Ex-Audi-Chef drohen fünf bis zehn Jahre Haft
Nach zweieinhalb Jahren Verhandlungsdauer im Dieselskandal-Prozess droht Rupert Stadler eine Verurteilung wegen Betrugs. Er könnte ins Gefängnis kommen – es sei denn, er gesteht.
Ex-Audi-Chef Rupert Stadler blüht als erstem Spitzen-Manager des Volkswagen-Konzerns in Deutschland im Zuge des Dieselskandals eine Verurteilung wegen Betrugs. Das kündigte Stefan Weickert, Vorsitzender Richter der Strafkammer am Landgericht München, am 161. Verhandlungstag in einer vorläufigen Einschätzung an. Damit droht Stadler eine lange Haft. Betrug kann mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet werden; in schweren Fällen können es bis zu zehn Jahre sein.
Die Ankündigung beruht auf der Einschätzung des Gerichts, dass es sich bei den Motorentypen samt Motorsteuerungs-Software, um die sich der Dieselskandal dreht, um unzulässige Abschalteinrichtungen handelt. Das Gericht geht derzeit davon aus, dass drei der im Prozess angeklagten Ex-VW-Mitarbeiter – der ehemalige Motorenchef Wolfgang Hatz, Ingenieur Giovanni P. und Abgastechniker Henning L. – die Ausgestaltung der Software veranlasst haben. Dabei hätten sie laut einer Stellungnahme des Gerichts zumindest die Möglichkeit erkannt und hingenommen, dass Fahrzeuge mit einer Software zur Steuerung des Emissionskontrollsystems unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften der Europäischen Union ausgestattet würden.
Stadler: Betrug durch Unterlassen
Stadler wurde darauf hingewiesen, dass für ihn "eine für die Strafbarkeit wegen Betrugs durch Unterlassen erforderliche sogenannte Garantenstellung in Betracht komme". Bedeutet: Das Gericht glaubt, Stadler hätte die Diesel-Manipulation verhindern können, dies aber unterlassen, und könne deshalb mit einer Freiheitsstrafe belegt werden. Konkret werfen die Staatsanwälte dem ehemaligen Automanager vor, "spätestens ab Ende September 2015 von den Manipulationen Kenntnis gehabt und gleichwohl weiter den Absatz von betroffenen Fahrzeugen der Marken Audi und VW veranlasst beziehungsweise den Absatz nicht verhindert zu haben".
Einen Hinweis, dass die Freiheitsstrafe empfindlich ausfallen könnte, lieferte das Gericht gleich mit. Es erwäge, andere Tatbestände, um die sich der Prozess bisher drehte, "von der weiteren Strafverfolgung auszunehmen, weil sie neben der Strafe, die die Angeklagten zu erwarten hätten, nicht beträchtlich ins Gewicht fielen". Zu diesen Vorwürfen gehören unter anderem Falschbeurkundung sowie Betrug bei nicht in den USA und Deutschland oder nach dem 20. November 2015 verkauften Fahrzeugen.
Bewährungsstrafe bei "vollumfänglichen Geständnis"
Der Ex-Audi-Chef könnte aber auch mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Gleiches gilt für Hatz und Giovanni P. Dies komme jedoch jeweils nur "bei einem vollumfänglichen Geständnis" in Betracht – auch in diesem Verfahrensstadium noch, wie das Gericht explizit erwähnt. Stadler und Hatz seien bislang gar nicht geständig; jenes von Giovanni P. sei bislang "nicht vollumfänglich". Das Verfahren gegen Henning L. könne dagegen gegen eine Geldauflage eingestellt werden, sofern der Angeklagte dem zustimme.
Die Staatsanwaltschaft München II hatte bereits im Sommer 2019 Anklage gegen Rupert Stadler erhoben. Der inzwischen 60-Jährige Stadler wurde im Juni 2018 verhaftet und saß wegen des Betrugverdachts und Verdunkelungsgefahr vier Monate in Untersuchungshaft im Gefängnis Augsburg-Gablingen. Ende Oktober 2018 wurde der Haftbefehl gegen ihn ausgesetzt, obwohl der Tatverdacht der Verdunkelungsgefahr weiterhin bestand. Er durfte zwar gegen Kaution in unbekannter Höhe die U-Haft verlassen, allerdings verhängte das Gericht eine Kontaktsperre zu Beteiligten am Dieselskandal.
