dem Nichts in die erste Startreihe. Das Geheimnis lag in der Aufwärmrunde.
So überlegen war Red Bull noch nie. Am Freitag nahm Max Verstappen den Mercedes vier Zehntel ab, am Samstagmorgen wuchs sich der Abstand zwischen Red Bull und seinem WM-Gegner sogar auf sechs Zehntel aus. Dabei verbrachten beide Red Bull lange Zeit in der Garage. Nach einem Bruch des Heckflügel-Flaps wurde eifrig mit Klebstreifen nachgebessert. Auf die Rundenzeit hatte das nach Aussage aller Beteiligten keine Auswirkung.
Mercedes verstand die Welt nicht mehr und richtete sich schon mal auf ein Wochenende der Schadensbegrenzung ein. Es war immer das gleiche Lied: Zu wenig Abtrieb in den schnellen Kurven, zu heiße Reifen in der Stadionpassage. Die Fahrer klagten abwechselnd über Unter- und Übersteuern und darüber, dass sie nicht so wie Red Bull über die Randsteine räubern konnten, weil das Auto ständig aufsetzte.
Vor der Qualifikation wurde die Abstimmung ein weiteres Mal umgebaut. Diesmal mit Erfolg. Valtteri Bottas deutete mit der schnellsten Q1-Zeit bereits an, dass offenbar der Groschen gefallen war. Doch der Finne brauchte neun Runden am Stück dazu, eine Zeit zu fahren, die Max Verstappen aus dem Stand auf die Bahn gelegt hatte.
Der lange Stint zeigte Mercedes, dass man auch mit weniger Abtrieb und einem härteren Fahrwerk als Red Bull, dafür Reifen im Arbeitsfenster um die Pole Position mitfahren kann. "Das ganze Geheimnis war, die Reifentemperaturen in Balance zu bringen", erklärte ein Ingenieur. Teamchef Toto Wolff stellte fest: "Ab dem Q2 auf dem Medium-Reifen hat sich das Bild gedreht."
Red Bull mit Mercedes-Problem
Es hatte weder mit einem Bluff noch einem Wunder zu tun, dass die Mercedes plötzlich wie verwandelt waren. Red Bull taumelte exakt in die Reifenprobleme, in denen Mercedes die ganzen freien Trainingssitzungen gefangen war. "Zu Beginn der Runde waren die Vorderreifen zu kalt, am Ende der Runde die Hinterreifen zu heiß", bilanzierte Sportchef Helmut Marko.
Max Verstappen meinte mürrisch, dass Mercedes gar nicht schneller gewesen sei. "Wir waren langsamer, als wir es hätten sein sollen. In den ersten zwei K.O.-Runden ging es noch, speziell auf dem Medium-Reifen. Aber mit dem ersten Satz im Q3 hatte ich keinen Grip. Es war fürchterlich. Die Reifentemperaturen lagen nicht im Fenster und waren einfach nicht in Balance. Im letzten Versuch lief es besser, aber dann war da dieser Tsunoda."
Verstappen deutete an, wo das Problem gelegen haben könnte: "Wir müssen unsere Aufwärmrunden untersuchen. Da könnte etwas schiefgelaufen sein." Die Mercedes-Ingenieure bestätigen das. "Die Runde aus der Box raus war entscheidend. Das haben wir in der Qualifikation besser gemacht als vorher." Bottas und Hamilton gingen ihre Q3-Versuche vorsichtiger an. Damit sie dabei nicht gestört wurden, ließ Mercedes seine Fahrer immer ganz am Ende der Schlange fahren.
Teamchef Toto Wolff drückte sich poetisch aus: "Die Setup-Änderung und die modifizierten OUT-Runden haben das Potenzial des Autos wachgeküsst." Die GPS-Analyse lieferte die Erklärung. Mercedes gewann wie schon am Freitag auf der langen Zielgerade eineinhalb Zehntel auf Red Bull. Auf dem Rest der Runde war Mercedes im Gegensatz zum Vortag fast gleichwertig. Red Bull hatte nur noch in den Kurven 1, 2, 8 und 9 die Nase leicht vorne.
Hat Tsunoda Red Bull die Pole geklaut?
