Was ist mit Red Bull los?
Das WM-Duell in der Formel 1 schwingt diese Saison von einem Extrem ins andere. Von Vorteil Red Bull zu Mercedes, dann zurück zu Red Bull und jetzt wieder zu Mercedes. Und das zuletzt auf zwei Red Bull-Strecken. Wir analysieren, wie die dritte Wende im Titelkampf zustande kam.
Es gibt kein Muster in diesem Titelrennen. Die Saison begann mit Vorteil Red Bull. Mercedes hat in Bahrain nur dank der besseren Strategie gewonnen, dafür aber ein Rennen später in Imola eine Niederlage kassiert. In Portimao und Barcelona spielte der Titelverteidiger den geringeren Reifenverschleiß seines Autos aus. Mit den beiden Stadtrennen in Monte Carlo und Baku schwang das Pendel zurück zu Red Bull. Das war erwartbar. Da profitierte Red Bull vom Streckenlayout.
Doch kaum kehrte der Zirkus zurück auf normale Strecken wie Paul Ricard und Spielberg, baute der Herausforderer seinen Vorsprung aus. Eine beispiellose Technikoffensive mit Aerodynamik-Upgrades und mehr Power vom Honda-Motor verschaffte Red Bull ein Polster von zwei bis drei Zehnteln auf den Rivalen. Nach dem Doppelschlag in Österreich sah es fast schon nach einem Durchmarsch für Max Verstappen aus.
Mercedes-Upgrade brachte zwei Zehntel
Mercedes brachte in Silverstone ein letztes größeres Aerodynamikpaket. Die Ingenieure schätzen, dass die Eingriffe am Unterboden und den Leitblechen zwei Zehntel gebracht haben. Aber weil Red Bull ständig weiter neue Teile an ihre Autos schraubt, schlug der Fortschritt bei Mercedes nicht voll durch. Teamchef Toto Wolff sieht den größeren Nutzen vor allem darin, dass die Modifikationen die Aerodynamik des W12 stabiler machen, so dass die Ingenieure damit ein größeres Spektrum an Einstellmöglichkeiten erhalten.
Unter dem Strich war der Red Bull in Silverstone eine Spur schneller. Lewis Hamilton gewann trotzdem das Rennen um die schnellste Qualifikationsrunde, Max Verstappen konterte dann im Sprint. Die Frage nach dem besseren Rennauto blieb durch den Unfall der beiden Hauptdarsteller unbeantwortet. Mercedes stellte sich in Silverstone immer noch auf den Standpunkt: "Wir können nur gewinnen, wenn wir das Optimum aus unserem Paket rausholen. Red Bull hat das schnellere Auto."
Das muss nach dem GP Ungarn in Frage gestellt werden. Da mussten selbst die Mercedes-Ingenieure zugeben, dass ihr Silberpfeil wieder die Oberhand hatte. Was Freund und Feind überraschte. Von der Papierform her hätte Red Bull seinen Gegner an die Wand fahren müssen. Der RB16B hat mehr Abtrieb als der Mercedes W12, und der Honda-Motor schien mit der zweiten Spezifikation ein paar Pferdestärken dazugewonnen zu haben.
Untersteuern treibt Red Bull in Notlösung
Hondas Motorvorteil von Frankreich und Österreich war schon in Silverstone ausradiert. Die Aero-Trumpfkarte dann auch in Ungarn. Das lag nach Ansicht von Experten aber nicht daran, dass der Mercedes plötzlich besser geworden wäre. Red Bull hat sich eher unter Wert verkauft. Das Auto überraschte seine Fahrer schon am ersten Trainingstag mit starkem Untersteuern. Der Grund dafür konnte nie gefunden werden. Die üblichen Heilmittel versagten.
Das Balanceproblem und die gleichzeitige Schwäche auf den Geraden zwangen Red Bull zu einer Maßnahme, die man auf dem Hungaroring normalerweise nur in ganz großer Not ergreift. Die Ingenieure montierten einen Heckflügel mit weniger Abtrieb.
Jetzt war das Untersteuern weitgehend verschwunden, der Zeitverlust auf den Geraden aufgefangen, doch Anpressdruck ist in Budapest genauso wenig verzichtbar wie in Monte Carlo. Mit der Notlösung war die Pole Position außer Reichweite. Mercedes rechnete aber damit, dass Red Bull im Renntrimm näher dran gewesen wäre. Auch dieser Beweis konnte wegen eines Unfalls nicht angetreten werden.
Es wäre wahrscheinlich eher das Gegenteil eingetreten. Red Bull hat mit einem Heckflügel-Wechsel schon beim GP Spanien schlechte Erfahrungen gemacht. Auch da reduzierten die Techniker von Freitag auf Samstag den Abtrieb, weil der RB16B auf den Geraden zu viel Zeit verlor. Das rächte sich im Rennen. Der Reifenverschleiß stieg. Das schränkte Red Bull im Vergleich zu Mercedes taktisch ein.
Motorwechsel als zusätzlicher Störfaktor
Die entscheidende Frage lautet, ob Red Bulls Balanceproblem eine Eintagsfliege war. Eine Erklärung wäre, dass der RB16B mit dem Heckflügel für maximalen Anpressdruck im Heck zu viel Grip produziert, der an der Vorderachse nicht ausgeglichen werden kann. Und dass dieser Flügeltyp einfach zu viel Luftwiderstand produziert. Wie sich schon in Barcelona herausgestellt hatte.
Es wäre auch möglich, dass die letzten Aerodynamik-Adaptionen am Auto ein Schuss nach hinten waren. Red Bull ist das im Vorjahr schon einmal passiert. Der alte RB16 nahm erst wieder Fahrt auf, als man gewisse Neuteile am Auto wieder abgebaut hatte.
Auch der Motorwechsel nach der Qualifikation war nicht hilfreich. "Der Unfall in Silverstone hat uns gleich zwei Mal gekostet", stöhnte Teamchef Christian Horner. Honda setzte aus gutem Grund den dritten Motor ein und nicht die erste Antriebseinheit, die es auf einer Strecke wie dem Hungaroring auch getan hätte.
Man hätte dann den zweiten Turbolader auf die erste Einheit schrauben müssen, um einen Spezifikationswechsel und den damit verbundenen Start aus der Boxengasse zu vermeiden. Dieser Umbau stellt einen größeren Akt dar als ein kompletter Motortausch. Bei manchen Teams dauert der Wechsel des Turboladers bis zu neun Stunden.