2018: Audi entlässt Stadler
Mit einer knappen Erklärung verabschiedete sich der Volkswagen-Konzern 2018 von Rupert Stadler. Der Ex-Audi-Chef und VW-Vorstand, seit 1990 im Konzern tätig, scheide "mit sofortiger Wirkung aus dem Unternehmen aus und ist nicht mehr für den Volkswagen-Konzern tätig", teilte Volkswagen damals mit. Die Begründung folgte im nächsten Satz: "Hintergrund ist, dass Herr Stadler aufgrund seiner andauernden Untersuchungshaft nicht in der Lage ist, seine Aufgaben als Mitglied des Vorstands zu erfüllen und sich stattdessen auf seine Verteidigung konzentrieren will." Die vertragliche Abwicklung sei an den Verlauf und den Ausgang des Strafverfahrens geknüpft. Vier Sätze reichten Volkswagen, die Karriere des einstigen Piech-Büroleiters zu beschreiben.
Ermittler haben laut "Süddeutscher Zeitung" sieben Tage vor und nach der Razzia in Stadlers Privatwohnung am 11.6.2018 dessen Telefonate abgehört. Nach Recherche der Bild-Zeitung sprach der Audi-Chef mit anderen im Diesel-Abgasskandal Beschuldigten. In den nächsten Tagen solle er sich mit Mitarbeitern verabredet haben, die ihm im Dezember 2015 über den Diesel-Skandal informiert hatten, so das Blatt. Die Süddeutsche, der NDR sowie der WDR berichteten zudem, Stadler habe in einem Telefonat erwähnt, er überlege einen Angestellten beurlauben zu lassen. Dieser soll gegenüber den Ermittlern zur Abgasaffäre ausgesagt haben und zur Diesel-Task-Force des Konzerns gehören, die intern herausfinden soll, welche Audi-Fahrzeuge mit illegaler Abgasreinigung ausgerüstet waren. Der Mitarbeiter habe ausgesagt, dass er wegen einer Weisung des Vorstands Kollegen, die für die Abgasmanipulationen verantwortlich gewesen sein sollten, nicht befragen durfte.
Stadler tief im VW-Konzern verwurzelt
Rupert Stadler, in der Branche auch "Teflon-Stadler" genannt, hatte sich in der Abgasaffäre als zweitwichtigster Mann im Konzern lange auf seinem Posten halten können, während um ihn herum VW-Manager wie Martin Winterkorn und dessen Nachfolger Matthias Müller ihre Posten räumen mussten. Trotz aller Vorwürfe gegen ihn hielt Aufsichtsratsboss Hans Dieter Pötsch immer an Stadler fest, auch weil die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch zu Stadler standen. Hintergrund dürfte sein, dass Rupert Stadler 1997 Büroleiter des VW-Patriarchen Piëch wurde und in dieser Zeit tiefe Einblicke in die Macht-Strukturen des Wolfsburger-Konzerns erhielt. Darüber hinaus leitete er Teile der Stiftungen der Familie Piëch und avancierte damit zu einer Art persönlicher Vermögensverwalter.
Rupert Stadler wurde am 17. März 1963 im oberbayerischen Tittingen geboren. Er wuchs als Sohn eines Landwirts auf und studierte in Augsburg BWL mit Schwerpunkt Unternehmensplanung und Controlling. 1990 übernahm er die Leitung des Controllings bei Audi, stieg 1994 zum kaufmännischen Geschäftsführer von VW-Audi in Spanien auf und wurde Ende 2006 zum Vorstandsvorsitzenden der Audi AG ernannt. Er folgte auf Martin Winterkorn, der den Chef-Posten bei VW übernahm. Stadler war ebenfalls Vorstandsmitglied der VW AG sowie Aufsichtsratsmitglied der Porsche Holding, Präsident des Verwaltungsrates von Lamborghini und der VW Group Italien, Aufsichtsrats-Mitglied der MAN Truck & Bus AG sowie MAN SE, Verwaltungsratsmitglied von Italdesign und Mitglied des Aufsichtsrates des FC Bayern München. Stadler ist verheiratet und hat drei Kinder.