Den Mercedes-Fahrern reichte der erste Q3-Versuch für die erste Startreihe. Der Konter von Max Verstappen und Sergio Perez verpuffte, weil ein anderes Familienmitglied in Kurve 11 neben der Strecke fuhr. Yuki Tsunoda wollte eigentlich Platz machen und stand trotzdem im Weg. Perez fuhr zu dicht auf und musste beim Bremsen in den Turbulenzen in die Auslaufzone ausweichen. Damit war die Runde im Eimer.
Als nächstes flog Verstappen an. Der Holländer ging vom Gas, obwohl keine gelben Flaggen gezeigt wurden. "Ich habe nur Staub gesehen und gedacht, dass da gleich Gelb kommen muss. Das hat mich zweieinhalb Zehntel gekostet." Der Holländer ist ein gebranntes Kind. 2019 verlor Verstappen wegen einer Strafe die Pole Position, weil er die gelben Flaggen nach einem Unfall von Bottas missachtet hatte.
Ob es ohne den Zwischenfall für Verstappen zur Pole Position und für Perez zur zweiten Startreihe gereicht hätte, blieb offen. Perez meinte, dass der dritte Platz im Bereich des Möglichen lag. Verstappen ließ sich auf keine Spekulationen ein: "Wenn und aber bringt uns nicht weiter."
Marko ist überzeugt: "Max wäre auf die Pole gefahren." Toto Wolff zweifelt das an: "Wir lagen an der Stelle der Strecke schon vorne." Dafür musste sich Tsunoda ein paar unfreundliche Worte anhören. "Was macht der Yuki überhaupt da? Er sollte nur Gasly Windschatten spenden", ärgerte sich Marko.
Stallregie in beiden Lagern
Valtteri Bottas schrieb seine 19. Trainingsbestzeit der geänderten Fahrzeugabstimmung, der Reifenvorbereitung und den hohen Temperaturen zu. "Die Hitze schien uns mehr zu helfen als den anderen." Der Finne sprach von einer seiner besten Runden überhaupt.
Da musste selbst Hamilton applaudieren: "Valtteri ist eine phänomenale Runde gefahren. In den letzten Rennen hat er für das Team unglaublich gute Arbeit geleistet." Der Weltmeister verspielte seine Chance auf die Pole Position durch einen Verbremser in der letzten Runde.
Trotz der guten Ausgangsposition bleibt Red Bull im Rennen ein starker Gegner. Und das gleich beim Start. Vom dritten Platz kann Verstappen bei 811 Metern Anlauf in die erste Kurve vom Windschatten profitieren. Der bringt allein auf der Zielgerade drei Zehntel. "Wir werden als Team gut zusammenarbeiten müssen, um unsere Positionen zu verteidigen", fordert Hamilton. Sein Teamchef warnt davor, für den Spurt in die erste Kurve zu viele Pläne zu machen: "Dann kommt es meistens anders als man denkt."
Stallregie wird in beiden Lagern ein Thema sein. Perez weiß, dass er für Verstappen zurücktreten muss, wenn kein Auto dazwischenliegt. Auch Bottas wird für seinen Kapitän Platz in Notfall machen müssen. "Wir haben an Stallregie noch gar nicht gedacht, weil wir gedacht haben, dass wir nur um die Plätze drei und vier fahren. Das wird jetzt aber bei unserer Strategiesitzung am Sonntag sicher besprochen", gab Wolff zu.
Mercedes-Motor besser in der Höhe
Red Bull setzt nicht nur auf den Windschatten-Vorteil beim Start, sondern auch die stärkeren Longruns am Freitag. Im Prinzip sollte der Red Bull in der Höhenluft von Mexico-City das bessere Auto sein. Der Vorteil des größeren Turboladers ist nicht ganz so groß, wie es Mercedes befürchtet hatte. Mit guter Kalibrierungsarbeit schaffte es der Titelverteidiger, den Motor für die Höhe zu optimieren.
Der um 8 km/h bessere Topspeed liegt aber hauptsächlich daran, dass Mercedes mit weniger Abtrieb und damit weniger Luftwiderstand fährt. Dafür büßen die Silberpfeile in den schnellen Kurven. Am Samstag allerdings nicht mehr so schlimm wie am Freitag.
Der Zeitverlust am Ende der Runde war allein auf die zu hohen Reifentemperaturen hinten, die Verbremser in Kurve 1 auf zu niedrige vorne zurückzuführen. Im Rennen wird es einfacher sein, die Reifen in ihr Fenster zu bringen. Mexiko ist für Mercedes immer noch ein Auswärtsspiel, aber jetzt plötzlich mit Siegchancen.